Eine gefährliche Zuspitzung beherrscht den politischen Diskurs in Europa: Ein guter Europäer ist, wer die Verteidigung des Euro unterstützt, um jeden Preis. Denn das Projekt des gemeinsamen Europas ist an den Euro gebunden und angesichts der Erfahrung der Selbstzerfleischung jeden Preis wert. Nach dieser Logik ist ein schlechter Europäer, wer die sich überschlagenden Rettungsmaßnahmen in Fantastilliardenhöhe und das Aufweichen früherer Vereinbarungen zur Sicherung der Geldwertstabilität kritisiert. In eine radikale Schmuddelecke zu den bösen Spekulanten des Weltfinanzwesens stellt sich, wer über ein geordnetes Ende des Euro-Experiments nachdenkt.
Dieses manichäische Weltbild ist falsch. Denn: Der Europäischen Union gehören 27 Staaten an, nur 16 führen den Euro als gemeinsame Währung. Europa ist mehr als die Euro-Zone. Zu Recht hat Bundeskanzlerin Angela Merkel in den Verhandlungen mit Frankreich durchgesetzt, dass eine Wirtschaftsregierung alle Mitglieder der Union, nicht nur den Euro-Club, umfassen wird. Nur so ist sichergestellt, dass die leistungsstarken und stabilitätsorientierten Volkswirtschaften Skandinaviens, Großbritanniens und die neuen Wachstumsregionen wie Tschechien und Polen dem gemeinsamen Europa erhalten bleiben. Die Euro-Zone ist vom Club Med geprägt; die Europäische Union aber umfasst auch die Anrainer von Nord- und Ostsee. Insofern ist der Euro eher trennend als verbindend.
Wer gegen die Hilfefonds argumentiert, ist nicht unsolidarisch. Wir haben nicht Griechenland gerettet – sondern einige Banken. Für diese Rettungsaktionen bezahlt die griechische Bevölkerung mit wachsender Armut. Das wissen auch griechische Politiker. Sie haben nur nach langem Zögern den Sanierungsplänen zugestimmt, weil sie wissen: Diese Politik kann nur scheitern, und dann werden sie auf die Milliarden in den Hilfsfonds direkt zugreifen können.
Wenn die Hilfsfonds dann Milliarden über Milliarden an Staatsanleihen (die ja nur die Staatsschuld ausdrücken) für die Finanzierung der notleidenden Südstaaten ausgeben, wird auch Deutschlands Bonität sinken. Denn wir bürgen dafür; praktisch unbegrenzt und unkontrollierbar. Hier ist dem hochverehrten Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble zu widersprechen, der aus den Bürgschaften keine Belastung des Bundeshaushaltes erwachsen sieht. Griechenland hat kein Liquiditätsproblem, das mit Bürgschaften überbrückt werden kann. Es hat ein Solvenz-, ein Leistungsfähigkeitsproblem und wird deshalb seine Schulden nicht bedienen können. Dann spart der deutsche Finanzminister in seinem Haushalt mühsam in Millionenhöhe, während er Milliarden über Euro-Bürgschaften verliert. Der europäischen Verständigung wird dies nicht helfen. Es ist makaber: Für den Hilfsfonds bürgen Staaten wie Portugal und Spanien, die eher Kandidaten für die Hilfen daraus sind. So wird Solidarität überfordert.
Die Europäische Zentralbank kauft viele Milliarden von Staatsanleihen auf. Von wem und wie viel wird als Geheimnis behandelt. Dies ist eine Geldpolitik im Stil der Medici.
Die politischen Kosten wachsen von Tag zu Tag, mit denen der Euro gegen die wirtschaftliche Realität verteidigt wird. Die deutsche Industrie kann mit einem Wechselkurs von bis zu 1,80 Dollar je Euro leben. Die griechische kann erst leben, wenn der Euro für unter 50 Cent verramscht wird.
Die politische Logik, die Einigung Europas über den Euro zu vollenden, verschärft die ökonomischen Spannungen und bedroht damit vielleicht sogar den Einigungsprozess. Wer dies erkennt, ist kein Gegner Europas, sondern ein Freund der Union. Diese Debatte ist zu ernst. Sie darf nicht länger mit Totschlagsargumenten verdrängt werden.
(Erschienen am 19.06.2010 auf Wiwo.de)