In Frankfurt schraubt sich ein riesiger Doppelturm in den Himmel; der höchste der Stadt will er werden. Es ist der Neubau der Europäischen Zentralbank (EZB), ein preisgekrönter Entwurf.
Doch plötzlich erscheint der Bau von zweifelhafter Symbolik: Die Türme sind gegeneinander verdreht, wie von Riesenhand gestaucht und aus dem Lot gebracht – wie die Vorwegnahme einer Geldpolitik in Europa, die neuerdings unbegrenzt Geld für überschuldete Staaten drückt. Es ist ein monströser Bau auf den Feldern, von denen einst die Familie Johann Wolfgang von Goethe ihr Grünzeug bezog. Der neue Glaspalast wirkt wie ein Ufo – gerne möchte die EZB so mächtig sein wie die FED in New York. Aber ihr fehlt der Unterbau, der gemeinsame europäische Staat. Ohne gemeinsame europäische Wirtschafts- und Fiskalpolitik bleibt sie ein Torso, aufgepropft und ausgeplündert von nationalen Partikularinteressen. Andere Betrachter erinnert sie an betonierten und glasverspiegelten Größenwahn, vielleicht sogar an den Turmbau zu Babel, den Gott der Herr bekanntlich dadurch zum Misslingen brachte, dass er die Sprache der Bauleute verwirrte: Ist die Europäische Währungsunion nicht doch zu groß geraten, weil sie Länder mit zu unterschiedlicher wirtschaftlicher Leistungskraft verbindet? Und bezeichnend, dass den Bau der Deutsche Jörg Asmussen überwacht – weder konnte Deutschland den zugesagten Job des Präsidenten erringen noch wenigstens die Schlüsselstellung des wichtigen „Chefvolkswirtes“: jetzt also für die Deutschen, die mit großem Abstand das wirtschaftsstärkste Teilland der Eurozone darstellen, nur noch der Job den des Baustellenaufsehers?
Nun soll man Architektur auch nicht überinterpretieren, und doch scheint sie sich selbst zu enthüllen, die groteske Fehlkonstruktion der Europäischen Währungsunion in den Himmel zu schreiben.
In diesen Monaten wird das noch immer weiter wachsende Betonskelett um eine Brücke über den nahen Main ergänzt; einst soll wenige Meter weiter der sagenhafte Kaiser Karl der Große auf der Flucht vor einer weißen Hindin durch die gefährliche Strömung an das rettende andere Ufer geleitet worden sein. Der Umzug der EZB ist für 2014 geplant. Dann geht es nicht mehr um Architektur. Sondern um Rettung oder Untergang des Euro.
(Erschienen in der Jewish Voice of Germany, September 2012)