Tichys Einblick
Grüne Spezl-Wirtschaft

Der Graichen-Trauzeugen-Skandal oder Bewerbungsverfahren in Habecks Würstelbude

Die Befragung von „Klimaschutz“- und Wirtschaftsminister Robert Habeck und seines Staatssekretärs Patrick Graichen zeigt, wie zielgerichtet die Nominierung des Trauzeugen als Chef der bundeseigenen Deutschen Energieagentur Dena erfolgte – Paradebeispiel grüner Spezl-Wirtschaft.

Staatsekretär Patrick Graichen und Wirtschaftsminister Robert Habeck in der gemeinsamen Sitzung der Ausschüsse für Wirtschaft, Klimaschutz und Energie, Berlin, 10.05.2023

IMAGO / photothek

Wenn die Abgeordneten der Bundestagsausschüsse von Wirtschaft und Energie einen Bundesminister und seinen Staatssekretär danach befragen, wieso ausgerechnet der Trauzeuge des Staatssekretärs Michael Schäfer Chef eines 330 Mitarbeiter starken Bundes-Unternehmens werden sollte: Dann darf man sich das nicht wie ein strenges Verhör vorstellen. TE hat das Protokoll ausgewertet.

Parlamentarische Untersuchungs-Scharade

Jede der sechs Fraktionen im Deutschen Bundestag darf reihum vier Minuten Fragen stellen, je dreimal. Anzahl und Zeit der Fragen sind also strengstens limitiert, es kommt auf jedes Wort und jede Sekunde an. Und die Fragen der drei Ampel-Fraktionen werden nicht gestellt, um Fehler aufzuklären oder Missstände, sondern sie sollen den Murks des Ministers rechtfertigen oder in mildes Licht tauchen. Etwa, wenn die Abgeordnete Ingrid Nestle von den Grünen, die die komplette Seite 26 des insgesamt 39 Seiten umfassenden Protokolls mit Gerede über die Schwierigkeiten des Regierens verschwafelt, um dann Habecks Staatssekretär und Parteifreund Stefan Wetzel zu fragen: Könnte es sein, dass „jemand ausgewählt worden wäre, der vielleicht nicht der Beste der Bewerberschaft war?“

Der kann daraufhin treuherzig bestätigen: „Das Ergebnis im Gespräch nach den Bewerbungen war sehr einheitlich, was die Einschätzung zur Person anging. Insofern ist auch dann dieser Vorschlag gemacht worden, diese eine Person dem Aufsichtsrat an erster Stelle zu präsentieren“. Diese eine Person ist der Trauzeuge seines Mit-Staatssekretärs Patrick Graichen. Und natürlich dürfen sich Robert Habeck und mit ihm fünf der sechs Fraktionen darüber aufregen, dass der AfD-Abgeordnete Rainer Kraft in seine Frage das Wort „parasitär“ in seine Frage einflicht – „Nazi-Sprache“ giftet Habeck und schon ist im Getue darüber eine knappe Viertelstunde der zwei Befragungsstunden garantiert ergebnislos ausgestanden. So kommt man leichter um die Beantwortung der Frage herum, was die Folgen von fehlerhaft ausgeübter Verantwortung sein könnten – für Habeck jedenfalls keine.

Und hin und her geht es, weil der Antrag auf Öffentlichkeit gestellt – und mit der Ampelmehrheit abgelehnt wird. Das wiederum darf Robert Habeck bedauern, er hätte doch so gern öffentlich seine Unschuld bewiesen. Es ist das Bohren dicker Bretter im parlamentarischen Prozess, und die Kunst besteht darin, trotzdem das Geflecht der Vertuschung aufzudecken. Während Habeck im Gefolge von gleich drei Staatssekretären auftaucht, die um ihn eine Abwehrphalanx bilden.

