Die Bauern im Münsterland warten noch mit dem Verkauf ihrer Maisernte.
Jeden Tag steigt der Preis an der Warenterminbörse (siehe unsere Titelgeschichte Seite 74). Ist das wirtschaftliche Klugheit oder moralisch verwerfliche Spekulation mit Lebensmitteln, gar ein Geschäft auf Kosten der Hungernden, wie es erboste Aktivisten den Banken vorwerfen? Wohl kaum – schließlich spekulieren wir ja alle gelegentlich am Wochenmarkt darauf, dass am Abend die Erdbeeren billiger werden. Die Warenterminbörse in Chicago wurde 1848 von 82 Händlern gegründet. Damals entstanden die großen Anbauflächen im Mittleren Westen. In den Erntemonaten überschwemmten die Getreide den Markt, die Preise sanken ins Bodenlose, ruinierten die Farmer, die ihren Weizen im Eriesee versenkten – während kurze Zeit später dieses Getreide fehlte und die Preise explodierten. Um den stürmischen Wechsel von Boom and Bust zu begrenzen, verkaufte man bald das Korn auf Termin, zum festen Preis, ehe der Weizen noch gesät war. Der Forwardkontrakt war erfunden. Im Zusammenspiel von Händlern und Spekulanten war es jetzt möglich, Preisschwankungen einzugrenzen, zu „hedgen“, wie es im neuzeitlichen Denglisch heißt. Es war eine segensreiche Erfindung der Finanzindustrie, die damit langfristige Investitionen in Anbau, Maschinen, Düngemittel und Weiterverarbeitung von Agrarprodukten und Rohstoffen ermöglichte; ein wichtiger Schritt auf dem Weg der USA zur globalen Agro-Supermacht.
Weltweit begannen die Getreidepreise zu sinken. Auf Druck der ostelbischen Junker, deren Latifundien im Wettbewerb nicht mithalten konnten, wurde daraufhin in Berlin die dortige Getreidebörse geschlossen. Deutschland setzte statt auf den Markt auf staatlich garantierte Hochpreise und Einfuhrzölle. So wurden die Preise für das Getreide des einflussreichen Adels hochgehalten zum Nachteil der Bevölkerung. Börse und Terminhandel gerieten in den Ruch, ein Werkzeug der jüdischen Weltverschwörung zu sein. Den Siegeszug der Chicago Board of Trade konnte das nicht bremsen; im amerikanischen Bürgerkrieg rüsteten die Händler auf eigene Kosten sogar drei Bataillone aus, die neben Stars und Stripes auch unter dem Banner der Börse in die Schlacht zogen. Heute ist sie die größte Agrarrohstoffbörse der Welt; allein in den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl der Terminkontrakte auf Weizen trotz gleichbleibender Erntemenge verfünffacht.
Hier setzt die aktuelle Kritik an: Sorgfältige Analysen zeigen, dass Spekulationsgelder, die aus dem Immobilien- und Bankenmarkt an die Rohstoffbörsen verlagert werden, zwar nicht die Preise insgesamt ändern, aber die Ausschläge erhöhen und die Dauer der Hochpreisphasen verlängern, weil die Herde der Spekulanten dem Trend steigender Preise folgt: Preissteigerungen nehmen weiter Tempo auf, bis die Armen der Welt nicht mehr mithalten können und der Hunger wächst. Galoppiert die Herde in die andere Richtung, sinken die Preise zulasten der Bauern länger und tiefer, als das vorübergehende Überangebot dies rechtfertigt.
Die Spekulanten übertreiben kurzfristig, aber richten weniger Unheil an als die Politik: Mittlerweile werden 40 Prozent der USMaisernte als Biosprit verbrannt; in Deutschland wird knapp ein Drittel der Maisernte in den Bioanlagen vergast. Das Getreide kommt nicht mehr auf den Teller der Hungerbevölkerung, sondern wandert in den Tank oder ins Stromnetz, ge- und befördert durch das Erneuerbare-Energien- Gesetz. Die grünen Energien werden mit Hungergetreide produziert.
Weil die Weltbevölkerung und mit ihr der Hunger wächst, kann die Agro-Inflation nur mit Investitionen bekämpft werden – neue Anbauflächen, Traktoren, Saatgut, Logistikketten, Düngemittel steigern die Ernte. Wie Sie guten Gewissens in den Agrarmarkt investieren und zur Lösung des Hungerproblems beitragen können, lesen Sie in der aktuellen WirtschaftsWoche.
(Erschienen auf Wiwo.de am 18.08.2012)