Angela Merkel ist der strahlende Superstar Deutschlands – folgt man der Umfrage, die das Meinungsforschungsinstitut Emnid für die Zeitschrift Bild am Sonntag durchführte: Drei Viertel der Deutschen finden, dass sie ihre Sache als Bundeskanzlerin gut macht. Und diese Kanzlerin kennt keine Parteien: Nicht nur die Anhänger der CDU, auch Wähler der SPD, viele Grüne und sogar von der Linken, alle stehen hinter der Bundeskanzlerin. Groko steht für Harmonie, für die Fähigkeit, große Aufgaben anzugehen. Aber gerade das fehlt.
Politik für die Weihnachtszeit
Über allen Gipfeln steht die Kanzlerin im Ansehen. Nur gut 40 Prozent haben am Wahltag ihr Kreuz bei der CDU gemacht, aber 76 Prozent finden, dass sie eine gute Kanzlerin ist – ein Rekordwert. Jedenfalls kenne ich keinen Kanzler, der derart weit ins gegnerische Wählerlager ausgreift. Woran liegt das? In ihrer Ruhe liegt die Kraft. Die Deutschen mögen ihre Unaufgeregtheit, scheuen Konflikte. Wenn alle aufgeregt sind, vermittelt Merkel Sicherheit. Die schärfste Form ihrer Kritik lautet „nicht hilfreich“. Damit dimmt sie den grellen Parteienstreit bis zum milden Schein von Christbaumkerzen herab und sorgt für heimelige Stimmung. Das mag der Michel. So lange alles gut geht.
Und fühlt sich gut aufgehoben. Merkel ist nicht allein zu Haus. Höchste Zustimmung erhalten auch Außenminister Frank Walter Steinmeier (72 Prozent finden er macht seine Arbeit gut) und für Finanzminister Wolfgang Schäuble (65%). Mit Steinmeier hält sie Putin in Zaum und die Ukraine-Krise unter Kontrolle, mit Schäuble hat sie die Schwarze Null fest im Griff: Zum ersten Mal seit 45 Jahren oder eineinhalb Generationen gibt der Staat nur noch so viel Geld aus, wie er einnimmt. Das ist Merkels Erfolgsrezept, um „Deutschlands Zukunft zu gestalten“, wie es im Koalitionsvertrag mit der SPD heißt. Steinmeier ist in der SPD? Ach so. Natürlich ist das Abschneiden in Umfragen auch Reflex dessen, wie oft eine Nase durch die Nachrichten flimmert. Legendär der Vielreisende Hans-Dietrich Genscher; zunächst als Innenminister eher eine Belastung im Kabinett Kohl. Aber als Außenminister ging der Witz um, er sei beim Flug nach Moskau abgestürzt – durch den Zusammenstoß mit der Maschine, in der er bereits auf dem Rückweg war. Außenminister haben also eine Art Populariätsgarantie; nur der unglückselige Guido Westerwelle wußte das Amt nicht zu nutzen. Aber Steinmeier in seiner nüchternen, ehrlichen und leisen Art wirkt als Friedensengel und bringt den Ölzweig nach Donnezk.
Die Wirtschaft läuft und läuft und läuft
Wer Erfolg haben will, braucht Glück. Merkels Glück ist, dass die Wirtschaft läuft und läuft und läuft. Da stimmt die Harmonie, schmerzhafte Entscheidungen werden nicht nötig. So viele Arbeitsplätze (42,7 Millionen) wie derzeit gab es noch nie in Deutschland; so hohe Steuereinnahmen gab es noch nie, so viele Milliarden für Renten- und Krankenversicherung ebenfalls noch nie in der Geschichte des Landes. Und wenn die Miesmacher vom Berufsstand der Volkswirte Angst um den Aufschwung kriegen, dann zeigt die Statistik am nächsten Tag: Es läuft und läuft und läuft. Angela Merkel und Deutschland werden getragen von einer Woge des wirtschaftlichen Erfolgs, während in Frankreich und Italien überlegt wird: Wer ist der Letzte, der das Licht ausmacht in stillgelegten Fabriken?