Und doch: Wahrheit, stückchenweise

Es ist Julia Klöckner (CDU), die knapp und scharf die richtigen Fragen stellt – wie hat Patrick Graichen Einfluss auf die Postenvergabe zu Gunsten seines Trauzeugen genommen? Graichen drückt sich um die Beantwortung. Folgt man ihm, dann kam jener alte Freund Michael Schäfer irgendwie zufällig auf die Bewerbungsliste – warum auch nicht? Denn immerhin, so ergänzen seine Freunde von der SPD, dürfen auch Angehörige nicht willkürlich aus Bewerbungen ausgeschlossen werden. Aber dann sagt Graichen den ersten verräterischen Satz: Die Vorauswahl wurde von einem Headhunter getroffen – mit Empfehlungen aus dem Ministerium. „Ich habe auf der Liste, die ich der Personalagentur geschickt habe, auch den Namen Michael Schäfer draufgeschrieben.“ Damit ist klar: Es war keine „Blindbewerbung“, gegen die nichts einzuwenden wäre – sondern schon im Vorfeld wirkte Graichen mit. Aber wie intensiv?

Im Verlauf muss Graichen doch zugeben, dass er den übrigen Mitgliedern des Auswahl-Gremiums nie gesagt hat, dass es sich bei Schäfer um seinen Trauzeugen handelt. „Ich habe gegenüber den Mitgliedern der Findungskommission deutlich gemacht, dass ich die unterschiedlichen Bewerberinnen und Bewerber kenne“, sagte er laut Protokoll. Obwohl er vier der sechs Kandidaten nach 20 Jahren Bekanntschaft normalerweise duzt, hat er sie im Bewerbungsgespräch gesiezt. Graichen musste also die Wahl unter Freunden treffen. Es konnte daher nicht viel schiefgehen nach der Vorauswahl – es musste nur ein wenig nachgeholfen werden, dass die Wahl auch wirklich auf den Besten der besten Freunde fällt. Und dann kommt es: 

„Ich habe den Mitgliedern der Findungskommission nicht gesagt, dass er mein Trauzeuge ist.“  

Die entscheidende Frage

Dann stellt Julia Klöckner, gebremst durch das Hin und Her der Ablenkungsmanöver der Ampel-Bundestagsabgeordneten die entscheidende Frage: „Haben Sie sich ausgesprochen für ihn, für Herrn Schäfer?“ Doch zunächst windet sich Graichen: „Das war bei den Beratungen der Findungskommission. Am Schluss ging es darum, drei Top-Kandidaten zu bestimmen, und das war eine einvernehmliche Diskussion innerhalb der stimmberechtigten und nicht stimmberechtigten Mitglieder der Findungskommission, welche diese drei Top-Kandidaten sind und dass Michael Schäfer an Nummer eins stehen würde.“

Klöckner hat ihn am Gürtel und hakt ruhig und schnell nach: „Ja, ich habe gefragt, ob Sie sich für ihn ausgesprochen haben?“ Graichen: „Ich habe insgesamt zu dem Thema, ich glaube, ich habe zu dem Thema eine positive Empfehlung ausgesprochen.“ 

„Danke schön“, sagt Klöckner, ehe sie ihr Verhör absetzen muss, um den Entlastungsabgeordneten der Ampel wieder die Rede zu überlassen.

Damit ist klar: Es war nicht die behauptete neutrale Zurückhaltung, sondern eine „positive Empfehlung“ für den Trauzeugen. Und Graichen entschuldigt sich mit der geradezu karnevalsreifen Bemerkung, dass er „nicht die Klarheit hatte, dass Michael Schäfer in dem Kontext jemand ist, den ich sozusagen zu gut kenne“. Man kennt sich also, nur das zu gut ist fraglich in Habecks Ministerium.

Aber wieso saß Graichen überhaupt bei der Personalauswahl dabei? Zuständig für staatliche Beteiligungsfirmen wie die Dena ist im Wirtschaftsministerium eigentlich ein dritter Staatssekretär: Udo Philipp. Der gehörte dem Gremium jedoch gar nicht erst an.

Davon wusste Robert Habeck allerdings nichts und greift auf seinen Parteifreund und Staatssekretär Wetzel zurück. Der behauptet, es sei „naheliegend, hier im Energiebereich den Staatssekretär mit in die Findungskommission zu nehmen, der sich fachlich auch am weitesten mit diesen Themen auseinandersetzt in seiner täglichen Arbeit“. Nun gibt es aus gutem Grund in einer Riesenbehörde Zuständigkeiten – offensichtlich wurden sie gebrochen, um Graichen den Mann auswählen zu lassen, der ihm am behaglichsten erscheint – wiederum ist der Trauzeuge belastet. Erst Wochen später fällt Graichen ein, dass das ein Fehler gewesen sein könnte. Wenige Tage aber, nachdem der Arbeitsvertrag mit Schäfer schon endgültig unterschrieben ist, gesteht er nach eigener Aussage erstmals Habeck, dass Schäfer sein Trauzeuge ist.

