Der Entertainer Johannes Heesters wurde weit über einhundert Jahre alt. Kurz vor seinem Ableben gab er noch ein Interview und wurde gefragt, wie denn Hitler so war, den Heesters persönlich kennen gelernt hatte. Heesters saß da fast blind im Rollstuhl. Seine Antwort: Hitler sei ein guter Kerl gewesen.
Gauland sitzt im Bundestag. Über den Einen kann man hinwegschauen; Senilität ist ein furchtbares Schicksal und die Verantwortung trifft eher den Frager als den Befragten. Es kommt eben darauf an, wer was sagt. Will Gauland wie Heesters bewertet werden?
Gauland weiß das alles. Er ist ein eiskalter Profi; er tastet sich immer vorwärts, gerade so weit, dass die abregnenden Erregungswolken sein Feld befeuchten, damit sein politischer Weizen wachsen kann – und die Grenze seines Feldes sich weiter hinausschiebt. Immer weiter. Es ist ein Spiel mit Tabus; und mit der kalkulierten Reaktion seiner Gegner ebenso wie mit der seiner Anhänger. Dazwischen gibt es nun keine Brücke mehr.
Wir werden in den kommenden Wochen zwei Debatten erleben: Da ist die massive Kritik an der Äußerung von Gauland, die das Bekenntnis zur Verantwortung und Schuld der Deutschen unwirksam macht. Auch dieses Nebeneinander ist Kalkül: Wer einen Punkt setzt hinter eine Aussage oder auch nur ein Komma, nimmt bewusst oder gewollt in Kauf, dass nur der eine Teil zitiert wird. Wer angreifen will, liest nicht im Kontext, sondern filzt Halbsätze auf ihre Eignung als Element der Erregung. So funktioniert das Spiel, wer es nicht spielen will, soll schweigen. Bei dem aktuellen Wort von Gauland heilt zudem der eine Teil den anderen nicht.
Gaulands Kritiker haben hier die Moral auf ihrer Seite. Auschwitz, Massenmord, Krieg und Verwüstung, auch die des eigenen Volkes und seiner Städte und Landschaften im totalen Krieg – unfassbar, dies als eine abwaschbare Kalamität zu bezeichnen. Tote kann man nicht wegwischen; wer so spricht, macht ihr Leiden lächerlich: Das der schrecklichen Opfer in Auschwitz, die niemand hörte, wie das des Soldaten, der irgendwo in Russland jämmerlich erfrieren musste und dessen Schrei nach der Mutter ungehört in der Eiswüste verhallte, in die er nicht freiwillig gezogen war.
Wer jemals über einen der vielen Soldatenfriedhöfe ging, die Europas Wunden von Nord bis Süd, von Ost bis West zeigen, oder über eine der Gedenkstätten der Opfer des Terrors gegen Juden und andere Gruppen, von Gauland muss er sich verhöhnt fühlen: „Vogelschiss“.
Aber klar ist auch, wie seine Getreuen argumentieren werden: Mit den toten Flüchtlingen vom Haff, abgeknallt von russischen Jabos, mit den 100 Millionen Toten des Stalinismus, den Leichenbergen von Mao bis zu den Killing Fields von Pol Pot.
Damit stehen sich zwei Lager unversöhnlich gegenüber.
Gauland zerstört bewusst den Konsens, dass Verbrechen nicht verharmlost werden, und dass nicht aufgerechnet wird. Die Bilanz des Todes ist immer wieder nur der Tod. Denn wenn aufgerechnet wird, gibt es keine Versöhnung, nur noch Rache. Er eröffnet die große Rechnung, auch wenn er so tut, als meinte er die „guten“ Zeiten der deutschen Geschichte, er weiß genau, auf welchen Gefühlen er spielt: Auschwitz gegen Dresden, Vertreibung gegen Massenmord an der Zivilbevölkerung in allen von der Wehrmacht besetzten Ländern. Er verwischt damit Verantwortung und stellt Ursachen und Wirkung auf den Kopf. Warum? Wofür? Will er wirklich eine knallharte rechtsextreme Partei formieren? Mit aller Konsequenz? Es scheint so zu sein. Sein Kalkül geht auf: Der ZEIT-Journalist Moritz von Uslar twittert: „Von meinen Gesprächen mit ehemaligen Neonazis und Verächtern der Demokratie (nicht so wenigen) weiß ich: Das einzige, was diese Leute beeindruckte, ist, wenn ihre Kritiker einen Schritt nach vorne taten und ihnen mit einem gut sitzenden Hieb zwei Zähne aus dem Mund rausschlugen.“
Die Masken fallen auf beiden Seiten. Die Rohheit ist unfassbar. Die Brücken brechen.
Manche haben gehofft, dass die AfD bei aller scharfen Kritik und harter Opposition in der Sache doch Brücken in die Mitte der Gesellschaft sucht. Etliche Abgeordnete der AfD stehen dafür mit erstaunlicher Sachkenntnis. Viele sind enttäuscht von der CDU, die ihre Werte aufgegeben haben. Sie sind die Warnung an die CDU wie an die Restbestände der SPD, dass die Entfernung aus der Mitte der Gesellschaft diese zurücklässt und ihre Vertreter sich neue Parteien suchen können. Politik kommt von unten, nicht von oben.
Hier wächst die Wut auf Gauland. Gauland spaltet nicht nur die Wähler – er treibt den Keil auch in die eigene Partei. Sie sei ein „gäriger Haufen“ hat er einmal beschrieben, wie die Auseinandersetzungen so erfolgen in einer jungen Organisation, die noch nicht so stromlinienförmig ist wie die ältere Konkurrenz.
Die Gärung treibt manchmal den Korken aus der Flasche.
Und er macht das zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt, weil der BAMF-Skandal gerade einen ganz anderen Korken aus der Flasche treiben könnte.
Jetzt hat die Gärung Gauland selbst hinaus geschossen.