Die SPD feiert pompös 150 Jahre Vergangenheit – und hat keine Zukunft, weil sie sich erst vergessen und dann selbst aufgegeben hat.
Deutschland hat der SPD viel zu verdanken – dieser Partei der Modernisierung und Industrialisierung. Während sie feiert, torkelt sie in Wahlumfragen den 20 Prozent entgegen; der Grenze der Bedeutungslosigkeit für eine einst stolze Volkspartei. Das liegt auch an Personen: Parteichef Sigmar Gabriel, Kanzlerkandidat Peer Steinbrück und Fraktionsvorsitzender Frank-Walter Steinmeier belauern sich gegenseitig, statt vorwärts zu marschieren; ihr „wir“ entscheidet nicht. Wer ideologische Flügel nur addiert, schafft nur Flattern auf der Stelle. Ist das so, weil Angela Merkel das Land mit sicherer Hand durch die Finanz- und durch die Euro-Krise führt? Aber Angela Merkel ist nicht stark – die SPD ist nur zu schwach. Wie denn auch? An allen Tatorten der Finanzkrise finden sich die Fingerabdrücke von Peer Steinbrück: Als Finanzminister hat er die Banken dereguliert; als Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen das Desaster der WestLB angeschaut und bei der Pleitebank IKB mitgemischt. In der Euro-Krise konnte Angela Merkel ihre Politik “alternativlos” nur nennen, weil die SPD zu schwach war, um Alternativen zu formulieren. Im Gegenteil: Die SPD-Forderungen nach Schuldentilgung für den Süden ist eine Verschlimmbesserung der Alternativlosigkeit.
Ähnlich in der Energiepolitik: Die Kanzlerin führt, und die SPD folgt. Eigentlich will ja die SPD die industriellen Kerne schützen und ausbauen. Sie hat richtig erkannt, dass die Industrie den Wohlstand ihrer Wähler wie den des Landes mehrt. Aber die SPD traut sich nicht, die vermurkste Energiewende als Bedrohung der materiellen Lebensgrundlage zu geißeln; sie lässt zu, dass ihre Wähler grenzenlos überteuerte Strompreise bezahlen, damit grüne Subventionsgewinner garantierte Renditen für 20 Jahre einstreichen. Der „Arbeiterkaiser“ August Bebel war da weiter. Der mythische Gründungsvorsitzende der SPD feierte die Elektrifizierung, weil sie die Lebens- und Wirtschaftsbedingungen der “kleinen Leute” verbessert – seine Urenkel schalten den Fortschrittsstrom ab und produzieren Stromkostenarmut. Sie reden von Industriepolitik und schauen doch nur zu, wie die Unternehmen verenden, weil sie nicht mehr Bebel folgen, sondern Jürgen Trittin. Den Optimismus, mit dem die neue Zeit zieht, den Glauben an das Gelingen, hat die SPD verloren.
Daran ist nicht Merkel schuld, sondern die freiwillige Unterwerfung der SPD unter die Verzichts- und Bedürfnisdiktatur der Grünen. Der Sozi degeneriert zum Ökomenschen, der sich vorschreiben lässt, was er zu denken, zu arbeiten, zu kaufen und zu konsumieren habe – und im Zweifel immer weniger. Das mag ja für die biokorrekten Gewissenskonsumenten in den wärmegedämmten Altbauvierteln richtig sein – auch ein Ökoschrat wie Winfried Kretschmann genießt im Mercedes-Land Unterhaltungswert. Aber den blauen Himmel über der Ruhr, das saubere Wasser in der Wupper, erreicht man nicht durch Verzicht und Verwalten des Erreichten: Ökologischer Fortschritt entsteht durch Technikfreundlichkeit, durch Veränderung der Produkte und Prozesse. Das haben früher die Gesellen, Meister und Ingenieure erzeugt, oft mit SPD-Parteibuch, ehrgeizig, studiert und aufgestiegen dank kluger Sozial- und Bildungspolitik. Diese neue Mitte der jungen und aktiven Intelligenz, die Gerhard Schröder zum Kanzler gemacht hat, ist der SPD abhanden gekommen. Die SPD hat sich freiwillig ihrer Stammwählerschaft beraubt und ist bei den Grünen programmatisch untergekrochen. Seither mag man die SPD für eine Abspaltung der Grünen halten. Die Programme zur Steuerpolitik zeigen es und Gabriels Unterwerfungsgesten auf dem grünen Parteitag auch. Weil sie ihre Herkunft aus der Industriegesellschaft leugnet, kann die SPD Themen der sozialen Gerechtigkeit nicht mehr glaubwürdig setzen, bedeutet “Nachhaltigkeit” nur noch “Umverteilung”. Seither wachsen bei Grün-Rot nur Mindestlöhne, Renten und Steuern. Der aufstiegswillige Facharbeiter aber guckt in die Röhre.
(Erschienen auf Wiwo.de am 17.05.2013)