Erst jeden Tag Griechen-Drama bis zum Überdruss – und jetzt Stille: Ist jetzt alles gut mit dem Hilfsprogramm von 86 Milliarden Euro? Was bedeutet das langfristig für die EU, und vor allem: Für die Zukunft der Europäischen Zentralbank als Instititution, die die Währungsstabilität bewahren soll?
1. Ist Griechenland gerettet?
Nicht wirklich. Mit dem Hilfspaket kann Griechenland rund 35 Mrd. Euro fällige Schulden bezahlen – das ist gut für die Gläubiger und für den Ruf Griechenlands – aber das war´s dann auch. 25 Milliarden Euro gehen an die kaputten griechischen Banken, damit diese wieder flüssig sind. Das ist auch dringend nötig, denn ohne Banksystem kann keine Wirtschaft existieren. Fast 15 Mrd. Euro fließen in die Staatskasse, damit das Land Beamte, Rentner und Militär bezahlen kann. Keine der Maßnahmen wird die Wirtschaft ankurbeln – im Gegenteil: Weil die Banken geschlossen waren, gingen viele Unternehmen pleite, andere flüchteten, nach Bulgarien oder Deutschland. Nach nur 6 Monaten Syriza-Regierung steht Griechenland wirtschaftlich so schlecht da wie noch nie – und das Geld wird wieder nicht reichen.
2. Wie war das mit der Transfer-Union?
Damit gleicht das Hilfsprogramm die klaffenden Lücken auf und es wird deutlich: Ohne Hilfe von außen ist Griechenland nicht überlebensfähig. Es hat sich eingerichtet als Gesellschaft, deren Lebensstandard von anderen garantiert werden muss. Zwar mit sinkendem Niveau, aber ohne Hilfe läuft nichts. Und zwar dauerhaft – damit ist das Hilfsprogramm nichts anderes als der leise Einstieg in das, was ursprünglich mal, bei Gründung der Euro-Zone, so ganz und gar ausgeschlossen wurde: Der Einstieg in die Transferunion. Der reiche Norden wird dauerhaft für den Süden zahlen. Es kommt zu einer Umverteilung zu Lasten der wirtschaftsstärkeren Länder; Griechenland bleibt am Tropf. Aber warum nur Griechenland? Diese Frage wird sich spätestens beim nächsten Wirtschaftsabschwung stellen: Warum nicht auch Portugal? Oder Spanien? Oder, oder, oder?
3. Welche Rolle spielt dabei die EZB?
Griechenland überlebte bislang ohnehin wirtschaftlich nur, weil die Europäische Zentralbank (EZB) immer neue und höhere Notkredite zur Verfügung stellte. Eigentlich hätte, wenn schon, die europäische Politik Steuermittel zur Verfügung stellen müssen – etwa so, wie Westdeutschland nach der Wiedervereinigung ja auch für die neuen Bundesländer riesige Milliardenbeträge zur Verfügung gestellt hat. Aber das wollte man den Wählern nicht zumuten. So verschwanden die vielen Milliarden für Griechenland wie beim Hütchen-Spielertrick: Die Kugel liegt da, wo sie keiner vermutet, nämlich unter dem Hütchen mit der Aufschrift „EZB“. Die EZB ist in die Lücke einer entscheidungsschwachen Politik gesprungen. Anfangs fanden alle ganz toll, dass die EZB sich als einzig handlungsfähige EU-Institution aufführte. Sie verließ ihr Mandat, und das ist die Sicherung der Währungsstabilität, und wurde zum pan-europäischen Finanzminister, der die Mittel zur Verfügung stellt und übrigens anfangs ebenfalls Forderungen nach Reformen daran knüpfte – wie ein paneuropäischer Wirtschaftsminister. Aber davon ist nicht viel übrig geblieben – außer Geld für Griechenlands Haushalte aus der virtuellen Frankfurter Gelddruckerei.
