Die Europäische Zentralbank öffnet die Geldschleusen noch weiter. Das umstrittene Anleihen-Kaufprogramm soll nun bis Ende März 2017 laufen und nicht mehr im September 2016 enden.Die EZB weitet damit ihr Anleihenkaufprogramm aus und senkt gleichzeitig den Einlagenzins von minus 0,2 auf minus 0,3 Prozent – der negative Zinssatz für Einlagen, die die Banken bei der EZB zahlen, wenn sie dort wie Sie und ich auf dem Dispokonto Geld zwischenparken. Der Leitzins wird unverändert beim Rekordtief von 0,05 Prozent. Überraschend ist das Ergebnis nicht – es war eher noch mehr erwartet worden. Das entschied der EZB-Rat am Donnerstag in Frankfurt.
Große Gegenwartsthemen wie Krieg und Flüchtlingskrise verdrängen Themen, die nicht kleiner und auch kaum unwichtiger sind – aber älter, und an die wir uns schon etwas gewöhnt haben wie an heulende Laubbläser im November. Die Euro- und Währungskrise ist so ein Thema. Nur Fachleute diskutierten in den letzten Wochen darüber. Dabei ist die Strategie dahinter mehr als fragwürdig.
„Inflation so schnell als möglich steigern“
Und fragwürdig sind Aussagen, über die man sich noch vor einigen Wochen aufgeregt hätte, beispielsweise die folgende des Chefs der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi: „Wir werden tun, was wir tun müssen, um die Inflation so schnell als möglich zu steigern“ .
Diesen Satz von Ende November sollte man sich in seiner Absolutheit auf der Zunge zergehen lassen: „Alles tun, um die Inflation so schnell als möglich zu steigern“. So dahin gesagt heißt das: Inflation ist die vornehmste Aufgabe der Zentralbank.
Im Gesetz liest es sich anders: „Das vorrangige Ziel des Europäischen Systems der Zentralbanken (im Folgenden ,ESZB‘) ist es, die Preisstabilität zu gewährleisten. Und nun also Inflation statt Preisstabilität – weil „wir es müssen“?
Mit den heutigen Beschlüssen kommt sie ihrem Ziel näher, so Hans-Werner Sinn vom Ifo-Instiutt für Wirtschaftsforschung:
„Das QE-Programm hatte bereits gewaltige Dimensionen. In der Tat hat es dazu geführt, dass der Euro stark abwertete. Das ist alles, was die EZB braucht, um die europäische Wirtschaft mittelfristig zu inflationieren, wie sie es vorhat“, sagte Sinn am Donnerstag in München. Man sehe die Effekte auch bereits in der Kern-Inflationsrate, die seit dem Jahresbeginn angezogen habe. „Noch mehr zu tun, ist angesichts der starken, bislang schon sichtbaren Effekte übertrieben. Es stärkt den Verdacht, dass es der EZB statt um Preisstabilität um die Rettung maroder Staaten und Banken geht.“ Das indes sei eine wirtschaftspolitische Zielsetzung, die nicht durch das Mandat der EZB gedeckt sei. Die EZB habe sich zu einer Bail-Out-Maschinerie entwickelt, die ihre geldpolitischen Ziele vorschiebe, um den Eindruck zu erwecken, sie bewege sich im Rahmen ihres Mandats.
Es gibt kein Müssen. Zwar macht sich die EZB ohnehin den Job leicht – Preisstabilität ist nach ihrem Verständnis, wenn die Preise um bis zu zwei Prozent im Jahr steigen. Diese Inflationsgrenze wurde ziemlich leichthändisch verabschiedet – um mögliche Berechungsfehler auszugleichen und Abstand zur Null-Inflation zu bewahren. Das zwei-Prozent-Ziel ist nun historisch gesehen keine gewaltige Inflation, aber immerhin werden bestehende Geldvermögen damit in 20 Jahren halbiert. Das müßte doch zu schaffen sein, selbst wenn man so wenig ehrgeizig ist wie die EZB.
Es mag auch sein, dass Draghi diesen Satz nur für die derzeitige Situation formuliert und zugespitzt haben will: Die EZB hat Angst vor Deflation, also einem Rückgang von Preisen. Auch das wäre eine Verletzung der Preisstabilität, selbst bei Deflation droht dem Wohlstand Gefahr, zumindest theoretisch: Wenn richtig Deflation herrscht und wir sicher sein können, dass morgen alles billiger ist, kaufen wir nicht mehr vor, sondern erst nach Weihnachten die Geschenke, so die etwas abstruse Sorge der Deflations-Befürchter. Dass Geiz geil ist und niedrige Preise eher die Nachfrage anheizen statt bremsen – das wird bei der EZB gerne vergessen.
Geiz ist nicht geil – in der Geldtheorie
Zwar könnte generell diese seltene Form der Kaufzurückhaltung tatsächlich die Wirtschaft schwächen, weil Investitionen nicht mehr getätigt werden, da die mit den neuen Maschinen hergestellten Produkte täglich im Preis verfallen. Theoretisch ist so etwas möglich – Investitionen könnten nicht mehr zurück verdient werden, wenn Preise unkalkulierbar fallen. Aber es gibt keine langhaltende, kräftige und sich beschleunigende Deflation. Und selbstverständlich können auch Investoren mit fallenden Preisen umgehen, ja, sie planen sie sogar ein: Gerade bei technischen Innovationen wie Chips und Elektronik ist der Preisverfall Teil des „Moore`schen Gesetzes“, wonach sich die Leistung alle 18 Monate verdoppelt – nicht aber die Preise.
