Am tiefgekühlten Hähnchen haben sich schon Männer die Zähne ausgebissen, deren Namen wir heute ehrfürchtig im Geschichtsbuch lesen. Konrad Adenauer, Charles de Gaulle und John F. Kennedy – Männer, die weder die Sowjets, die Nazis oder den Mann im Mond fürchteten, scheiterten an Hühnern, deren Schenkeln, Flügeln und Brüsten; genauer gesagt: an der Frage, ob und wie diese ohne Zollschranken tiefgekühlt den Atlantik überqueren dürfen.
Die Protokolle zum Élysée-Vertrag, als deutsch-französisches Freundschaftsabkommen einer der Grundpfeiler der EU, dokumentieren umfangreiche und knochenharte Auseinandersetzungen zur Hähnchen-Importfrage. Der europäisch-amerikanische Freihandel scheiterte damals daran. Und wer ist schon der noch aktuelle deutsche Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, gemessen an den Heroen der Vergangenheit, die wie er an TTIP scheiterten? Seither ist die Welt größer und bunter geworden. Angst vor Veränderung und Wettbewerb dominiert auch bei Gabriels Seelenverwandtem in Sachen TTIP, Donald Trump.
Denn die andere Seite ist nicht weniger pingelig. Europas Autos müssen wegen Italiens verwinkelter Gassen die Außenspiegel einklappen können – was im Land der unendlichen Prärie unnötig ist. Und Rohmilchkäse gilt dort als so gefährlich wie hierzulande hormonbehandelter Schinken. Ja, der Teufel liegt eben immer im Detail. Frankreichs Filmindustrie fürchtet sich vor Hollywood und Deutschlands weitgehend staatliche Kulturindustrie vor dem Zuschauer, der möglicherweise an die Stelle der Subventionen für Nicht-Gesehenes und Nicht-Gehörtes treten soll.
Weniger das vorhersehbare Scheitern, aber der Umgang mit den Verhandlungen über das Transatlantische Freihandelsabkommen (bekannt unter dem Stichwort TTIP) sagt mehr aus über den Zustand der deutschen Politik als über Vor- und Nachteile von TTIP.
Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel erklärt die TTIP-Verhandlungen einseitig für gescheitert; dabei sehen das weder die verhandlungsführende EU-Kommissarin so wie viele Partnerstaaten, die wie Schweden Gabriels Diktum genau so wenig teilen. Nur aus Frankreich, an dem schon die Tiefkühlhähnchen scheiterten und wofür danach die deutsche Exportindustrie die Zeche buchstäblich zahlte, erhält Gabriel Unterstützung.
Anti-TTIP-Front Clinton, Trump, Linke und Rechte
Irgendwie haben die politisierten Deutschen vor lauter Liebe zu sauren Äpfeln aus der Region vergessen, dass sie, gemessen an der Bevölkerung, der größten Handelsnation der Welt angehören und ihren ungeheuren Wohlstand gerade dem Freihandel verdanken. Sie haben vergessen, dass die Öffnung der US-Grenzzölle nach 1945 es den Käfern aus Wolfsburg erst ermöglichte, in die Weite des größten Marktes der Welt hinauszukrabbeln und dort das Geld zu verdienen, mit dem Deutschland aufgebaut wurde. Die USA haben Autos aus Detroit durch solche aus Wolfsburg, Rüsselsheim und Stuttgart aber nicht aus lauter Menschenfreundlichkeit ersetzt, sondern weil sie den Deutschen im Kampf gegen den Sowjetblock wieder auf die Räder helfen wollten. Und umgekehrt: Werden die Amerikaner ekelhaft in Sachen Freihandel wie es Trump, aber auch Hillary Clinton mit Rücksicht auf arbeitslose Amerikaner vorhaben, dann sind die Deutschen die gekniffenen – nicht die Franzosen, denn für Champagner ist die Welt immer offen. In der Konstellation kann ohne TTIP der Welthandel sehr schnell wieder zwischen auseinanderdriftenden Kontinentalplatten versinken; und der deutsche Wohlstand gleich mit.
Ähnlich ist es mit der Ablehnung von internationalen Schiedsgerichten. Solche Gerichte bewahrten die Deutschen und ihre Direktinvestitionen vor sagenhaften 1.200 Billionen Euro Enteignung durch die Kleptokratien in Entwicklungsländern. Heute lehnen die Deutschen das ab – wohl auch, weil die deutsche Politik mittlerweile gar nicht mehr versucht, ihre klepokratische Entwicklung zu tarnen: Das ersatzlose Ausradieren von Milliardeninvestitionen etwa des staatlichen schwedischen Energieversorgers Vattenfall in Deutschland durch den Atomausstieg finden die Deutschen toll.
Ihr Staat hat ja immer recht, die alte Staatsgläubigkeit, der Hang zum Autoritativen ist wieder ungebremst. Und Auslandsinvestitonen? Sind ja nur die von Konzernen, können also gerne verloren gehen, glauben die meist im öffentlichen Dienst Beschäftigten oder die aus öffentlichen Kassen ausgehaltenen Mitglieder der tonangebenden Schnatter-Klasse. Bemerkenswert, dass die deutsche Wirtschaft das alles mit sich machen lässt. Aber ihre Führer glauben, durch ein paar Parteispenden Merkel und ihre Minister schon auf Kurs zu kriegen. Lange hat ja Gabriel auch Wirtschaftskurs gehalten, das muss man ihm lassen. Aber mittlerweile geben in Deutschland sogenannten Non-Governmental Organisations den Ton an, gefördert übrigens aus dem linken Lager.
Geschäftemacher NGOs
Diese NGOs sind in den allermeisten Fällen nichts als Geschäftemacher, die emotionale Kampagnen zur Maximierung ihres Spendenaufkommens brauchen. Und dazu eignet sich TTIP. Während die Wirtschaftsbosse politisch naiv an ihren goldenen Fallschirmen basteln für den Fall des Scheiterns, schnarchen ihre mit Abermillionen ausgestatteten Verbandsfunktionäre in den Federbetten des Berliner Hofstaats und essen von den goldenen Tellerchen, die ihnen von Mitgliedsbeiträgen immer wieder gefüllt werden. So lebt die wirtschaftliche Führungsschicht Deutschlands verschroben märchenhaft vor sich hin. Den Kampf für TTIP haben sie an einen Sozi delegiert und als einzige Eigenleistung eine PR-Agentur beauftragt, die im übrigen mehr für den Machterhalt Merkels wirbt als für ihre industriellen Auftraggeber. Oder war das sogar der Deal?
Nun gut, aus deutscher Sicht ist TTIP nicht zu retten. Aber nicht, weil die Verhandlungen zugegebener maßen schwierig sind und Kompromisse an der einen Stelle ebenso erfordern wie Härte an einer anderen. Sondern weil die deutschen Eliten in Politik und Wirtschaft kurzsichtig zulassen, dass an dem Ast gesägt wird, auf dem ihre warmen Nester sitzen.
Könnte sein, dass die bald zu Boden plumpsen und dem ordinären Volk auf den Kopf klatschen.