4. Wie ging diese EZB-Kreditvorgabe vor sich?
Das wurde nach vielen Tarn- und Täuschungsmanövern in den letzten Wochen sichtbar: Die EZB räumte den bankrotten griechischen Banken Kredit ein, indem sie wertlose Schuldverschreibungen als „Sicherheit“ akzeptierte. Also wurden frische Euros nach Athen getragen. Dort wurden sie von Bürgern und Unternehmern abgehoben. Die hatten damit kaufkräftige Ansprüche in Form von Euro-Noten in der Hand. Schön für die Griechen. Ähnlich lief es mit der Annahme von griechischen Staatsanleihen, die via Banken in Frankfurt eingereicht wurden: EZB-Kredite, abgesichert mit Papieren, die nichts wert sind. So entstand eine gigantische Kreditblase in den Bilanzen der EZB, die niemals abgetragen werden kann. Und: Warum nur für Griechenland? Wenn irgendwann irgendein anderes Land in eine Krise gerät, dann wird die EZB auch dort einspringen müssen. Gleiches Recht für Alle heißt: Euro-Kredit für Jeden. Statt sich um stabiles Geld zu kümmern, druckt die EZB dann immer mehr frisches Geld für Pleite-Staaten, um sie vor dem Bankrott zu retten. Die EZB finanziert die große Schulden-Sause in der Hoffnung, dass so die Wirtschaft angekurbelt wird.
5. Was bedeutet das für die EZB?
Es ist der Hütchen-Spieler-Trick: solange keiner das richtige Hütchen aufdeckt – gar nichts. Auf dem Papier ist alles in Ordnung. Dumm ist nur, dass Griechenland nicht auf die Füsse kommt. Darum ist ja die Forderung des IWF nach einem Schuldenschnitt so gefährlich für Europa: Streicht man Griechenlands Schulden, fällt auch die aufgeblähte Bilanz der EZB in sich zusammen. Aber das sind eher buchhalterische Betrachtungen. Die EZB hat ihren Charakter verändert: Sie wurde vom Treiber zur Getriebenen. Die EZB kann nicht mehr autonom entscheiden: Stoppt sie ihre laufende Kreditvergabe an Griechenland, bricht ihr System zusammen, das ja darauf beruht, alte, faule Kredite durch neue, noch faulere zu ersetzen. Die EZB findet keinen Ausstieg aus der Schuldenfinanzierung Griechenlands. Sie hat sich von der Politik in diese Rolle drängen lassen und muss jetzt feststellen, dass sie eben nicht mehr unabhängig agiert, wie es eigentlich richtig und notwendig wäre – sondern eingebunden ist in ein Geflecht von Abhängigkeiten, das ihr keinen echten Spielraum mehr lässt, zukünftig die Sicherung der Währungsstabilität zu gewährleisten.
6. Was bedeutet das für die Inflationsbekämpfung?
Als europäische Schuldenfabrik kann die EZB ihre eigentliche Aufgabe nicht mehr erfüllen: die Inflation zu bekämpfen. Inflation bekämpfen aber heißt: Zinssätze rauf. Hohe Zinsen belasten die Wirtschaft, erhöhen die Arbeitslosigkeit, der Staat kann mit höheren Zinsen seine Schulden nicht mehr bezahlen. Keiner mag Anti-Inflationspolitik, und doch ist sie notwendig. Als Staatsfinanzierer aber steckt die EZB jetzt in der Falle: Anti-Inflationspolitik schadet ihr selbst. Mit höheren Zinssätzen triebe sie Griechenland und andere Länder zur Offenbarung, dass sie ihre Staatsschulden nicht mehr finanzieren können. Ohnehin ist dem Zentralbankrat der EZB ist das Ankurbeln der Wirtschaft wichtiger als die Inflation zu bekämpfen. So war das auch immer in Frankreich und Italien. Die EZB-Gremien haben sich dem politischen Druck der Südländer gebeugt, und es ist nicht ersichtlich, wie sich das ändern soll. Man kann es auch so sagen: Die EZB wurde nach dem Muster der Bundesbank konstruiert, von Bundesbankern dominiert, und aus symbolischen Gründen in Frankfurt angesiedelt.
