Tichys Einblick
Freiwillige vor

Impfstrategie: Zunächst die Jungen statt die Alten, und dazu privat

Die Impf-Planwirtschaft der Bundesregierung ist krachend gescheitert. Besser wäre es, Erwachsene, die eine Impfung aktiv nachfragen, früher zu impfen statt Ältere, die an den Nebenwirkungen leiden. Und warum dürfen Freiwillige sich nicht privat impfen lassen?

picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Patrick Pleul

Bekanntlich soll man Politik an ihren Ankündigungen messen. Hält sie, was sie versprochen hat? Das große Versprechen ist die Corona-Impfung. Dann dürfen wir wieder arbeiten, Steuern zahlen, reisen, sogar ein paar Grundrechte will uns Außenminister Heiko Maas dann wieder aushändigen. Bis wir geimpft sind, bleiben wir rechtlose Wesen ohne Grundrechte. So einfach geht das. Aber wie ist das mit dem Impfen? Können wir uns unsere Grundrechte wieder erimpfen? Dass diejenigen, die sich impfen lassen wollen nicht geimpft werden können – aber dafür bestraft werden sollen ist eine Situation, die sich nur ein Heiko Maas ausdenken kann: Ideologisch blind an der Realität mangelnder Versorgung vorbei.

Genau das ist der Haken an der Sache: Vielleicht im kommenden Jahr. Gesundheitsminister Spahn ist krachend gescheitert – unsere Nachbarländer Italien, Slowenien, Österreich impfen schneller, Großbritannien und die USA liegen mit Trumps Impftempo weit vorne, von Israel ganz zu schweigen. Bloß im Erfinderland Deutschland hakt es massiv – große Leistung, Jens Spahn! Und wir fallen zurück, statt aufzuholen. Viellicht sollte Spahn in die Immobilienwirtschaft wechseln. Da scheint er sich besser auszukennen, dort liegt seine Leidenschaft.

Warum es falsch ist, Älteste vorab zu impfen

Weil der Impfstoff nach dem EU-Pfusch so knapp ist, bleibt in diesem Jahr bis auf weiteres der Impfstoff für Altersheime und Pflegepersonal reserviert.

Das RKI rechtfertigt seine Strategie mit der höheren Bedrohung für Ältere durch das Virus. „Für jüngere Menschen (<60 Jahre) ist auch bei Vorliegen einer Vorerkrankung die Wahrscheinlichkeit, an COVID-19 schwer zu erkranken oder zu sterben, deutlich niedriger als bei älteren Menschen, unabhängig von Vorerkrankungen. Es wurden verschiedene Impfstrategien mathematisch modelliert, um herauszufinden wie die größte Anzahl an COVID-19-Hospitalisierungen und -Todesfällen verhindert werden können. Dies ist der Fall, wenn zunächst Menschen im Alter ≥ 80 Jahre und BewohnerInnen von Alten- und Pflegeheimen die Impfung angeboten wird.“

Klingt irgendwie plausibel. Bei genauerem Hinschauen aber tauchen Fragen auf. Wenn Jüngere nicht so stark betroffen sind, warum werden sie dann an der Wiederaufnahme des normalen Lebens gehindert und mit dem Erwerb immer teurerer Masken traktiert? Vor allem aber: Der Impfstoff wurde breit getestet – an über 40.000 Menschen. Allerdings waren kaum Ältere darunter. Der Grund ist einfach: Ältere werden bei neuen Medikamenten kaum getestet; bei den aktuellen Studien sollen es nur ein Dutzend Versuchspersonen sein. Denn es ist aufwendig, teuer, kompliziert, Ältere zu testen.

„Viele klinische Tests schließen die Älteren aus, weil erheblich mehr Zeit und Planung nötig sind, sie einzubeziehen. Da spielen Kostengründe eine entscheidende Rolle. Außerdem haben Impfungen bei Älteren mehr Nebenwirkungen – diese festztustellen würde aber das Zulassungsverfahren bei der FDA verlängern“, kritisiert Churl-Su Kwon von der Icahn School of Medicine in Bezug auf die Situation in den USA. In Europa ist die Lage aber kaum anders.

Damit wird die Impfung an Menschen vorgenommen, bei denen das Risiko nicht angemessen getestet wurde. Es sind Menschen, die praktisch alle schon mehr oder minder schwer krank sind und die unbestreitbare zusätzliche Belastung möglicherweise kaum verkraften können. In Norwegen wurden diese Erkenntnisse bereits in die Impfstrategie aufgenommen.

„Während die bei mRNA-Impfstoffen beobachteten Nebenwirkungen für jüngere, fittere Patienten meist keine Gefahr darstellen, könnten sie bei älteren Menschen Grunderkrankungen verschlimmern“, erklärte Steinar Madsen, medizinischer Direktor der Norwegischen Gesundheitsbehörde, gegenüber dem British Medical Journal.