Schnell wird klar, dass er vor allem die Gefahr sieht, aufzufliegen. Am Tag vor seinem Geständnis sei ihm klar geworden, dass die Sache schon „in der Öffentlichkeit kursierte, da habe ich das erste Mal das Wort Trauzeuge gelesen“, gibt er zu.

Der Vertrag ist unterschrieben, da fällt Graichen was auf

Erst als es also Gerüchte gibt, geht er zu Habeck, der Vertrag von Schäfer ist bereits unterschrieben. „Und da war mir dann klar: Okay, das wird anders wahrgenommen“, sagte Graichen. Habeck distanziert sich schnell von Graichen. Immer wieder macht Habeck klar, dass er Graichen schätzt – aber stellt sich nicht direkt vor ihn und schiebt Nicht-Wissen vor. Vertrauensvoll ist auch sein Ton mit seiner weiteren Staatssekretärin Anja Hajduk, Grüne selbstverständlich: „Anja du musst mich korrigieren, ungefähr 120 Stellen per Ausschreibung im Haus neu vergeben worden. Das sind dann Besetzungsverfahren, wo die jeweiligen Abteilungsleiter und Unterabteilungsleiter und auch Referatsleiter dabei sind.“ Da könne er sich nicht um jeden neuen Beschäftigten kümmern.

Graichen war’s also, ganz allein: „Ich war allerdings, wie mehrfach ausgeführt, mit dem ganzen Verfahren nicht befasst und habe erst einmal die Leitungsebene gebeten, das Verfahren aufzuarbeiten, um ein bisschen zu verstehen, worüber ich hier gerade rede, und welche Entscheidung, die ja erkennbar dann eine weitreichende Wirkung haben würde, zu treffen wäre.“ Es ist wieder Klöckner, die ihm die notwendigerweise simple Frage stellt, ob er sich bewusst sei, dass er als Minister die Letztverantwortlichkeit trage.

Julia Klöckner will allerdings auch von Graichen wissen: „Kennen Sie den Unterschied zwischen einem menschlichen Fehler und einem arbeitsrechtlichen Verstoß?“ Es ist der Einstieg in eine Richtung, die für Graichen und damit auch für Habeck in den nächsten Wochen gefährlich wird: die beamtenrechtliche Prüfung von Fehlverhalten mit entsprechenden Folgen. Die für das Personal zuständige Staatssekretärin Hajduk bestätigt, „dass das beamtenrechtlich gewürdigt wird, was als Fehler eingeräumt wurde“.

Graichen ist nicht gerettet

Damit bricht Habecks Verteidigungslinie zusammen, es habe sich mal so eben um ein Fehlerchen gehandelt, das durch eine Entschuldigung ausgeräumt werden kann. Graichen muss sich einer disziplinarrechtlichen Untersuchung stellen; er ist keineswegs aus dem Feuer. Und so nebenbei wird klar: Habecks Ministerium wird versuchen, die entstehenden Kosten der Berufung des Trauzeugen Miachel Schäfer gering zu halten. Aber der Anstellungsvertrag Schäfers war unterschrieben – erst danach ist ja Graichen aufgefallen, dass das Verfahren fraglich sein könnte.

Bernd Westphal von der SPD will, plötzlich kritisch geworden, wissen: „Das heißt, die Gespräche sind noch nicht abgeschlossen. Es ist durchaus möglich, dass es finanzielle Ansprüche gibt?“

Habecks Staatssekretär Stefan Wenzel: „Das ist möglich, ja.“

So ist das eben, wenn in Habecks Würstelbude ein Spüler aus der Großfamilie eingestellt wird: Der Sieger des Bewerbungsverfahrens steht von vorneherein fest. Mit zwei Unterschieden: Erstens ist es in der Würstelbude einfacher und es klappt ganz ohne Untersuchungsausschluss und Öffentlichkeit – weil zweitens der Inhaber die Folgen und Kosten selbst tragen muss.

Habecks Fehler hat der Steuerzahler zu berappen.

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