Tichys Einblick
Die Digitalisierung ist nicht nur eine neue Technologie - sondern eine gesellschaftliche Utopie

Hannover Messe: Schafft die deutsche Industrie den digitalen Wandel?

Die Hannover Messe ist dieses Jahr als Hochamt für die Industrie 4.0 angelegt. „Für die deutsche Industrie formuliere ich dabei nicht weniger als den globalen Führungsanspruch“, protzte Reinhold Festge, Präsident des Maschinenbauer-Verbands. Andächtig höre ich Angela Merkel zu. Auf den Podiumsdiskussionen ging es weniger lautstark zu; da war davon zu hören, dass Deutschland „noch“ eine führende Position inne habe.

Wenn sich nur mal nicht alle täuschen. Die Umstellung ist viel tiefgreifender, als ein paar Fabrikroboter miteinander zu verbinden – so hyper-anspruchsvoll das auch unbestritten ist und so gut die deutsche Industrie da mitspielt. Das Problem ist: Es geht um einen radikalen Wechsel, der nicht nur die Industrie, sondern die ganze Gesellschaft erfasst. Und da wachsen die Bedenken.




Amerikanische Waffennarren haben einen neuen Plan: Ein Gruppe von radikalen Ur-Liberalen (Libertarians) um Cody R. Wilson, entwickelt Pläne für Pistolen. Sie sollen im Hobby-Keller entstehen – auf dem 3D-Drucker. Vielleicht klappt es ja nicht, weil die Festigkeit der Materialien den anarchistischen Libertären um die Ohren fliegt. Aber es zeigt: In den USA wird der 3D-Drucker als visionäres Produkt verstanden, der das Zeug hat, die Gesellschaft umzukrempeln: Weg von den großen Fabriken und den großen Kapitalsammelgesellschaften in Form von Konzernen – hin zu Selbstbestimmung, Selbermachen und Austausch von Informationen. Denn das Wissen kommt von der Crowd im Internet. Das ist etwas anderes, als wenn ein deutscher Maschinenbauer ein paar neue Maschinen aufstellt und sie mit dem Anwender seiner Maschinen verknüpft. Die Deutschen sind die Meister im besser machen – die Amerikaner in der rücksichtslosen Veränderung bestehender Geschäftsprozesse. Wie immer bei solchen Utopien kommt hinten weniger raus, als man sich anfangs so ausmalte. Aber das, was entsteht, zerstört das Alte jedenfalls gründlich. Und diese Gefahr besteht für die deutsche Industrie in aller Härte.

 Das gesellschaftsverändernde Potential des 3D-Druckers

Der 3-dimensionale Drucker fertigt aus dem Material von Lego-Steinen wie aus einer winzigen Sahne-Spritztüte beliebige Formen. Es müssen nicht Pistolen sein, es gibt auch anspruchsvolleres – und das auch hier: Rolls Royce lässt feinste Turbinenblätter für Jet-Düsen drucken. Der Prothesen-Hersteller Otto Bock experimentiert am 3D-Drucker mit passgenauen, künstlichen Hüft- und Kniegelenken. Bemerkenswert, dass mir viele Leser aus Deutschland auf diese Überlegungen schrieben: Das wird nie was. Das klappt nicht. VW baut die besten Autos. Leider ist der deutsche Industriefriedhof voller entsprechender Firmen-Leichen. Wer erinnert sich an Contax und Agfa? An Telefunken und Grundig? An Quelle und Neckermann? An Triumph-Adler, die besten aller Schreibmaschinen, und an Rollei? Es waren Ikonen. Zu ihrer Zeit, auf ihrem Stand der Technik.

Was möglich ist, zeigen einige Beispiele. Kommen Stahlträger für Brücken bald an der Baustelle aus dem Drucker statt per LKW vom fernen Stahlwerk? Gisbert Rühl, der visionäre Chef des 109 Jahre alten Duisburger Stahlhändlers Klöckner, lässt das ausprobieren – und hat in Berlin ein Start-Up „iKlöckner“ losgeschickt. Sie sollen selbst entwickeln, bevor andere Klöckner killen. Im Unternehmen würde so eine Innovation nie möglich sein, sagt er. Schließlich ist ein Unternehmen auf die Perfektion seiner bestehenden Prozesse ausgerichtet. Da stört Veränderung nur.