Das klingt nicht gut. Die richtige Strategie wäre, Ältere vor Ansteckung zu schützen, und sehr viele Heime zeigen: das geht. Aber Impfung durchziehen bei Menschen, die es nicht vertragen? Das ist fragwürdig. Ohnehin kann von „Angeboten“, wie das RKI so schön formuliert, kaum die Rede sein. In den Heimen wird durchgeimpft, viele Ältere haben nicht mehr die Kraft, sich dagegen zu wehren, oder werden eingeschüchtert durch die massiven Bedrohungen, wie sie Maas und andere ständig äußern.

Wenn schon impfen, dann Jüngere: Jeder, der will, sollte sofort eine Impfung bekommen können

Vielleicht wäre eine andere Impfstrategie vernünftiger – nämlich eine, die auf die typischen Erwerbstätigen abzielt? Tatsächlich sind es ja die Erwerbstätigen, die die wirtschaftliche und soziale Last in Corona-Zeigen tragen: Jeder, der morgens zur Arbeit fährt, setzt sich einem hohen Ansteckungsrisiko aus – in der Straßenbahn, im noch geöffneten Geschäft, am Arbeitsplatz mit Kollegen. Also wäre es vernünftiger, diesen die Impfung anzubieten. Dabei könnte völlig freiwillig vorgegangen werden: Da ohnehin zu wenig Impfstoff zur Verfügung steht, stellt sich die Frage nach Zwang gar nicht. Die Regel würde einfach lauten: Wer sich impfen lassen möchte, möge sich anmelden.

Dann sind es die, die das normale Leben eher gestern als heute wieder aufnehmen möchten, ihre Gaststätten wieder öffnen, damit dort überhaupt wieder Gäste einkehren können. Berufstätige, die auf Reisen angewiesen sind. Gefolgt von denjenigen, die ihr Risiko der Erkrankung durch Covid-19 mit denkbaren Nebenwirkungen der Impfung für sich persönlich abschätzen und entscheiden: Für mich ist Impfen besser. Es gibt genügend, die sich derzeit positiv entscheiden würden, wenn sie denn nur könnten! Also: Freiwillige vor.

Wenn dann keine Nebenwirkungen auftreten, ist dies das beste Argument für jene, die derzeit noch zögern. Gibt es ernsthafte Nebenwirkungen, die auf die Impfung zurückzuführen sind und nicht auf das ohnehin hohe Alter und Vorerkrankungen, dann muss ohnehin die Impferei gestoppt werden. Aber klar ist auch: Ein gesunder 40-Jähriger kann mit etwaigen kleineren Nebenwirkungen besser umgehen als ein am Ende seines Lebens stehender 90-Jähriger.

Das wäre eine rationale Impfentscheidung. Aber dazu ist Gesundheitsminister Jens Spahn nicht in der Lage. Er hat sich auf den Zuteilungsweg festgelegt – und stolpert darüber wie über jede Mangelverwaltung.

Das Schlaraffenland liegt „in Kürze“

Spahns Impfstrategie erinnert fatal an die DDR. Bekanntlich gab es dort keinerlei Mangel, es gab genügend Orangen, Autos und Kleidung. Jedenfalls in einer Stadt: in Kürze. „In Kürze“ sollten alle diese gegehrten Güter verfügbar sein, stand dann an den leeren Regalen gepinnt in allen Städten und Dörfern des sozialistischen Wunderlands. In Kürze gibt es auch Impfstoff – allerdings für die Falschen.

Warum wird eigentlich staatlich geimpft? Es klappt ja nicht. In Söders Bayernland fehlen Kühlbehälter, der wertvolle Stoff wird in Camping-Kisten transportiert und dann wegen Unterbrechung der Kühlkette vernichtet. So toll funktioniert Planwirtschaft. Lieferverzögerungen bringen die mühsam geordneten Warteschlangen in NRW durcheinander.

Deshalb wird die Impferei wieder ausgesetzt.

Warum überlässt man es neben der sehr, sehr langsamen Staats-Impfung nicht niedergelassenen Ärzten – und bezahlt wird privat? Stellen wir uns vor: Eine Corona-Impfung kostet 150-250 Euro, dafür gibt es sie sofort in Kliniken oder bei Ärzten. 200 Euro davon werden an einen solidarischen Sozialfonds für etwaige Impfopfer überwiesen. Wer schnell geimpft werden will, und ich kenne sehr viele, die das wollen: nur zu.

Impfen sofort, und los. Freiwillige vor, und ja: Für manche mag es nach Vorzugsbehandlung für Zahlungsbereite aussehen. Auch gut. Aber sie riskieren auch mehr als derjenige, der im stillen Kämmerchen wartet, bis im kommenden Jahr seine Nummer dran kommt – wenn überhaupt. Auch dabei stellt sich die Frage von Zwang nicht mehr. Wer will, kann – und ist immer auch ein klein wenig: Versuchskaninchen. Vielen stellt sich die Frage danach nicht, vielen ist es das Risiko in der Abwägung wert, nicht mehr maskiert im Käfig eingesperrt leben zu müssen.

Das wäre eine Impfstrategie. Aber leider heißt unser Gesundheitsminister Jens Spahn, und unsere Politik orientiert sich an Planwirtschaft. Damit kennt sich unsere Kanzlerin bekanntlich sehr gut aus.

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