Tichys Einblick
Perverse Geldpolitik

Justizministerin Lambrecht will Wohnungen enteignen

Die neue Bundesjustizministerin will Wohnungen enteignen. Damit geht wieder ein Gespenst um in Deutschland: das der Enteignung. Noch ist es eher ein Gespenstchen. Aber es wächst und gedeiht. Es ernährt sich auch von Null-Zinsen.

John MacDougall/AFP/Getty Images

Das Enteignungsgespenstchen geht vorerst nur in Berlin um, und auch dort nur gegen „Großkonzerne“ im Wohnungsbereich. Großkonzerne, die lassen sich leicht entmenschlichen und als bösartiges Ungeziefer darstellen, wie es der „Spiegel“ vorgemacht hat; das Magazin hatte einen Immobilieneigentümer als eine auf einem Wohnhaus hockende Riesenheuschrecke mit Anzug, Krawatte und Smartphone abgebildet. Aber Vorsicht: Das Gespensterchen hat den Hang und Drang zur Größe. Sein Wachstums-Gen verlangt nach ständiger Expansion. Vorläufiger Höhepunkt: Die neue Bundesjustizministerin Christine Lambrecht hält die Enteignung privater Wohnungsbaugesellschaften unter bestimmten Bedingungen für geboten.

Es gehe darum, Menschen zu helfen, „die dringend auf eine bezahlbare Wohnung angewiesen sind oder nicht wissen, ob sie sich ihre Wohnung inZukunft noch leisten können“, sagte die SPD-Politikerin den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Das universelle Argument der Menschenrechte

Durch Enteignung wird zwar nicht eine Wohnung mehr gebaut, eher weniger. Dann war aber die Enteignung wirkungslos, weil sie sich bloß auf Großkonzerne bezogen hat — das ist die Logik sozialistischer Argumente: Wirkungslosigkeit einer Maßnahme verlangt nach Erhöhung der Dosis. Schon jetzt haben die Jusos in der Debatte den Grenzwert auf 20 Wohnungen gesenkt. „Mit welchem Recht hat jemand mehr als 20 Wohnungen?“ — So lautet die rhetorische Frage ihres Vorsitzenden Kevin Kühnert. Wer braucht schon mehrere Wohnungen, wenn er doch nur in einer wohnen kann? Wer kann Und der Vorsitzende der Grünen Robert Habeck hat den nächsten Schritt formuliert: Viele Alte würden in zu großen Wohnungen wohnen. Da muss doch etwas zu machen sein, oder? Die Linke redet von „solidarischer Verteilung von Wohnraum“.Das Gespenst wächst schnell. Es hockt jetzt in jeder Wohnung, nachdem Lambrecht das E-Wort zum Regierungsprogramm geadelt hat.

Damit ist der Weg in die Enteignung vorgezeichnet, und er ist gut gepflastert. Schließlich ist Wohnen ein Menschenrecht. Oder etwa nicht? Schon gegen die vagen Pläne der Privatisierung von Wasserwerken wurde dieses „Menschenrecht“ ins Feld geführt. Es ist ein sehr brauchbares, weil beliebig ausdehnbares  Argument: Wieso darf ein Bäcker gegen das Menschenrecht auf Nahrung verstoßen, indem er einem Hungrigen kein Brot schenkt, sondern Geld dafür verlangt? Das Ge­spenst hat viele Geschwister.

Enteignung und Verstaatlichung — und auf nichts anderes zielen Enteignungen — gilt seltsamerweise in Deutschland viel­fach als Allheilmittel. Die Polemik der Nazis gegen Kaufhäuser und Großbauern, die DDR und ihre ver­rotteten Wohnungsbestände, das Debakel um den Berliner Flughafen aus Staatshand, die unerträglichen Verspätungen der staatlichen Bun­desbahn —  Erfahrungen verblassen, allein der Glaube bleibt: Der Staat ist gerechter, Funktionäre sind menschenfreundlicher, Bürokra­tien arbeiten effizienter. So klingt der Glaube an das ewig Gute im Staate.

