Tichys Einblick
Was bleibt

Jahresausblick 2023: Die Ampel, das Projekt der Wirklichkeitsignoranz

Die Ampel ist eine Art Medienprojekt, in dem Bevölkerung und Wirklichkeit ignoriert werden. Die Medien kritisieren nicht, sondern bereiten die Bevölkerung auf Regierungsprojekte vor. Es könnte sogar klappen diesmal mit dem grün angestrichenen Sozialismus.

Demokratie lebt vom Wechsel. Der aber ist nicht so leicht in Deutschland. Selbst wenn offenkundig bei einer Wahl großflächig gepfuscht wurde wie in Berlin: die Regierung bleibt im Amt, und wenn sie noch so schwach legitimiert ist. Und über Koalitionen kann der Kanzler so lange im Amt bleiben, bis die Vorstellung schrumpft, es könnte ja auch anders gehen. Die Kunst der Regierung ist: nicht den Wählern zu gefallen, sondern Koalitionspartnern. Und so kann Olaf Scholz mit 27,5 Prozent der abgegebenen Stimmen regieren – bis es der Koalition nicht mehr gefällt. Und deshalb setzt Friedrich Merz auch nicht darauf, eine Mehrheit der Stimmen zu gewinnen, das ist unmöglich. Sondern er will die Grünen locken dadurch, dass er ihnen noch mehr grün verspricht, als Olaf Scholz liefern kann.

Aber Friedrich Merz stabilisiert so die Ampel, weil er auf Alternativen verzichtet und sich selbst und seine CDU so klein geampelt hat, dass es ziemlich egal ist ob die Regierung von einem SPD-Kanzler geführt wird oder von der CDU. An der CDU jedenfalls scheitert die Ampel nicht.

Die Ampel ist ein Medienprojekt

Politik ist eine Art Überbietungswettbewerb: Wer bietet mehr von dem, was die Medien in Deutschland übereinstimmend für richtig halten. Es ist ein Teufelskreis: Medien sind entweder ganz staatlich finanziert oder hängen mittlerweile über umfangreiche Werbeschaltungen so am staatlichen Tropf, dass sie nicht zu kritisch sind. Und ihre Verlegerverbände betteln nur noch um mehr.

Subvention aber macht abhängig. Wer zahlt schafft an. Die meisten Journalisten lieben auch ohne Staatsknete die Grünen. Wer nicht mitmacht, wird an die rechte Wand geschrieben. Nur so ist das grüne Wohlverhalten der meisten Medien zu erklären.

Zeit zum Lesen
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Wir haben eine Außenministerin, die sich durch die Welt stammelt, ihre politischen Hobbys pflegt und global mit Steuergeld finanziert, aber kaum die Interessen der Bundesrepublik wahrnimmt; eine Verteidigungsministerin die von ihrem Amt weder etwas versteht noch etwas davon wissen will; eine Innenministerin, die mit 3000 Beamten einen Operettenputsch niederschlägt, aber für die Verfolgung von Spionen keine Beamten mehr hat, und einen Arbeitsminister, der den frühzeitigen Ruhestand verantwortet, den Fachkräftemangel produziert und mit Bürgergeld dafür sorgt, dass sich Arbeit nur ja nicht mehr lohnt. Und da haben noch nicht von der gescheiterten Wirtschaftspolitik eines Robert Habeck geredet oder von Christian Lindner, der den Haushalt im Gleichgewicht hält, indem er Schulden zu Sondervermögen umdefiniert. Wofür früher Regierungen von den Medien zerrissen, verprügelt und verhöhnt worden wären, herrscht heute eitel Sonnenschein: Man kennt sich, man hilft sich, man finanziert sich gegenseitig medial und pekuniär. Die Ampel ist eine Art Medienprojekt, und gemeinsam ignoriert man Bevölkerung und Wirklichkeit.
Politik ignoriert Wirklichkeit

Der Satz, wonach Politik mit dem Betrachten der Wirklichkeit beginnt, gilt nicht mehr. Energieminister Robert Habeck erfindet eine neue Maßeinheit für Energie, die „Klimawattstunde“. An ihr will er die Energiepolitik ausrichten. Der Begriff ist nirgends definiert, aber die Redakteure der FAZ lassen ihn unwidersprochen laufen. Der Bürger staunt und akzeptiert, das Handelsblatt wählt Habeck zum „Politiker des Jahres“. Die Wirklichkeit wird einfach umdefiniert, bis sie in die Phantasiewelt der Erzählung von der Klimawattstunde passt. Auch die Erde wird grün größer, ihr Umfang wächst auf „Hunderttausende Kilometer“ (Baerbock), man staunt und schweigt. Arzneimittelknappheit wird dadurch bekämpft, dass „Arzt und Apotheker“ gegendert werden sollen, was bewundernde Schlagzeilen produziert – aber leider keinen Hustensaft. Je näher die Wirklichkeit rückt, umso schneller läuft die Begriffsmaschine.