Aber faktisch wurde sie von der Wirtschaftspolitik südlicher Tradition gekapert, die geldpolitischen „Falken“ in der Tradition der Bundesbank vertrieben. Klar ist: Währungsstabilität ist als Ziel in den Hintergrund getreten. Man könnte schon heute die Protokolle der zukünftigen Sitzungen ihrer Gremien formulieren: Da wird der Bundesbankpräsident, wenn er überhaupt noch Sitz und Stimme im Rotationsverfahren des Zentralbankrates hat, sofortige Maßnahmen fordern – aber er wird von der Mittelmeer-Mehrheit überstimmt: Lieber etwas Inflation als höhere Zinsen und Arbeitslosigkeit; dieses Argument kennt man ja schon von Helmut Schmidt – der dann beides hatte: Inflation UND Arbeitslosigkeit Das war bei der Bundesbank anders. Denn Inflationsbekämpfung erfordert Mut. Den hatte früher die Deutsche Bundesbank. Ihre Chefs legten sich mit Bundeskanzlern und Wirtschaftsministern an, sie haben sich nicht beeinflussen lassen. Ihr eisernes Gesetz lautete: Nur gesundes Geld, eine Währung ohne Inflation schafft langfristig Wachstum, Wohlstand, Arbeitsplätze. Immer wieder gab es Krach zwischen Bundesbank (erhöht Zinsen) und Bundesregierung (fordert niedrige Zinsen). Fragen Sie mal Ihr Sparbuch und sie wissen, auf welcher Seite die EZB steht: Null Zinsen sind ihr Rezept, weil Inflationsbekämpfung keine Rolle mehr spielt.
7. Droht Inflation im Euro-Raum?
Eine Voraussetzungen über eine aufgeblähte Geldmenge ist vorhanden – Inflation bedeutet ja, dass zu viel Geld zu wenig Gütern nachjagt. (Ein Bild von Milton Friedman) Nur am „nachjagen“ fehlt es noch. Inflationsvoraussetzungen sind also gegeben, Inflationsimpulse fehlen. Aber die können jederzeit auftreten: Wenn der Euro-Kurs weiter sinkt, und dadurch notwendige Importe sich verteuern; weil Gewerkschaften satte Lohnerhöhungen fordern und das auf die Preise durchschlägt. Noch ist die Inflation keine Gefahr. Noch wird vieles billiger, statt teurer. Aber die explorierenden Preise für Häuser, Wohnungen, Grundstücke zeigen: Die Inflation kann jederzeit aus den Löchern kriechen und unser Geld kaputt machen. Dann gibt es niemanden, der sie schnell, hart und brutal niederkämpft wie früher die Bundesbank. Die EZB hat sich selbst gelähmt und in die Abhängigkeit von Politik und Konjunkturpolitik sowie Haushaltsfinanzierung begeben. Sie kann nicht mehr frei agieren. Für die gemeinsame Währung ist das gefährlich, weil sie drei enormen Risiken ausgesetzt ist:
- Den Haushaltsrisiken, weil die Schuldenfinanzierung der Staaten durch die EZB kaum mehr gebremst werden kann, wie Griechenland exzellent vorführt. Denn klar ist: Kurzfristig ist Griechenland für viele Politiker abschreckend – in die peinliche Lage eines Bettlers wie Alexis Tsipras will keine geraten. Aber immerhin führt er vor, dass man nur kaltschnäuzig genug agieren muss, und dann fließen doch EZB-Geld und Steuermittel.
- Dem Stabilitätsrisiko, weil sich die EZB selbst geschwächt hat und keine starke Rolle mehr im Verhältnis zu den Euro-Staaten hat, sondern letztlich vollkommen durchpolitisiert wurde.
- Von einem drohenden Grexit – denn wegen der katastrophalen Lage in Griechenland ist dieser keineswegs ausgeschlossen. Dann verliert die EZB ihre Provinzen.
Damit bleibt: Die EZB hat ihren Einfluss weit überdehnt – und sich damit selbst entmachtet.