Die neue Liebe zur kaputten Stadt  

Wie kommt es, dass staatli­che Tristesse, bröckelnder Staats­putz und elende Wohnungsknapp­heit plötzlich als erstrebenswert gelten? Die Forderung nach Enteignung ist bei einem großen Teil der Wähler populär. Die neue Enteig­nungslust überspringt das Links­-rechts­-Schema; sie kommt von links und wird ganz rechts mit Bei­fall aufgenommen, wo man schon immer das jüdische Großkapital der Wallstreet misstrauisch beäugt hat. Das Gespenst der marktwirtschaft­lichen Feindschaft in Deutschland steht auf einem rechten und auf ei­nem linken Bein.

Der Staat erwirtschaftet nicht, er verteilt nur das um, was vorher andernorts erarbeitet wurde. Aber der Wohlstand für alle in Deutschland stagniert. Das Versprechen steigenden Wohl­stands hat seinen Glanz verloren. Vielmehr geht es für immer mehr Bürger um die Verteidigung des Erreichten; das erscheint bedroht, und die Bedrohung ist real.

Die verfügbaren Einkommen steigen in Deutschland im Durch­schnitt und für die meisten Ein­kommensklassen nur noch be­ scheiden: in den letzten 25 Jahren, und das umfasst eine Generation, nur um 15 Prozent. Bei 20 Prozent der Personen mit den niedrigsten Einkommen steigt es allerdings gar nicht, und das bei mittlerweile annähernder Vollbeschäftigung. Es fällt schwer, den Lebensstandard der Eltern zu halten; ihn zu über­ treffen ist noch weit schwerer. Das schafft Unzufriedenheit, auch vor dem Hintergrund einer langen wirt­schaftlichen Wachstumsphase, in der die Erträge nicht bei den Menschen ankommen.

Die Folgen der Finanzialisierung

Es ist wachsendes Misstrauen ge­genüber der Finanzialisierung von Gesellschaft und Wirtschaft — ent­standen schon vor der Finanzkrise. Es ist das Unbehagen daran, dass die Banken und Finanzinstitute ihr Innovationspotenzial und ihre Macht für eigene Geschäfte nutzen, die sich lediglich im Geldbereich abspielen, während gleichzeitig der von den Finanzmärkten ausgeübte  Renditedruck  viele Ar­beitsplätze kostet. Nach der Finanzkrise schien dieser Druck ge­brochen: Die Staaten mussten Ban­ken sowie letztlich Wirtschaft und Gesellschaft retten — was einen un­geheuren Verlust des Vertrauens in diese Bereiche der Marktwirtschaft zur Folge hatte. Die einfache Lehre, die daraus gezogen wurde: Am Ende muss es doch der Staat richten.Damit schien die Macht der Banken gebrochen. Aber seltsamer­ weise kehrte die Finanzialisierung in anderer Form zurück, als immer sichtbarere Folge der Nullzinspo­litik der Notenbanken. Die Zen­tralbanken überschwemmen die Gesellschaft durch Anleiheankäufe mit billigem Geld, um einen Kon­junktureinbruch zu verhindern, die überhöhten Staatsverschuldungen in vielen südeuropäischen Staaten finanzierbar zu halten und die Wirt­schaft insgesamt zu stabilisieren. Es ist ein ehrenwerter Versuch, ins­ besondere in Europa, um die explo­sive Mischung aus Überschuldung mancher Staaten, notwendiger An­passungsleistungen im gemeinsamen Währungsraum, Konjunktur­schwäche und drohender Deflation mit den Mitteln der Geldpolitik ein­ zudämmen. Diese Zins­ und Geldmengen­-Finanzialisierung stabilisiert. Sie hat aber, je länger sie anhält, schmerzhafte Nebenwir­kungen. Die Nullzinsen gefährden, mit jedem Jahr dramatischer, die Altersversorgung der Deutschen, die zum großen Teil auf Lebens­versicherungen und Zinspapieren beruht.

