Was sich aktuell beim Erneuerbare-Energien-Gesetz zeigt, dass viele Grüne nicht mehr verhandlungsfähig sind, ist nur Symptom einer neuen politischen Religion.
Es sind nur fünf Wörter im rot-grünen Koalitionsvertrag in Niedersachsen und ist doch Sprengstoff: „Das Projekt HannoverGEN wird beendet.“ Seit 2008 konnten sich Zehntausende Gymnasiasten über Möglichkeiten der Gentechnologie im Schülerlabor informieren; selbstverständlich warnte die pädagogische Begleitung schon in der schwarzen Regierungszeit stets vor den Gefahren, die gemeinhin damit imaginiert werden. Aber selbst damit muss jetzt Schluss sein. Denn die neue Landesregierung will „Null-Toleranz“ in Sachen Gentechnologie durchsetzen, und damit in der Ausbildung anfangen.
Zwar wird jeder Diabeteskranke mit gentechnisch hergestellten Medikamenten behandelt, enthalten jedes Baumwollhemd aus fairem Handel und jede Sojasauce im Lebensmittelregal gentechnisch veränderte Ausgangsmaterialien. Aber im grünen Pandämonium rangiert Gentechnologieangst nach Atomkraftfurcht, Ozonlochpanik und Wachstumsbedenken kurz vor der den Klimawandelsorgen in der Hitliste der Angstmacher. Was bisher allenfalls Kopfschütteln ausgelöst hat, wird Gebot, seit grüne Politiker auf dem Marsch durch die Institutionen an deren Spitze angekommen sind. Jetzt sollen auch Wissenschaft und Forschung politisch gleichgeschaltet werden. Denn auch sie fallen unter den Bannstrahl, dass Niedersachsen gentechnikfreie Zone werden und jegliche Förderung dafür eingestellt werden soll. Die Freiheit von Lehre und Forschung ist wohl noch nie mit so quasireligiöser Inbrunst und Verfolgungseifer bedroht worden.
Das ist neu. Eigentlich waren die Grünen ja als emanzipatorische Kraft angetreten, setzten sich für allerlei tatsächlich oder vermeintlich unterdrückte Minderheiten wie Frauen, Atomkraftgegner, Naturbewahrer, Migranten ein; sie waren die politische Heimstatt vieler Gruppierungen, an deren Ende die AG SchwuP steht, die „Arbeitsgemeinschaft Schwule und Päderasten“. Von der schillernden und widersprüchlichen Buntheit ist nicht viel übriggeblieben, nur Einheitsgrün. Es erinnert an das Umschlagen vieler emanzipatorischer Bewegungen seit der französischen Revolution, die ihre Gegner an Härte und Grausamkeit schnell übertrafen: Aus der geforderten Toleranz wird jakobinische „Null-Toleranz“.
Das erfährt gerade auch die eurokritische AfD. Sie sei ein Staubsauger für alle rechten Ideen, behauptet ohne Beleg der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck. In der grünen Glaubenswelt steht Rechts aber für Häresie. Kein Wunder, dass jüngere und noch stürmischere Vertreter der Grünen Jugend Becks Sprüche für Fakten nehmen und den AfD-Wahlkampf mit Schmierereien, Pöbeleien, Pfeffergas und Messerstichen begleiten. Brandstifter Volker Beck hat sich nicht distanziert.
Dahinter steckt ein Konzept: Nicht um die Verteidigung der Meinungsfreiheit der Andersdenkenden geht es, vielmehr sollen die Grenzen des politisch noch Erlaubten eng gezogen werden. Gerne beruft man sich auf die Regel, dass wo Recht zu Unrecht, Widerstand zur Pflicht wird. Damit rechtfertigt Grün seit jeher den militanten Kampf etwa gegen das atomare Zwischenlager in Gorleben. Nun mag man das noch als grenzwertigen, aber unvermeidlichen Preis politischer Auseinandersetzungen in einer offenen Gesellschaft hinnehmen, wenn es um so leidenschaftlich debattierte Fragen wie Kernenergie geht. Aber mit der dort eingeübten Mischung aus Glaubenseifer, der sich kritischer Rationalisierung entzieht und einer Rücksichtslosigkeit, die sich mit der Größe der Aufgabe „Weltrettung“ rechtfertigt, zieht das Führungspersonal der Grünen in die bescheidenen Stuben der Regierungsämter ein. An die Stelle technokratisch-nüchterner Abwägung auf der Nahtstelle zwischen Notwendigem, Machbarem und Wünschenswertem, tritt eine pathetische Emotionalität, nach der die natürlichen Lebensgrundlagen bedroht, ja der ganze Planet vor der Selbstzerstörung stehe.
Wer aber so absolute und quasireligiöse Ziele wie die Rettung der Welt und der gesamten Menschheit verfolgt, kann bei der Wahl der Mittel nicht zimperlich sein. Mit dieser Grundüberzeugung aber sind viele Grüne nicht mehr verhandlungsfähig, was sich aktuell beim Erneuerbare-Energien-Gesetz zeigt: Was sind schon Hunderte von Milliarden, die dadurch vernichtet werden, angesichts einer drohenden globalen Gesamtzerstörung? Die Korrektur eines Gesetzes, dessen dynamische Wirkung auf Ausbaugeschwindigkeit und Verdrängung bestehender Energiestrukturen unterschätzt wurde, wird zum Glaubenskrieg.
Den Nachteil trägt die Gesellschaft: durch eine Zunahme von gesellschaftlichen Konflikten, irrationalen Entscheidungen, neuen Tabus und letztlich einem Verlust an Wohlstand und Diskursfähigkeit.
Erschienen am 13.09.2013 im Hauptstadtbrief