Jens Spahn ist einer der Hoffnungsträger der Union: Wenn sich Friedrich Merz, Armin Laschet und Norbert Röttgen im Langstreckenlauf um das Amt des CDU-Vorsitzenden müde gelaufen haben, könnte er wie Zieten aus dem Busch zum Vorsitz hervorbrechen und Kanzlerkandidat werden. Und wenn auch nicht sofort – dann vielleicht in vier Jahren, wenn erwartungsgemäß die CDU in der Koalition mit den Grünen den letzten Rest an Profil verloren hat wie ein abradierter Formel-1-Reifen. Dann ist er die eiserne Kanzlerinnenreserve, gereift in Ämtern und Geraufe in der Partei für das hohe Amt. Er ist schon jetzt gereift zum Meister darin, Organisationsversagen als Erfolg zu feiern: Während die USA bereits im Juli Impfstoff bestellten, feiert er die späte Zulassung und den Start am 27. Dezember als Weihnachtsgeschenk. Allerdings: Seit Dezember werden in den USA schon jeden Tag eine Million Bürger geimpft; 100 Millionen Geimpfte in 100 Tagen lautet das Ziel. In Deutschland dagegen sind die Dosen knapp. Richtig schnell wird es ohnehin nicht gehen, weil gearbeitet wird wie in der sozialistischen Mangelverwaltung: Eine Viertelstunde für den Pieks pro Person wird kalkuliert, weil es in den neu errichteten Impfzentrum besonders bürokratisch zugehen soll. Niedergelassene Ärzte bleiben zunächst außen vor; und damit das Rückgrat der Gesundheitsversorgung mit Nähe zu Patienten und dem Wissen um Vorerkrankungen und Unverträglichkeiten. Das wird damit begründet, dass der Stoff knapp ist und die Kühlschränke in den Praxen nicht kalt genug seien.
Das gute Organisationsversagen
Sicher, das ist nicht Spahns alleinige Verantwortung: Genehmigung und Verteilung des Impfstoffs wurde an die EU-Kommission übertragen und deren Bürokratie ist eben zäher als zäh, und bis Impfzentren von Malta bis Finnland stehen, dauert es halt länger; EU-Europa hat seinen Preis. Schon spottet das britische Magazin Spiked auch über das EU-Impfversagen: „Freut Euch, ab 1. Januar sind wird von der EU-Shitshow erlöst; eine gute Nachricht in einem sonst depressiven Jahr“. Gut, dass wenigstens Spahn das Gute im Organisationsversagen sieht: „Es wird am Anfang ruckeln, da gibt’s auch nichts drumrum zu reden“, sagte er im ARD-„Bericht aus Berlin“. „Wir sind bestmöglich vorbereitet, aber jetzt wird’s konkret.“
Der Minister und seine Geschäftsfreunde
So hat Spahn im vergangenen Jahr einen früheren Pharma-Manager und Lobbyisten zum Chef-Digitalisierer im Gesundheitswesen ernannt, mit dem ihn eine langjährige persönliche Bekanntschaft – sowie ein gemeinsames Immobiliengeschäft verbindet. Beides war bisher in der Öffentlichkeit nicht bekannt. Wie das Amtsgericht Schöneberg (Grundbuchamt) dem Berliner Tagesspiegel bestätigt hat, war der heutige Alleingeschäftsführer der Gematik GmbH Markus Leyck Dieken vor Spahn Eigentümer von dessen Wohnung im Berliner Bezirk Schöneberg. Leyck Dieken habe die Wohnung für 980.000 Euro an Spahn verkauft. Dieser sei im Grundbuch seit Anfang Januar 2018 als Eigentümer eingetragen. Das Gesundheitsministerium teilte mit, dass sich beide zwar „seit vielen Jahren persönlich kennen“. Sowohl Spahn wie Leyck Dieken wiesen jedoch zurück, dass Wohnungskauf oder persönliche Kontakte bei der Besetzung des Spitzenpostens eine Rolle gespielt hätten.