Es lohnt sich nicht mehr zu sparen — was auch erklärtes Ziel dieser Art von Geldpolitik ist. Aber statt zu entsparen, legen die Deut­schen mehr Geld weg gegen die dro­hende Altersarmut. Es ist ein seltsa­mer Wettlauf: Es wird mehr gespart, weil die Europäische Zentralbank (EZB) das Sparen unattraktiv macht.

Künstlich aufgeblähte Kurse

Gewinner sind die Aktienbesitzer. Die freien Mittel strömen in die Ak­tienmärkte und treiben die Kurse. Aber auch die Unternehmen spie­len beim Nullzinsspiel der EZB  mit – allerdings anders als gedacht. Trotz niedriger Zinsen inves­tieren sie kaum. Vielfach verschul­den sie sich nur, um eigene Aktien zurückzukaufen. Das treibt wiede­rum die Kurse. Mit billigem Geld und entsprechenden Transaktionen werden also die Unternehmenswer­te gesteigert  als Folge der Finanziali­sierung über steigende Aktienkurse, die vom Fluchtgeld immer weiter an­ gehoben werden. Nicht mehr Erfolge auf den Güter­ und Dienstleistungs­märkten sind entscheidend, sondern künstlich aufgeblähte Kurse.

Steigende Kurse wiederum er­freuen die Aktionäre — auch ohne Investitionen. Unternehmenswert­steigerung ohne Unternehmens­wertwachstum ist die Folge. War­ um auch Risiken einer Investition eingehen, wenn mit demselben Ei­genkapital oder sogar mithilfe von Nullzinskrediten Unternehmens­wertsteigerung durch den einfach zu bewerkstelligenden Aktienrück­kauf machbar ist? Dumm ist, wer in­vestiert, klug, wer die freien Mittel finanzialisiert.

Es ist eigentlich nur ein inflatio­närer Prozess: Die Preise für Aktien steigen, weil in Ermangelung von Alternativen die Nachfrage nach Aktien steigt. Geld für diese Nach­frage stellt die Europäische Zentral­bank in Hülle und Fülle praktisch unbegrenzt zur Verfügung — zwar für andere Zwecke gedacht, aber wie für steigende Kurse gemacht. Die Perversion der Geldpolitik vergiftet die Gesellschaft. Wie jede Inflation.

Steigende Immobilienpreise

Betongold gilt als sichere An­lage in einer unsicheren Finanzwelt. Es sind die anlagesuchenden Geldcontainer aus Italien und Skan­dinavien, die den Berliner Immobi­lienmarkt aus seinem jahrzehnte­langen Dornröschenschlaf erweckt und zunächst die Kaufpreise nach oben getrieben haben. Während viele Bürger „arm“ blieben, wur­den die Immobilien plötzlich sexy, zumal sie im Preis immer noch unter dem Niveau vergleichbarer Städte wie Hamburg, München und Frankfurt liegen und meilenweit entfernt sind von anderen Metro­polen wie London oder Paris. Und in einem europaweiten oder sogar globalen Vergleich kann der Ber­iner Immobilienmarkt keine Insel mit preiswerten Wohnungen bleiben. Die Mieten folg­en den Kaufpreisen. Dabei nähren steigende Mieten weiter steigende Mieten: Nach einem jüngsten Urteil sind Vermieter verpflichtet, ihre Mieten zu erhöhen. Zu niedri­ge Mieten kämen einem Geschenk gleich, das entsprechend versteuert werden müsste.