Davon kann sogar Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel profitieren, der wie ein Poltergeist durch die Nachrichten rumpelt: Die gute Wirtschaftslage strahlt auch auf ihn aus. Immerhin noch 54 Prozent finden, er mache seine Sache gut; schon 26 lehnen in ab. Gabriel ist kein strahlender Engel, nur so lala.
Für einen Vizekanzler und möglichen Kandidaten ist das eine magere Ausgangslage. Wer Wirtschaft kann, kann auch Kanzler. Kann er das? Seine Erfolge halten sich allerdings in Grenzen: Die großangekündigte Reform der Energiewende ist wirkungsloses Stückwerk: Gabriel ist ein Gewinner des schlechten Wetters. Nur weil so wenig Solarstrom subventioniert werden musste, macht es möglich, dass die Strompreise leicht sinken. Viel Sonne – und die Strompreise steigen so schnell, wie Gabriels Ansehen sinken könnte. Auch beim Transatlantischen Freihandelsabkommen ist seine Linie sprunghaft: Erst dagegen, dann dafür; der Wechsel geht ihm flott über die Lippen. Genau das aber, das zeigt Merkel, mögen die Deutschen nicht. Sondern Harmonie – und die scheint auch Manuela Schweig auszustrahlen. Kritiker nennen sie die „Küsten-Barbie“. Kluge Worte hat man nicht von ihr hören können; allerlei populistisches nur zur Quote. Ihr Zustimmungswert von 48 Prozent verteilt sich gleichmäßig auf Frauen (Quote) und Männer (Aussehen). Blond geht immer. Wenn sie lächelt, vergessen die Kerle, dass sie ihnen an den Job will.
Wähler werden gekauft, nicht überzeugt
Aber geht es immer so weiter? Welche Gefahren lauern? Große Aufgaben hat die Groko nicht angepackt. Selbst für die leichten Entscheidungen, nämlich viel Geld zu verschenken, hat sie viel Zeit verbraucht. „Der Deutsche entfaltet in der Stunde der Not höchste Tugenden. Die Frage bleibt, ob er im gleichen Maße den Stufen des Glücks gewachsen ist.“ Diese Frage stellte wie voraus ahnend Ludwig Erhard, der Schöpfer des Wirtschaftswunders. Viele der heutigen Erfolge stammen aus früheren Jahren, den Jahren der Not. Die Reformen Gerhard Schröders haben dazu beigetragen; das heutige Glück basiert aber auf den Grundlinien einer Ordnungspolitik, die Erhard gezogen hat: Fairer Wettbewerb, unternehmerische Freiheit und Mitgefühl gegenüber den Schwachen und den Verlierern der Gesellschaft. Wirtschaft soll für die Menschen arbeiten, nicht gegen sie.
Hier ist die Bilanz der Großen Koalition nicht rosig. Bislang ist sie nur eine Schön-Wetter-Veranstaltung. Politik ohne Prinzipien gilt ihr als modern. Die Wähler will man nicht mehr überzeugen, sondern kaufen. Geschenke werden verteilt, die heute wie ein Schnäppchen wirken, aber langfristig teuer sind: Jeder gönnt Müttern ein Rentenplus und älteren Arbeitnehmern die frühe Rente. Aber langfristig wird damit die Rente endgültig zur Illusion. Und viele Rentner, denen es in Zukunft nicht mehr so gut gehen wird wie heute, zahlen dafür: Ihre Rente steigt nicht mehr, weil heute Geld benötigt wird.
Mindestlöhne wünschen wir uns alle, sie sind gerecht. Sind sie aber auch klug? Was geschieht, wenn dafür die Arbeitslosigkeit wieder steigt? Deutschland wird zum Labor einer gutgemeinten Umverteilungspolitik, die schnell in Ungerechtigkeit umschlagen kann. Der Sozialstaat, ursprünglich als Hilfe im Alter gedacht und bei Schicksalsschlägen wie Krankheit und Arbeitslosigkeit wird zum Normalfall. Aus dem notwendigen Höchstmaß an Selbstvorsorge ist ein Mindestmaß geworden. Und bislang ist die Bundesregierung jede Antwort schuldig geblieben, wie es mit Riesterrenten und Lebensversicherungen weitergehen soll, wenn keine Zinsen mehr gezahlt werden.