Während deutsche Unternehmen auf der Hannover Messe noch stolz vorführen, wie sie ihre Fabriken mit dem Internet vernetzen, sind radikale US-Unternehmen schon weiter: Brauchen wir überhaupt noch große Fabriken? „Local Motors“ heisst ein Unternehmen, das in Kleinst-Fabriken, die auf einen großen Messestand passen, sogar Auto-Karrosserien drucken und dann mit Elektromotoren zusammenstöpseln. Die Pläne kommen aus der Crowd; der Kunde kann mithelfen, mitgestalten und wird vor Ort von Fachleuten unterstützt.

Das Ende des Fließbands

Mehrere Hundert vom Geländerfahrzeug und vom Zweisitzer „Strati“ sind schon vom Band gerollt, ach was: aus dem Drucker gepurzelt. Und angeblich seit Exemplar Nummer 60 schon profitabel! Das wäre sensationell – die herkömmlichen Fabrikationsmethoden erfordern zwar zunehmend geringere Losgrößen, aber noch immer um Dimensionen größere. BMW ist daher Kooperationspartner, das Unternehmen ist weiter als alle anderen deutschen Hersteller.

Die Idee geht aber viel weiter und nicht mehr nur ums Auto: Nicht mehr lange Fließbänder – sondern Werkstätten vor Ort für alles, was herstellbar ist. Die Baupläne dazu kommen von Crowd-Workern aus dem Internet, der Kunde bastelt mit am neuen Auto, Motorrad oder am Design der Wunsch-Brille. Eine Fabrik für alles – bald will Local Motors eine solche Alleskönner-Mikro-Fabrik in der Nähe von Berlin eröffnen. Chef John Rogers verspricht: Während heute zwischen Entwurf und fertigem Auto rund fünf Jahre liegen, sollen es bald nur noch Monate sein: Das Auto wird zum schnelllebigen Modeartikel, jede Saison ein anderes. Es ist ein radikales Konzept. Wer gewinnt das Wettrennen um die Industrie der Zukunft? Die USA haben mit Henry Ford das Fließband für die Massenfertigung erfunden. Jetzt schaffen sie es ab, während die Deutschen, ironisch gesprochen, an die Stelle der Fließbandsklaven Roboter setzen. Was sicherlich humaner und effizienter ist. Aber nur geringfügig anders.




Bekiffte erfinden die Welt neu

Die Deutschen setzen auf die Perfektion der bestehenden Fabrik; schrittweisen Fortschritt von oben her. Radikale Amis aber denken die ganze Industrie neu, von unten, vom Kunden her. Es ist der alte amerikanische Traum, aufs Internet projiziert: urdemokratisch und selbstbestimmt. Bis hin zu der Idee mit den Pistolen – die ja unmittelbar die autoritäre Struktur der Staaten angreift: Die Anarchie kommt aus dem Internet.

Was gerne vergessen wird: Die Ideen für Google und Apple stammen ursprünglich von LSD-beschwingten Hippies in Kalifornien, die alles anders machen wollten, erzählt mir Google-Chef Eric Schmidt und beruft sich auf diverse Kronzeugen. Auch das war eine anarchistische Community. Mit dem PC hat Apple das Fast-Monopol von IBM zerschlagen – bekanntlich gab es ja Befürchtungen in den 70ern, dass IBM das gesamte Wissen der Welt auf einem gigantischen Computer speichern könnte. Abhängigkeitsphantasien wurden gemalt. Es kam anders – ausgelöst von ein paar Kreativen unter der warmen Sonne Kaliforniens.  Aus ihren bunten Rauschgift-Phantasien sind im Kern die modernen Giganten entstanden.

Passiert das auch mit der gesamten, alten Industrie? Fressen die neuen Phantasiegebilde unsere Alt-Konzerne auf – so wie jetzt die Autoindustrie Angst hat vor dem iAuto von Apple und dem Google-Car? Diese Gedanken habe ich auch zur Erklärung für den Machtkampf bei VW formuliert. Aber sie gelten für die gesamte deutsche Industrie. Erinnern wir uns: Siemens hatte die Patente und die Entwicklung des Fax-Gerätes gekauft; die Firma Hell nach dem visionären Gründer benannt. Aber Siemens wollte lieber einen elektronischen Fernschreiber bauen, der um ein Vielfaches schneller lief als alle bisherige Fernschreiber. Wer will schon Bilder versenden, hhahahahahaha? Er wurde kein Erfolg – aber das Fax-Gerät aus Japan. Später wiederholte sich das Drama mit der digitalen Telefonvermittlung; was heute ein kleiner Kasten schafft, dafür baute Siemens früher lieber riesige Vermittlungs-Stellen, je Stadtteil. Sie stehen heute in vielen Städten noch als Ruinen des technischen Fortschritts herum.

