Tichys Einblick
Parteischach

Wie Hendrik Wüst gegen Friedrich Merz parteiintern Krieg führt

Hendrik Wüst will seinem Parteifreund Friedrich Merz die Kanzlerkandidatur streitig machen. Systematisch werden dessen Anhänger als späte Nazi-Gefolgsleute diskreditiert und abhängige Posten-Inhaber instrumentalisiert. Ein Report über Politiker-Taktiken.

IMAGO - Collage: TE

Feind, Todfeind, Parteifreund – diese Steigerungsform beschreibt, dass innerhalb der Parteien noch verbissener um Jobs gekämpft wird als zwischen Parteien. Der Grund ist klar: welche Partei Erfolg hat und Pöstchen und Posten abgreifen darf, entscheidet der Wähler. Aber vorher gilt es für einen Partei-Karrieristen, mögliche Machtkonkurrenten innerhalb der Partei vom Trog wegzubeißen und eigene Anhänger in den Parteigremien so zu platzieren, dass Gegner keine Chance haben. Der große Soziologe Max Weber nannte Politiker Experten im Fach „Gegnerbekämpfung“. Lebte er heute, könnte er an CDU-Parteichef Friedrich Merz und Hendrik Wüst ein ergänzende Kapitel schreiben unter der Überschrift „Parteifreund-Vernichtung“.

Könner im Fach „Gegnerbekämpfung“

Hendrik Wüst ist der Mann, den die Merkel-Mehrheit der CDU-Funktionäre gegen Friedrich Merz künftig als Kanzlerkandidat durchsetzen will. Es war ja die Basis der Partei, die auf Merz als Hoffnungsträger gesetzt und ihn durchgesetzt hat. Da arbeitet Wüst mit allen Tricks, Finten und Gemeinheiten daran, Friedrich Merz zu verdrängen.

Er packt es geschickt an. Hendrik Wüst kennt nur ein Spezialgebiet: Gegnerbekämpfung, aber das aus dem Effeff. Er hat nie etwas anderes gesehen als Politik und hat als Experte für Lobbyismus gearbeitet. Das prägt.

Da wollte also Friedrich Merz Teile des unter sein Ägide erarbeiteten Grundsatzprogramms der CDU vorstellen. Nun interessiert sich kaum jemand für das Parteigeschwurbel, das Blähwort-Pingpong und die Sprüchemacherei, die mit solchen Programmen verbunden ist. Inhalte werden sowieso gar nicht erst zugelassen oder so abgemildert, dass sie keinem weh tun oder Widerspruch auslösen. Parteiprogramme geben dem Vorsitzenden allerdings wertvolle Sendezeiten im Staatsfernsehen. Er kann mit gewichtiger Miene Nachdenklichkeit simulieren, Inhaltskompetenz vortäuschen und parteiinterne Betriebsamkeit demonstrieren; Parteimitglieder, die am Programm mitgearbeitet haben, gelten künftig als seine Anhänger und Sendboten.

Personen vor Parteien

Eine wichtige Sache also, die Friedrich Merz da im Juni zelebrieren wollte als Signal des Aufbruchs und der Erneuerung. Wäre da nicht Hendrik Wüst gewesen. Der schrieb und veröffentlichte genau auf diesen Tag hin einen Artikel in der FAZ. Dort schilderte er seine Sicht, wie die Politik der Christdemokraten künftig aussehen sollte. Das damit verbundene Partei-Blabla interessierte keinen Menschen, es ging um das Signal. Es lautete: Hendrik Wüst will Kanzlerkandidat werden und Merz verhindern. Journalisten lieben solche Konflikte. Denn die Parteitagslyrik wirklich zu analysieren, ist wie einen Parteitagsbeschluss der Chinesischen kommunistischen Partei in Originalsprache zu verstehen. Ein handfester Krach zwischen Parteifreunden dagegen schreibt sich von alleine und wird vom Publikum herzhaft genossen. Das weiß auch Wüst – er hat kurzerhand Merz die Schau gestohlen, die dieser monatelang eingeübt hatte wie ein Bauerntheater das Stück vom Bauern und seiner Sennerin. „Diese Wortmeldung kam für einige in der Partei zur Unzeit – wenige Stunden bevor unter der Ägide von Merz die inhaltliche Arbeit im Mittelpunkt stehen sollte“, schrieben die Zeitungen dazu. Perfekt: Operation gelungen, Parteichef lädiert.

