In diesen Tagen überholt die Wirklichkeit in den Fabriken die Prognosen der volkswirtschaftlichen Abteilungen. Automobilzulieferer aus dem Fränkischen holen ihre Leute am Sonntag aus der Kirche in die Fabrik; Chemieunternehmen wundern sich, wozu ihre Spezialchemikalien eigentlich in so rauen Mengen gebraucht werden, den Reedern werden Container knapp, und geparkte Frachtflugzeuge rollen wieder auf die Startbahn. Mittlerweile werden auch wieder neue Jobs geschaffen. In Deutschland zeigt die Konjunktur so steil nach oben wie zuletzt der aufgezwirbelte Schnurrbart von Wilhelm Zwo.
Das kommt nach dem Abriss der wirtschaftlichen Nachfrage im vergangenen Jahr so plötzlich, dass die guten Nachrichten noch gar nicht so richtig im Bewusstsein angekommen sind. Die Ursachen für diesen Erfolg sind schnell aufgezählt: Viele Unternehmen haben sich neu aufgestellt, modernisiert, die Produktion flexibilisiert und auf betrieblicher Ebene die Lohnkosten zusammengeholzt. Hergestellt wird, was die Wachstumsmärkte in China und Indien brauchen, und das zu Preisen und Konditionen, die den europäischen Konkurrenten die Tränen in die Augen und die Kunden zu den Deutschen treibt. Um zwölf Prozent haben die Exporte real im ersten Quartal gegenüber Vorjahr zugelegt.
Aber es sind nicht nur unternehmerische Leistungen, die den Aufschwung ermöglichen – es sind auch die Rahmenbedingungen in der Euro-Währungsgemeinschaft, die dem deutschen Wachstum helfen: Die Staatsschuldenkrise in Griechenland und Spanien hat den Euro-Kurs in Rekordtempo auf ein Vier-Jahres-Tief absacken lassen. Diese Entwicklung, auch wenn sie nicht allein ausschlaggebend ist, macht deutschen Exporteuren den Wettbewerb und das Leben leicht. Die Europäische Zentralbank wird das Zinsniveau länger so niedrig halten, damit die Staatsverschuldung billig verzinst und Investitionen europaweit gut finanzierbar bleiben. Da braucht man keine besondere Glaskugel, um vorauszusagen, dass in Deutschland selbst der Wohnungsbau wieder anspringen wird – Inflationsfurcht heizt die Nachfrage nach Immobilien und treibt die Bestandspreise, gleichzeitig bleibt die Finanzierung sensationell günstig.
Manche fürchten sogar schon eine „German Bubble “ – eine künstlich aufgeblasene Nachfrage. Das ist nicht weiter schlimm, wenn man dem Meisterspekulanten George Soros folgt, der sagt: „Wenn ich als Spekulant eine Blase sehe, dann kaufe ich, weil ich erwarte, dass sich die Blase aufbläht“. Handelt er gemäß seiner eigenen Analysen, müsste er jetzt deutsche Aktien kaufen, und vorübergehend hat die Blasenökonomie ja durchaus ihre Vorteile; dumm nur, wenn die Blase platzt und man noch dabei ist.
Die eigentliche Gefahr liegt darin, dass die Spannungen innerhalb Europas steigen, denn der deutsche Boom ist auch die Folge einer zwangsweise falschen Geld- und Währungspolitik. Das Dilemma der Europäischen Zentralbank ist: Sie muss ihre Geld- und Währungspolitik auf die wirtschaftliche Schwäche Griechenlands, Spaniens, Irlands und Portugals ausrichten – und heizt mit dem billigen Geld den Boom in Deutschland erst so richtig an.
Anderen Europäern ist schneller als uns selber klar geworden, dass die Folgen der wirtschaftlichen Ungleichgewichte innerhalb der Euro-Zone den Exportboom der deutschen Wirtschaft weiter anfeuern: So hat Frankreichs Finanzministerin Christine Lagarde vor den deutschen Exportüberschüssen und dem zugrunde liegenden Vorsprung durch Leistung gewarnt. Das war lange vor dem Aufschwung dieser Tage, der die europäischen Ungleichgewichte erst so richtig ans Licht bringt.
(Erschienen am 03.07.2010 auf Wiwo.de)