Schlechte Noten für Frau Holle und Pannen-Ursel
Die Menschen spüren das. Noch nie durfte ein Sozialminister so viel Geld ausgeben wie Andrea Nahles. Sie ist die Frau Holle der Bundesregierung und schüttet Sterntaler unter das Volk. Aber das Volk dankt es ihr nicht. Nur 45 % der Befragten finden Frau Holles Arbeit gut; ein Drittel der Befragten sogar schlecht.
Es ist die Polarisierung zwischen den Beglückten und den Zahlern, die sich da wiederspiegelt. Die Menschen wissen, dass sie die Rechnung dafür zahlen, unausweichlich. Denn die Generation der Babyboomer wird jetzt zur Mammut-Generation der Renten-Kassierer – aber hat darauf verzichtet, genügend eigene Kinder großzuziehen. Nicht mehr Söhne und Töchter zahlen über den Generationenvertrag für Väter und Mütter – sondern die Kinder vom Nachbarn. Aber auch der hat zu wenig Kinder. Mit der Generationenvorsorge aber hat sich diese Regierung nicht beschäftigt – sie hat sogar massiv dagegen verstoßen, indem sie im hier und heute abrechnet und die Zukunft vergessen macht. Eine höhere Ablehnung im Bundeskabinett hat – mit einer Ausnahme – nur Ursula von der Leyen. Für 38 % ist sie Pannen-Ursel, deren Show bombastisch ist, deren Leistung aber geringgeschätzt wird.
Und dann folgt das große, graue Mittelmaß im Bundeskabinett. Jeder Fünfte kennt weder Heiko Maas („Eine Schande für Deutschland“), Gerhard Müller-Who? oder Christian Schmidt; weitgehend unbekannt blieben Johanna Wanka, Barbara Hendricks, selbst Peter Altmaier.
Noch läuft und läuft und läuft die Wirtschaft. Aber die großen Internet-Konzerne aus dem Silikon Valley rücken immer weiter vor. Sie greifen nach dem Auto und dem Maschinenbau, der Meisterklasse und dem Rückgrat der Deutschen Wirtschaft. Gegen ihre Innovationskraft ist vorerst kein deutsches Kraut gewachsen.
Schlusslicht Bayern: Keiner kennt sie, keiner mag sie
Früher bildete sich die CSU aus Bayern viel darauf ein, dass sie rechtzeitig ihr Land modernisierte und dem Bauern statt die Mistgabel den Laptop an die Hand gab. Heute tragen ihre Minister in Berlin die rote Laterne des Schlusslichts in Sachen Bekanntheit und Kompetenz spazieren. Und ganz am Ende Verkehrsminister Alexander Dobrindt, der eigentlich auch für den Ausbau des Internets zuständig sein wollte. Nur 21 Prozent finden seine Arbeit gut; die Ablehnungsfront maximiert sich auf sagenhafte 55 Prozent. In seinen Maut-Häuschen wird kein Arbeitsplatz für morgen entstehen; abkassieren statt erfinden, das reicht nicht.
Die Bilanz der großen Koalition? Das Licht von heute wirft einen Schatten auf das Morgen. Vielleicht aber wird ja im Neuen Jahr alles besser – wenn Angela Merkel nicht mehr nur die Raute macht, sondern auch mal diese Zukunftsfragen auf den Kabinetts-Tisch knallt. Denn nur mit moderieren wird es nicht mehr weitergehen im kommenden Jahr. Deutschland wird geradezu zerrissen von Auseinandersetzungen über die Einwanderungspolitik; immer mehr Menschen wenden sich von den gängigen Medien und Parteien ab. Diese Entwicklung kommt für viele überraschend. Noch versucht man sie wegzureden. Doch die Lage spitzt sich weiter zu – da werden Entscheidungen unausweichlich sein; Raute hin oder her. Menschen wollen überzeugt werden, nicht gekauft.