Der Parteichef konnte sich deshalb eine deutliche Spitze gegen Wüst, der im Publikum saß, nicht verkneifen: „Ich freue mich über die Veröffentlichung von solchen Beiträgen und hätte nur eine Bitte: Wenn noch auf andere verwiesen würde, die ähnlich gute Beiträge geschrieben haben, dann bringt uns das alle voran.“

Mit dieser Bemerkung wiederum zeigte Merz nur, dass er getroffen war, an empfindlicher Stelle. Und mit dieser Bemerkung lieferte er den notorisch und dann dieser Stelle pflichtgemäß kritischen Journalisten die Rechtfertigung, jetzt erst recht über den Machtkampf zwischen den beiden Alpha-Rüden der CDU zu schreiben. Man sieht förmlich, wie Hendrik Wüst sein charmantestes Lächeln aufsetzt, das er sonst nur den vielen potentiellen Schwiegermüttern schenkt, die ein Politiker heutzutage so umwerben muss. Und in seiner Staatskanzlei in Düsseldorf gab es sicherlich Sekt und ein anerkennendes Schulterklopfen für den innersten Kreis, der dies ausgeheckt hat. Denn Staatskanzleien und Regierungsämter dienen längst nicht mehr dem Staat oder dem Regieren, sie dienen den Karriereinteressen des Regierungschefs; Regierung geht so eher nebenher, wenn es unvermeidlich ist. 

Das Fell des Bären wird verteilt

Und das ist auch der Grund, warum Wüst ein paar Pluspunkte hat gegenüber Merz. Der verfügt über Rückhalt nur in sehr begrenztem Ausmaß. Das Konrad-Adenauer-Haus, die Parteizentrale der CDU, wurde unter Angela Merkel entkernt. Sie wollte keine zweite Machtzentrale neben dem von ihr beherrschten Kanzleramt, das ihrer persönlichen Hofhaltung diente. Und natürlich waren die intellektuellen Restbestände Kanzlerinnen-anhängig und damit Anti-Merz. Merz konnte sich lange nicht einmal einen Generalsekretär seines Vertrauens leisten und musste sich ewig mit Mario Czaja und dessen Anhängern in der eigenen Burg herumplagen, die ihn erklärtermaßen für unfähig für das Kanzleramt halten. Friedrich Merz war in das Konrad-Adenauer-Haus hineingesprungen, bis zu den Knien in einem Fass mit nassem Beton gelandet und in einer Mannschaft, die nur darauf wartet, ihn damit in der Spree zu versenken. Durchgesetzt hat er sich nur sehr bedingt; denn mit versiegenden Spenden, sinkenden Mitgliederzahlen und niedrigeren Wahlkampfkostenerstattungen nach verlorenen Wahlen fehlt, was Politik in Deutschland stets dringender braucht als Überzeugungskraft: Geld. 

Auch die Bundestagsfraktion, deren Vorsitzender er ist, ist keine wahre Hilfe. 60 Abgeordnete, ausgerechnet um seinen Machtkonkurrenten und ewig Merkelgetreuen Armin Laschet, verweigerten ihm öffentlichkeitswirksam die Gefolgschaft. Und während Merz im Berliner Betonmatsch herumzappelt, kann Hendrik Wüst ungestört seine Machtbasis im heimischen NRW ausbauen und Merz aus diesem Landesverband verdrängen, der bisher zu Merz hielt. Merz muss zuschauen, wie Wüst systematisch seine ureigenste Machtbasis erobert. Und das kann Wüst, denn er hat das, was Merz so gar nicht hat: Zugriff auf die Staatskasse, den Landesverband und damit auf Geld und die vielen Pöstchen.

Parteien funktionieren nach dem Prinzipien einer Räuberbande: Der Häuptling gewinnt Gefolgschaft, wenn er Beute verteilen kann. Man kennt das aus Mafia-Filmen: der Pate muss Stadtviertel beherrschen, damit seine Soldaten dort Rauschgift verticken, käufliche Liebe auf die Straße schicken und Spielhöllen betreiben können. Kann er das nicht, gibt es bald einen neuen Paten. In der Politik wird nicht das Fell des Bären verteilt, sondern das des Staates. Merz hat kein Fell, Wüst mit NRW ein Großes.