Doppelte Preissteigerung

Hinzu kommt, dass der Immobili­enmarkt in Deutschland höhere Prei­se erfordert, da die Nachfrage nach Wohnraum steigt. Derzeit beträgt der Wohnraumkonsum 48 Quadrat­ meter je Kopf, man wohnt gern groß­ zügig. Der Zuzug von Millionen aus Osteuropa im Zuge der europäischen Freizügigkeit für seine Bürger und als Folge der Fluchtbewegung aus Nordafrika erhöht ebenso die Nach­frage wie die innerdeutsche Binnen­wanderung: Das Land und kleinere Orte gelten als langweilig; Stadtluft macht wieder frei. Selbst Vororte gel­ten neuerdings wieder als spießig; durch die gezielte und dramatische Verteuerung der individuellen Mo­bilität mit dem Auto ist es wieder preiswerter, zentral zu wohnen, da­ mit Anfahrts­- und Versorgungswege zu verkürzen. Es ist nach wie vor keineswegs so, dass überall die Immobilien­ preise steigen würden. In der Eifel, der Oberpfalz, weiten Gegenden Niedersachsens, Nordostbayerns, in Brandenburg und Mecklen­burg­-Vorpommern wie in Gemein­den außerhalb der industriellen Leuchttürme Ostdeutschlands sin­ken die Preise und Mieten für Im­mobilien. Niedrige Preise sind ein Argument, mit denen eine scheinbar unattraktive Mittelstadt in Nordhessen gegen die Metropolregion Frankfurt punkten könnte. Die Allokationswirkung der Preise könnte diesen Regionen helfen und gleichzeitig die Metropolen entlasten. Der Markt funktioniert. Wenn man ihn läßt.

Wie billig muss eine Wohnung sein?

Die Frage ist nur: Ist die Politik bereit, dies auszuhalten? Gibt es ein Gesetz, das billiges Wohnen im Zentrum der Hauptstadt erzwingt? Gibt es einen Anspruch auf ein billiges Studentenapartment in jeder Stadt, die einem gefällt? Oder sind niedrige Preise ein Standortvorteil für Städte, die sonst wenig attraktiv erscheinen? Diese Überlegungen werden weggewischt von Politik und Medien, deren Erfahrungshorizont von den nachholenden Immobilienpreisen in den Szenevierteln Berlins geprägt ist und die für die wirtschaftlichen und finanziellen Hintergründe wenig bis kein Verständnis haben.

All das ist kein deutsches Phänomen. Europaweit wird es für die Mittelschicht schwerer, in einer schnell deindustrialisierenden Wirtschaft ihr Auskommen zu finden. Auskömmliche Einkommen entstehen nicht mehr durch Arbeit, sondern dadurch, dass genügend freie Mittel eingesetzt werden, um bei der durch die Geldschwemme ausgelösten Finanzialisierung mitzuschwimmen. So meldet die OECD, dass Mitte der 1980er-Jahre knapp sieben Jahreseinkommen ausreichten, um sich eine 60-Quadratmeterwohnung in der jeweiligen Hauptstadt leisten zu können — mittlerweile werden dafür über zehn Jahreseinkommen fällig.

Damit kriecht das Gespenst der Enteignung aus den Gruften, in denen es hauste. Es müssen ja nicht gleich klassische Enteignungen sein; zuerst bastelte die Politik mit Mietpreisbremsen, Veränderungssperren oder dem Verbot des Überwälzens von Mietnebenkosten an einer schrittweisen Ertragsenteignung. Die offensichtlichen Probleme werden damit nicht gelöst, nur mit populistischem Aktionismus beantwortet.

Die eigentliche Lösung wäre eine Herausforderung: Nicht nur der Neubau müsste erleichtert  – auch die Nullzinspolitik müsste beendet werden. Die Folge wären sinkende Immobilienpreise, vielleicht sogar ein Platzen der Immobilienblase. Anpassungsfolgen einer Zinserhöhung würden allerdings auf sämtliche Wirtschaftsbereiche und den Arbeitsmarkt übergreifen; das scheuen Politiker. Und so wächst das Gespenst. Es nährt sich auch von Null-Zinsen.


Dieser Text steht in längerer Fassung hier und kann auch in gedruckter Form bezogen werden.

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