Draghis Gespenst von der Deflation
Die Deflation ist vielmehr ein Gespenst, das außer Draghi kaum jemand fürchtet. Im gesamten Euro-Raum beträgt die Rate der Inflation gerade 0,1 Prozent und ist damit nahe an der Null-Linie. Aber auch ein geringfügiges Durchbrechen nach unten wäre keine Katastrophe, so wie man bei den Stellen hinter dem Komma in Richtung Inflation ja auch nicht in Inflations-Panik ausbricht, sondern sogar zwei Prozent als „Normal-Null“ annimmt. In Deutschland steigen die Preise ohnehin um 0,4 Prozent; von Deflation keine Spur. Dafür verantwortlich sind vor allem Lebensmittel. Milch, Fleisch, Kartoffeln und Gemüse legen um 2,3 Prozent zu. Die Preise nach unten ziehen notorisch immer preiswertere elektronische Geräte wie Computer, Fernseher und Smart-Phones – also Produkte, die in Deutschland in nennenswerter Zahl sowie so nicht mehr hergestellt werden. Was daran schlecht sein soll, wenn diese Importe aus China billiger werden, versteht kein Mensch – diese Deflation ist vielmehr übel für China und wunderbar für deutsche Konsumenten. Auch die ständig sinkenden Ölpreise fallen in die Kategorie „guter“ Deflation – diese Art von Deflation macht mehr aus unserem Geld, weil notwendige Importe billiger werden.
Über immer neue, superbillige Kredite an Staat und Banken soll die Investitionstätigkeit angekurbelt werden und so die Wirtschaft in Schwung kommen – wobei der Wirkungszusammenhang eher theoretisch-versponnen als realwirtschaftlich ist: Unternehmen schaffen Arbeitsplätze, wenn sie begehrte und preisgünstige Produkte herstellen, nicht weil die Zinsen niedrig sind. Die so ausgelöste Inflation hat ein anderes Ziel, denn Inflation hat immer einen Gewinner: die hochverschuldeten Staaten. Sie entschulden sich so auf Kosten der Bürger.
Vorhersagegemäß hat es jetzt am Donnerstag in Draghis Pressekonferenz nach der Rats-Sitzung der EZB tatsächlich etwas geben – noch mehr Milliarden, die in den Geldkreislauf gepumpt werden. Bereits nach dem ursprünglichen, schon höchst fragwürdigen Beschluss kaufte sie für monatlich 60 Milliarden Euro solche Anleihen. Das Kaufprogramm für insgesamt 1,13 Billionen, also für weit über tausend Milliarden Euro, bleibt beibehalten. Dies alles steht nicht im Aufgabenkatalog im Gesetz, und kein Parlament beschäftigt sich damit – weswegen der Euro-Kritiker Peter Gauweiler erneut dagegen vor dem Bundesverfassungsgericht klagt.
Inflation wirkt bereits
Dabei sind die Folgen dieser Politik jetzt schon spürbar: Ungebremst steigen die Immobilienpreise, weil die Anleger in vermeintlich sicheres „Betongeld“ flüchten. Die Aktienkurse steigen wie von Zauberhand nach oben gezogen – lieber überteuerte Anteile an Unternehmen kaufen, statt Bargeld vergammeln lassen, lautet die Devise der Anleger. Und immer prekärer wird die Lage für die Lebensversicherten, Bausparer und die vielen beruflichen Versorgungswerke etwa für Ärzte und Apotheker, aber auch für die Betriebsrenten: Sie alle erhalten nichts mehr für ihr Erspartes und die Versorgungspläne für das Alter lösen sich in Draghis heißer Inflationsluft auf. Schon heute wird damit Altersarmut produziert – nicht für Draghi persönlich, aber für fast alle Anderen.
In wenige Tagen wird ein weiteres wichtiges Signal erwartet: Die amerikanische Notenbank wird anders als Draghi schrittweise versuchen, die Zinsen zu erhöhen. Dann kann es sein, dass Anlegergelder in den Dollar fliehen, der Euro zum Dollar weiter abwerten: Weil dann die Importe teurer werden, wird Inflation importiert. Auch diese Senkung wird erwartet; allerdings ist die FED nicht so eindeutig vorauszusagen wie die EZB, die ihr Handeln ja angekündigt hat.
Im ersten Schritt hat der Euro am Donnerstag gewonnen, weil nach den wochenlangen Spekulationen noch mehr Cash von der EZB erwartet worden war.
Draghi wird also sein Ziel erreichen – Inflation. Vielleicht zunächst nur um ein paar unschädlich aussehende Zehntel-Prozent. Aber mit der Inflation ist es wie mit einer Lawine: Sie fängt ganz klein an.
Mit den riesigen Milliardenbeträgen ermöglicht die EZB den bereits völlig überschuldeten Staaten, sich weiter mit Krediten zu finanzieren und ihre Staatsverschuldung auszudehnen, statt ihre Haushalte zu sanieren.
Zugleich übernimmt die EZB Ausfallrisiken in Höhe von hunderten Milliarden Euro. Diese Risiken werden vergemeinschaftet und letztlich auf die Steuerzahler der Eurostaaten umverteilt. „Der deutsche Bundeshaushalt wird mit Risiken von mindestens 100 Milliarden Euro, im schlimmsten Fall mit mehreren hundert Milliarden Euro belastet, ohne dass die EZB den Bundestag gefragt hätte,“ schreibt Peter Gauweiler dazu.
All dieses vollzieht sich im Aufmerksamkeits-Schatten von Flüchtlingskrise und Syrien-Krieg. Es ist mehr als lästige Laubbläserei: Hier werden fortgesetzt Säulen unseres Wirtschaftssystems angegriffen.
Lesen Sie morgen von Peter Gauweiler hier: „Darum klage ich erneut gegen diese Politik und mögliche Befangenheit des EZB-Präsidenten.“