Die Kompetenz des Wohnungsverkäufers und Chef-Digitalisierers ist auch unbestritten: Vor seinem Job bei der Gematik war Leyck Dieken unter anderem Deutschland-Chef des Medikamentenherstellers mit der bekannten Marke Ratiopharm (Teva) und gehörte zum Vorstand des Branchenverbands Pro Generika. Wer, wenn nicht ein Lobbyist kann besser befähigt sein, die digitale Krankenakte zu entwickeln? Und es ist nicht die einzige Immobilie in Berlin, die Spahn erworben hat.
Im vergangenen Sommer hat er für einen mittleren Millionenbetrag mit seinem Ehemann, der der Berliner Lobbyist des Burda-Konzerns ist, eine noble Villa erworben. Über den Betrag hat TE wie auch andere Medien berichtet; wer ein öffentliches Amt ausübt, sollte doch einer gewissen Transparenz unterliegen. Zumal die Finanzierung über eine ortsferne Münsteraner Sparkasse erfolgte, in deren Aufsichtsrat Jens Spahn tätig gewesen war. Üblicherweise lehnen Sparkassen und insbesondere diese ortsfremde Immobilienfinanzierungen ab. Spahn ließ per Einstweiliger Verfügung die Berichterstattung über den Kaufpreis verhindern; der Axel-Springer-Verlag, RTL, Tagesspiegel und TE sowie eine Reihe von Bloggern sind seither zum Schweigen verpflichtet – vorerst.
Denn Juristen erwarten, dass der „Schutz der Privatsphäre“, auf die sich Spahn beruft, vom Bundesverfassungsgericht kassiert wird: Das Privatleben von Politikern und ein auffälliger Lebensstil können in einer Demokratie kaum zur geheimen Verschlusssache verklärt werden. Spahn sitzt damit auf einer Bombe mit Zeitzünder: Später zwar als früher, aber immerhin rechtzeitig werden seine Geschäfte öffentlich werden. Nicht zum ersten Mal: Schon früher ist sein enges Geflecht von Freundschaften zum Zwecke der Einkommenssteigerung nicht nur in Umrissen sichtbar geworden.
Spahns Spezlwirtschaft
Noch als gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion war er an einer PR-Firma beteiligt, die unter anderem für Pharmafirmen gearbeitet hat. Die SPD forderte damals Spahn zum Rücktritt auf. Das Magazin »Focus« hatte schon 2015 berichtet, dass Spahn von 2006 bis 2010 neben seiner Tätigkeit als Abgeordneter an einer Lobby-Agentur beteiligt ist. Zusammen mit seinem Freund und Büroleiter Markus Jasper und dem befreundeten Lobbyisten Max Müller gründete Spahn 2006 eine Gesellschaft Bürgerlichen Rechts (GbR), welche die Beratungsagentur Politas verwaltet. Vorteil einer GbR ist es, dass sowohl die beteiligten Gesellschafter als auch die Geschäfte nicht veröffentlicht werden müssen. In den offiziellen Angaben von Politas taucht Spahn daher nicht auf, obwohl er bis 2010 zu 25 % an der Agentur beteiligt war. Wie es das Firmenkonstrukt zulässt, wurde lediglich Jasper als Eigentümer von Politas genannt.