Und da stellt sich die Frage:

Wer gewinnt das Rennen – die wahnsinnigen, extremen Do-it-yourself-Colt-Bauer oder brave deutsche Entwickler? Geht ein visionärer Erfinder lieber zu Siemens oder zu Google? Verteidigen ist gut, Angriff die bessere Lösung.

Andere haben Erfinder. Wir Andrea Nahles.

Arbeitsministerin Andrea Nahles jedenfalls plant schon, wie sie die Arbeitsplätze der Crowd-Worker in die gute, alte Rentenversicherung aus Bismarcks Zeiten hineinzwingt. Sie denkt nach vorne, weit nach vorne. Am Horizont ist zwar weit und breit noch keine flächendeckende Digitalisierung in der deutschen Wirtschaft zu beobachten – aber dafür schon neue Regelungen für die vielleicht (!) entstehenden „neuen Beschäftigungsformen“, die das Internet mit sich bringt. Das jedenfalls hat Nahles im Politmagazin „Cicero“ angekündigt. Die neuen Jobs müssten unbedingt „in die Architektur unserer Sozialsysteme eingereiht werden“,  droht sie. „Wird es in Zukunft ein berufsständisches Versorgungswerk für Crowdworker geben? Oder krempeln wir die 125 Jahre alte gesetzliche Rentenversicherung um und öffnen sie für Soloselbstständige?“ fragt sich die Arbeits- und Sozialministerin muttihaft besorgt, wie es derzeit eben so mehrheitsfähig klingt. Faktisch ist es eine Warnung an junge Gründer und Selbstständige, überhaupt noch aktiv zu werden.

Ich fürchte: Wer so denkt, verbaut die Zukunft, und wir kriegen gar keine Jobs. Denn die neuen Beschäftigungsformen („Crowd“) sind so radikal wie flüchtig, wenn man ihnen mit Sozialbeiträgen droht. Modernisierung kann man nicht planen – sie stellt sich disruptiv und ungefragt ein. Man kann Chancen eröffnen – oder verbauen. Man eröffnet sie, in dem man Neues zulässt, und nicht dauernd verhindert wie etwa in der Bio- und Energietechnologie und Pharmazie. Auch hier hat ja Deutschland durch sein Festhalten an der alten Chemie und die Ablehnung der moderneren Formen der Biochemie den Anschluß verloren. Die Anti-Computer-Debatte und jetzt die Internet-Ablehnungsfront helfen da nicht weiter. Man ermöglicht die Zukunft, in dem man Erfolg belohnt und nicht Misserfolg wegsubventioniert – und dann noch höhere Subventionen bezahlt, ehe man ins Arbeitslosengeld umsteigt. Solide Eigentumsrechte gehören dazu und das Wissen, dass Zukunft sich nicht in den Berliner Beamtenstübchen entwickelt, sondern in den Köpfen von Menschen, die man zu leicht als Freaks und Nerds abtut. Die Digitalisierung ist nicht eine neue Technologie, sondern eine gesellschaftliche Utopie. Sie lässt sich nicht verordnen, sondern lebt von unten. Aber eher werden in Deutschland Uber-Taxis verboten, als dass man Veränderung zuläßt – dabei wird sich der Übergang in den KAppitalismus nicht aufhalten lassen. https://www.tichyseinblick.de/tichys-einblick/kappitalismus-der-neue-kapitalismus-in-der-share-oekonomie/ Die Verlierer dieser Art von Politik werden eher die Arbeitnehmer sein. Aber was soll`s – die deutsche Politik bleibt fixiert auf einer Art Sozialpolitik, die sich an den Arbeitermassen des Industriezeitalters, den Stahlarbeitern, Kumpels und Fließbandarbeitern orientiert. Freiere, flexiblere und sicherlich auch buntere Lebensläufe passen nicht in die Norm aus Bismarcks Zeiten und werden deshalb verteufelt.

Aber ich fürchte, das geht Frau Nahles und ihrer vergrünten SPD total gegen den Strich. Da träumt man lieber von zentraler Lenkung und ökologischer Planung vor dem Eintritt ins Rentenalter.

 




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