Symbolische Aktionen sollen ablenken und gereinigte, begrifflich reduzierte Sprache gleichzeitig den neuen, begriffsstutzigen Menschen erzeugen: Geschichte wird gecancelt, Namen wie Bismarck verschwinden, Straßen werden umgetauft, kleinste Minderheiten zur gesellschaftsbestimmenden Dominanz aufgeblasen. Ein Wirbel ständig neuer Symbole, Aktionen, Begriffe soll die Wahrnehmung vernebeln. Ein Zauber revolutionärer Veränderung liegt in der Luft: Auf die innerhalb weniger Monaten gescheiterte „feministische Außenpolitik“ folgt eine „feministische Wirtschaftspolitik“. So stolpert Ampel-Deutschland durch Krisen, die es selbst geschaffen hat – und in denen es sich wohlfühlt.

Inflation und Schrumpfwirtschsaft ergibt Stagflation

Nun sind Klimawattstunden und feministische Wirtschaftspolitik infantile Schaumblasen. Die Fakten sind andere. Die Inflation wird auch im kommenden Jahr nicht sinken, schon weil der Energiemangel sich zuspitzt. Robert Habeck freut sich, dass der Winter nicht so „knackekalt“ wird. Beginnt er langsam die Vorteile der Klimaerwärmung anzuerkennen? Das gespeicherte Gas reicht wohl bis ins Frühjahr. Dann fallen auch die letzten Kernkraftwerke der Ampel-ideologie zum Opfer. Und dann? Braucht Deutschland kein Prozess-Gas im Sommer, und nur gelegentlich Strom? Ein oder zwei geleaste LNG-Terminals und teuer eingekaufte Restmengen von Öl und Gas auf globalen Spot-Märkten reichen nur für eine Art Spott-Wirtschaft. Deutschland fehlt jedes Konzept für eine sichere Energie- und Rohstoffversorgung.

Nachsichtige Berichterstattung trotz Versagen
Schmusekurs der Medien – doch nur dosierte Gegenliebe bei Grünen und SPD
Aber was soll’s? Das neue Leitbild der grünen Wirtschaftspolitik ist ohnehin De-Growth, die Halbierung der wirtschaftlichen Leistung. Ging uns doch auch in den 70ern ganz gut? Natürlich soll die Halbierung des Einkommens und damit der Renten nur für die Anderen gelten. Den Gürtel enger schnallen jedenfalls wollen weder die staatsfinanzierten Abgeordneten, die Beschäftigten der NGOs und Parteien, auch nicht die Beschäftigten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, deren Bildschirmprediger ständig Verzicht auf Fern- und Flugreisen fordern, denn das sei „kein Grundrecht“.

Vermieter sollen fürs Vermieten mit höheren Energiekosten bestraft werden, die Mieten sinken; der staatliche Wohnungsbau stagniert und mit halbierte Mieten sollen private Neubauten finanziert werden deren Baukosten wegen immer neuer Regulierungen ungehemmt steigen: Nichts passt zusammen in der neuen grünen „Care-Wirtschaft“ (Ricarda Lang), die aus immer niedrigerem Bruttosozialprodukt immer höhere Care-Leistungen für Staatsdiener, Zuwanderer und Sozialleistungsempfänger finanzieren sollen. Den Gürtel sollen alle enger schnallen, rät auch die FDP und fummelt nur am Gürtel der letzten Leistungsträger, nicht aber am eigenen herum.

Von Stagnation zu träumen ist einfach, die wachsende Armut zu organisieren schwierig. Selbst der früheren SPD-Generalsekretärin, SPD-Staatsekretärin und neuerdings DGB-Vorsitzenden Yasmin Fahimi  wird es langsam mulmig: Sie warnt vor drohender Desindustrialisierung; antikapitalistische Grundsatzdebatten sichern keine Jobs. Während in den grünen Politik- und Parlamentsräumen das hohe Lied der Bescheidenheit der Anderen und die Schönheit des Urlaubs auf Balkonien, die Fortschrittlichkeit von Lastenfahrrädern und verdreckten, verspäteten S-Bahnen angestimmt wird, ahnen selbst die Gewerkschaftsfunktionäre mittlerweile, dass sie von ihren Mitgliedern nicht für die Organisation des Weniger bezahlt werden, sondern für Einkommenssteigerungen, und zwar real und netto. Oder ist die Zwangsmitgliedscdhaft im DGB bald wieder Pflicht? Dann wäre wenigstens ein Widersacher ausgeschaltet.