„Weder Geldflüsse noch Informationsflüsse oder politischer Zugang zu Spahn sind durch eine räumliche Trennung aus der Welt“, kommentierte damals der Abgeordneten-kritische Verein „Lobbycontrol“. Das war vor sieben Jahren, politisch gesehen in der grauen Vorzeit, aus der sich Spahn gelöst haben mag. Aber es zeigt die Methode Spahn, zu der Einsicht in eigene Fehler nicht ausdrücklich gehört. Er selbst habe mit seiner Beteiligung an Politas die Transparenzvorschriften des Deutschen Bundestags nicht verletzt, erklärte er damals. Diese Regeln schreiben vor, dass Abgeordnete ihre Beteiligung an Unernehmen offenlegen müssen, wenn sie mehr als 25 Prozent der Stimmrechte besitzen. Spahn hielt genau diese 25 Prozent an Politas, die er über einen Treuhänder verwalten ließ. Damit blieb er knapp unter der Veröffentlichungsschwelle; legal ist aber nicht immer legitim. Aus der damaligen Sicht der SPD-Abgeordneten Ingrid Arndt-Brauer hat Spahn diesen Spielraum ganz bewusst »in vollem Umfang ausgenutzt«.
Aufstieg ohne Skrupel
Seinem Aufstieg hat das nicht geschadet. Von 2015 bis 2018 war er parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. Und siehe da: Auch hier geriet der umtriebige Politiker schnell aufs Glatteis der Geschäftemacherei. Recherchen des damaligen Wirtschaftsmagazins Bilanz ergaben, dass Spahn privat 15.000 Euro in das schwäbische Start-up pareton investiert und so 1,25 Prozent der Anteile erworben hatte. Auf Nachfrage der Süddeutschen Zeitung bestätigte er, den üblichen staatlichen Zuschuss beantragt zu haben. Danach bekommen sogenannte Business-Angels, die wie Spahn privates Geld in Start-ups investieren, 20 Prozent der Gesamtsumme erstattet. Spahn kassierte demnach 3.000 Euro.
Spahn bezeichnete die Vorwürfe selbstverständlich als nicht nachvollziehbar.
Wieder habe er Amt und Geschäft glaubhaft getrennt und er wolle seine Anteile überdies wieder verkaufen und die eingestrichene Förderung zurückbezahlen. Möglicherweise ist es auch nur purer Zufall oder er wurde gar von seinem Vorgesetzten, Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble dazu gedrängt, dessen parlamentarischer Staatssekretär Spahn in dieser Phase war, eine Studie zum deutschen Fintech-Markt in Auftrag zu geben – also den neuen, digitalen Banken und Versicherungen. Offiziell ging es bei dem Projekt darum, „umfangreiche, nach wissenschaftlichen Standards erhobene Daten bereitzustellen“. Sein Fazit: „Für Fintech-Unternehmen ist Deutschland eines der attraktivsten Länder weltweit. Das zeigt das Gutachten deutlich – die Wachstumsraten des Sektors sind beeindruckend.“
Heute sitzen Spahn und Heil als Best Buddies am Kabinettstisch, das schützt vor Nachfragen. Wer ist also Jens Spahn? Die Magdeburger Volksstimme meint gleich zwei zu kennen: „Wir haben es offensichtlich mit zwei Jens Spahn zu tun. Da ist Jens Spahn, der allseits gefragte Corona-Krisenmanager. Mann mit Rückenwind und Anflügen von Kanzler-Tauglichkeit. Eloquenter, sympathischer Typ, der zeitweise, so schien es, die drei Kandidaten für die Merkel-Nachfolge als CDU-Chefin mal eben von der Seitenlinie ins Aus schickte – inklusive Möchtegern-Musterschüler Markus Söder. Und da ist der andere Jens Spahn, der vieles von dem zu sein scheint, was man Politikern gern und nicht selten zu Recht pauschal vorwirft: verführ- und korrumpierbar, abwiegelnd, verschleiernd, leugnend. Sollte nichts dran sein an den Vorwürfen in Bezug auf zweifelhafte Immobiliengeschäfte und Postenschacher in einer Gesellschaft des Bundes, müsste Herr Spahn hier einfach alles pro-aktiv aufklären. Da er genau dies nicht tut, ist tatsächlich Brisanteres zu vermuten. Derartige Mauscheleien haben schon andere hoffnungsvolle Polit-Karrieren abrupt beendet.”