Wüst bringt die Getreuen auf Kurs

Der Machtkampf um die Straßen von NRW ist voll entbrannt. Da ist zum Beispiel Innenminister Herbert Reul. Erfolgreich ist er nicht. Zwar verkündet er jedem, der es nicht nochmal hören will, dass er den kriminellen Clans Nadelstiche versetzen will, damit sie nicht zu unverschämt Schutzgelder erpressen oder das Rotlichtmillieu dominieren können. Allerdings zeigen brutale Massenschlägereien verfeindeter Clans im Ruhrgebiet, dass sie sich von Reuls Nadelstichen so gar nicht beeindrucken lassen und lieber die Vermittlung durch einen islamischen „Friedensrichter“ in Anspruch nehmen, anstatt sich von Reuls hilfloser Polizei beeindrucken  zu lassen. Ein derart schwächelnder Innenminister hilft zwar der inneren Sicherheit nicht – aber das kann der Regierungschef wirksam gegen ihn verwenden.

In der Politik geht es nicht um Ergebnisse, sondern Gefolgschaft. Reul ist von Wüst abhängig, nicht umgekehrt. Und statt über Clans zu reden, fällt Reul deshalb vorsichtshalber seinem Bundesvorsitzenden Merz in den Rücken; jeder braucht eine Job-Garantie. Merz hatte bei einem Wahlkampfauftritt in Bayern erklärt, die Grünen könnten wegen der Differenzen in der Innen- und Flüchtlingspolitik „kein Koalitionspartner“ der CDU sein. Die Zeitungen berichteten am kommenden Tag: Reul hält nichts davon, eine schwarz-grüne Koalition im Bund vorschnell auszuschließen. „Mich interessieren jetzt keine Koalitionsoptionen“, sagte der Chef des CDU-Bezirks Bergisches Land dem Kölner Stadt-Anzeiger. So was gibt ein Fleißkärtchen vom Job-Verteiler.

Warum genau Reul, ein dem politischen Ende friedvoll entgegendämmernder Lokalpolitiker, sich um Bundespolitik schert? Er ist Chef des CDU-Bezirks Bergisches Land und führt als Gefolgsmann von Wüst diesen Bezirk gegen Merz. 

Da gilt keine Frauenquote

Und jetzt müssen schrittweise Merz-Gefolgsmänner kaltgestellt werden, auch wenn es Frauen sind. Etwa die in Düsseldorf stark vernetzte und beliebte frühere Bundestagsabgeordnete Sylvia Pantel. Sie hatte laut und entschieden für Merz getrommelt und gilt als erzkonservativ; kämpft als Familienpolitikerin für Werte, die in der Merkel-Union der Beliebigkeit anheim gestellt werden. Sie kämpft weiter für die Union als Gesamtveranstaltung, etwa auf einer Podiumsdiskussion mit dem CDU-Mitglied Hans-Georg Maaßen, der Bundestagsabgeordneten und Ex-AfDlerin Joana Cotar sowie dem Berliner Mitglied des Abgeordneten-Hauses Frank-Christian Hansel.

Eigentlich politischer Alltag; CDU,CDU,Ex-AfD und AfD streiten; und wer streitet, regiert nicht, was laut CDU mit der AfD keinesfalls der Fall sein darf. Aber reden auch nicht mehr? Muss eine CDU-Frau das Podium verlassen, wenn dort einer von der AfD sitzt oder auch nur eine ehemalige? Zumal die wortwuchtige Pantel den AfDlern dort schon rheinischen Wein von der sauren Sorte Marke Bahndamm-Südhang eingeschenkt hat. Jetzt inszeniert die Wüst-Gruppe das, was man eine politische Hexenjagd nennen könnte. Die Rheinische Post, in Düsseldorf so etwas wie die allzeit bereite Pravda der Union, berichtete schäumend: „Die ehemalige Bundestagsabgeordnete Sylvia Pantel hat den Zorn vieler ihrer Parteikollegen in der CDU auf sich gezogen. Die Ratsfraktion und auch Oberbürgermeister Stephan Keller hätten sich in der gemeinsamen Sitzung einhellig sehr verärgert über sie gezeigt, berichten mehrere Teilnehmer. Der stellvertretende Vorsitzende Andreas Hartnigk sagte am Dienstag unserer Redaktion: „Irgendwann ist das Maß voll.“ Und im Kommentar musste das Blatt dem „CDU-Ratsherrn Wiedon beipflichten, wenn er hofft, dass Pantel nie mehr ein Bundestagsmandat erhält“.

