Wer den Euro retten will, muss ihn abschaffen. Oder dies zumindest glaubwürdig planen. Andere Rettungsversuche werden scheitern.
Ein Betrunkener sucht unter einer Straßenlaterne seinen Schlüssel. Ein Polizist hilft ihm bei der Suche. Als der Polizist nach langem Suchen wissen will, ob der Mann sicher sei, den Schlüssel hier verloren zu haben, antwortet jener: “Nein, nicht hier, sondern dort hinten – aber dort ist es viel zu finster.” Mit dieser Anekdote illustrierte der Psychologe Paul Watzlawick eine der besten Methoden, wie man sein Unglück steigern kann – nämlich indem man ein untaugliches Bemühen verdoppelt.
Wenn man an der falschen Stelle sucht, wird man den Schlüssel nicht finden, ein verkorkstes Geschäft nicht dadurch retten, dass man mehr Geld hineinpumpt. Wenn ein Medikament nicht wirkt, wird es kaum wirksamer, wenn die Dosierung verdoppelt wird – allenfalls giftig. Das ist einleuchtend, und doch lieben und lehren manche Polit-Ökonomen solche Anstrengungen.
Zu hohe Schulden, reden sie uns ein, kann man dadurch bekämpfen, dass man mehr Schulden macht. Irgendwann werden unsere Kinder fragen, wie wir ernsthaft glauben konnten, den Euro dadurch zu retten, dass wir Griechenlands Schulden bezahlen und ihm helfen, noch mehr Schulden zu machen. Es ist ja offenkundig, dass das nicht funktioniert: zwei, bald drei Rettungspakete, Übernahme von Schulden, was bislang verboten war; Schuldenerlass, ebenso verbotene Finanzierung der griechischen Schulden durch klandestine Aktionen der Europäischen Zentralbank (EZB); Euro-Bonds durch die Hintertür, frisierte Berichte der Troika. Bis 2022 soll Griechenland also auf diese Weise gerettet werden? Da lachen die Hühner, und es fliegen die Ziegen.
Die Kollateralschäden sind noch gewaltiger als die Geldbeträge: Europa fliegt auseinander, die Deutschen werden als Schuldeneintreiber gehasst, und Angela Merkel wird in Spanien, Italien und Portugal der Schandname Adolf umgehängt. Das Vertrauen in die Notenbank ist perdu, die Politiker machen sich selbst verächtlich: Niemand wirft ihnen vor, dass sie nicht wissen, was sie tun; die Lage ist zu neu. Aber dass sie uns ganz offenkundig die Unwahrheit ins Gesicht sagen – das nimmt man ihnen übel, die Politikverdrossenheit wird endemisch. Es ist die Bundesregierung, die sich selbst zum Gefangenen gemacht hat, indem sie die bisherige Mitgliederzahl in der Europäischen Währungszone für alle Zukunft garantiert hat. Wer garantiert – zahlt.
Es gibt Alternativen. Lasst Griechenland pleitegehen. Unternehmen oder Versicherungen, die heute immer noch griechische Staatspapiere in der Bilanz haben, sind wirklich selbst schuld. Dummheit soll nicht belohnt, sondern bestraft werden. Gebt Griechenland die Chance, seine Schulden abzuschütteln, neu zu starten und seinen eigenen Weg zu finden, ohne die erdrückende Last einer Hartwährung, die für rational agierende Wirtschaften konstruiert wurde. Wenn andere diesem Weg folgen wollen – gerne. Die Europäische Union ist eine Vereinigung freier Völker, kein Völkergefängnis. Die Bundesregierung möge der EZB erklären, dass sie nicht länger hinnimmt, dass die Schulden einiger Staaten durch die immer schneller rotierende Notenpresse finanziert werden. Der Bundesfinanzminister wird die richtigen Worte finden, diesen offenkundigen Rechtsbruch nicht zu beschönigen, sondern zu benennen.
Damit sind Risiken verbunden. Allein das Ausradieren der griechischen Staatsanleihen wird Deutschland Dutzende von Milliarden kosten. Aber wer der Gefahr kühl ins Auge blickt, kann sie bewältigen – durch das Schließen der Augen ist noch kein Säbelzahntiger verschwunden und durch Buchungstricks ist noch kein Haushalt gerettet worden. Den Schlüssel zur Lösung finden wir, wenn wir dort suchen, wo es finster ist. Und wenn wir es unseren europäischen Freunden, ja Brüdern und Schwestern sagen, werden diese endlich aus dem warmen Lichtkreis der Laterne heraustreten und uns beim Suchen helfen: Solidität finden, Korruption und Nepotismus bekämpfen.
Schon im eigenen Interesse.
(Erschienen auf Wiwo.de am 17.11.2012)