Einstimmung auf die Schrumpfwirtschaft

Einige ahnen es, dass das nicht gutgehen könnte. Die Industrie hält weitgehend still. Die Großen von VW bis Daimler oder Thyssen und BASF haben sich längst auf die neue Subventionswirtschaft eingestellt: Stillschweigend bauen sie Arbeitsplätze in Deutschland ab und canceln Investitionen. Laut fordern sie immer neue Subventionen. Für das E-Auto, für hohe Energiekosten, für Umstellung wettbewerbsfähiger Produktions auf subventionierte Herstellung von Produkten, die keiner freiwillig kauft: Auf Cash für E-Autos folgt der milliardenteure Umbau zu „grünem Stahl“ und grünem Zement; Landwirtschaft soll ohnehin zu einem ökologischen Kleingarten für Bienen und Schmetterlingen umstrukturiert werden.

Neujahrsansprache 2022 des Bundeskanzlers
Viel weiße Salbe, viele Plattitüden, null Selbstkritik
Branchen, die den Wohlstand über Löhne, Steuern und Abgaben finanziert haben werden zu Bettelbetrieben, zu staatlich betreuten Klima-Werkstätten. Die Manager machen gerne mit: Sie lassen sich als Öko-Heldinnen feiern, kassieren gerne Prämien für staatlich garantierte und damit risikolose Gewinne und entdecken den Reiz der Work-Life-Balance. Die Finanzindustrie ist happy, wenn ihr der Staat wie im Fall Uniper den Abschied aus der Produktion vergoldet oder ihre Unternehmen mit Staatszuschüssen für ökologisch korrektes, aber ökonomisch irrsinniges Produzieren zu neuer Scheinblüte aufpumpt. Die von der Vorsitzenden der Grünen propagierte Care-Wirtschaft wird zur Versorgungswirtschaft für alle, die ihre großen Löffel raushalten, wenn es Staatsknete regnet. Der von den alten Linken gefürchtete Staatsmonopolistische Kapitalismus („Stamokap“), das Zusammenspiel von Konzernen und Staat, erwacht zu neuem Leben im hübschen, grünen Gewand. Und wieder ebnen die Medien den Weg.
Endlich klappt Sozialismus mal

„Der klassische Kapitalismus funktioniert nicht mehr. Aber angetrieben von immer neuen Weltkrisen und einem drohenden Klimakollaps zeichnen sich konkrete Reformideen ab: weniger Wachstum, mehr staatliche Zielvorgaben“, formuliert der Spiegel vortrefflich das neue Wirtschaftsleitbild, das 150 Jahre alt ist. Über die Ironie sind sich die Spiegel-Autoren nicht im klaren: Mehr staatliche Zielvorgaben machen die Sache schlimmer statt besser. Warum Planwirtschaft nicht funktioniert, ist eine hundertjährige Debatte, geführt von den größten Köpfen ihrer Zeit. Aber Friedrich August von Hayek, Ludwig von Mises, Josef Schumpeter oder Ludwig Erhard – nichts von ihren Erkenntnissen ist den neuen Autoren bekannt, nicht mal Karl Marx.

Auch Marx wollte die Ausgebeuteten der Welt nicht zu Armut, sondern zu Wohlstand führen, mittels Sozialismus. Im sozialistischen Alltag hat die Staatswirtschaft weder in der DDR, in der Sowjetunion oder in China ihr Wohlstandsversprechen einlösen können. Wenn schon Sozialismus nicht zu mehr Wohlstand führt: Mit mehr Staatswirtschaft zu mehr Armut, dieses Rezept der neuen Ideologen der grünen Wirtschaft allerdings könnte klappten, wie die Geschichte eindringlich bewiesen hat. Wenigstens das.

Die Ampel scheitert nicht an der Konkurrenz von der CDU. Wenn sie scheitert, dann an den Folgen ihrer Politik der Verarmung. Aber das dauert noch ein wenig. Reich ist das Land, hat Reserven und immer noch tüchtige Menschen. Das alles zu verspielen und zu zerstören erfordert Ehrgeiz, Initiative und Einsatz. Daran mangelt es der Ampel nicht.

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