Es ist schon eigenartig und in der Tat berichtenswert, wenn ein CDU-Mann hofft, dass eine Parteifreundin nie mehr ein Mandat erhält; sollen doch die anderen Parteien in Gottes Namen sich darüber freuen. Auch die angebliche „Sitzung“ ist wohl eher eine gewisse Überhöhung eines Gemauschels der neidischen Lokalpolitiker, die gerne Pantel beerben würden und sich bei Wüst für höhere Verwendung empfehlen. Vermutlich ist Hartnigk mit so glanzvollen Ämtern wie Vorsitzender der Verkehrswacht Düsseldorf e. V. ·und als Mitglied im Allgemeinen Bürgerverein Urdenbach (ABVU)  nicht so ganz zufrieden mit seiner Parteikarriere. Da geht noch was. Immerhin hat die Düsseldorfer CDU noch 3.000 Mitglieder und damit doch Gewicht, das gegen das Merz-Fan-Girl Pantel in die Waagschale zu werfen ist. Auch Peter Blumenrath, stellvertretender Parteivorsitzender der CDU in Düsseldorf, äußert sich sehr kritisch. Er erinnert an Parteibeschlüsse, dass es keine Zusammenarbeit mit der AfD geben könne, wobei bei ihm wohl auch eine Podiumsdiskussion schon „Zusammenarbeit“ ist, um die Brandmauer nur ja noch weiter zu erhöhen, hinter der man eine Parteifreundin einmauern will. Mit Blick auf Pantel sagt er: „Es kocht in der Partei, viele sagen, dass ihr Verhalten der CDU schadet.“ Manche sähen sie mittlerweile nicht richtig in der Partei aufgehoben. Blumenrath sagt deshalb, dass es „keine Pflichtmitgliedschaft in der CDU“ gebe.

Vom Parteifreund zu Hitlers Gefolgsfrau

Seither kann Pantel nichts mehr machen, ohne heftig parteiintern kritisiert zu werden. Nachdem sie darüber gespottet hatte, dass man zwar wisse, welche Flugblätter sich vor 35 Jahren in Hubert  Aiwangers Schultasche befanden, aber man die angebliche Masterarbeit von Annalena Baerbock nicht finden könne, war das für die Parteifreunde sogar „antisemitisch“. Gegner in der Partei sind eben Todfeinde.

Da wechselte Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die Kriegsexperten der FDP schnell vom Schlachtfeld in der Ukraine an die heimische Front  und will über den „krassen Vorgang“ eine Erklärung von der CDU. Die Lokal-SPD dreht gleich am größten denkbaren Rad und forderte in einem Aufruf an die CDU: Lassen Sie uns gemeinsam jenen Kräften eine Absage erteilen, die das Jahr 1933 am liebsten wiederholen würden.“ 

Sylvia Pantel als Gefolgsfrau Hitlers? Schwer wiegt die Kontaktschuld, für Friedrich Merz eingetreten zu sein. Schlimmer geht’s nimmer? Doch „Das permanente Kratzen am rechten Rand ist falsch,“ assistiert Düsseldorfs CDU-Vize Blumenrath bereitwillig, Pantels Job fest im Blick.

So absurd das Theater klingen mag: es zeigt gnadenlos die Schwäche von Friedrich Merz. Er kann, anders als Wüst, keine Jobs und Pöstchen versprechen, hat zu wenig Verbindungen an die Basis der Parteien. Ratsherren bleiben biedere Ratsherren. Nicht einmal seine Anhänger kann er noch vor den übelsten, parteiinternen Schmutzeleien schützen.

Es gilt eben: Freund, Feind, Parteifreund – Todfeind. 

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