Tichys Einblick
Grexit, Dax, Lebensversicherungen - wohin geht das gute Geld? Diese Wirtschaftswoche knapp kommentiert von Roland Tichy

EZB-Politik: Die große Umverteilung

Die Macht am Main: Wer gewinnt, wer verliert an der Geldrevolution, die von der Europäischen Zentralbank ausgeht?

In jeder richtigen Revolution gibt es Sieger, Verlierer und Kriegsgewinnler. Wenn man die Geldruck-Politik und Null-Zins-Strategie der Europäischen Zentralbank als Revolution versteht – wer ist dann welcher Gruppe zuzuordnen? Was sind die Folgen der Geldrevolution? So viel vorab. Es ist eine Umverteilung von unten nach oben.

Griechenland siegt immer, auch dann, wenn es verliert

Fangen wir mit den Siegern Nummer 1 an – den Griechen. Sie haben sich so 300 Milliarden geborgt, verkonsumiert und mit diesem Schuldenloch damit die Geldrevolution ausgelöst. In deren Zuge wurde ihnen die Rückzahlung der Hälfte der Schulden erlassen, für den Rest die Zinsen auf lächerliche 2,2 Prozent gesenkt und der Rückzahlungsbeginn auf das Jahr 2020 verlegt. Jetzt geben sie sich als Opfer, damit sie wieder frisches Geld oder frischen Kredit erhalten. Noch bocken die anderen europäischen Staaten, aber es ist ja absehbar, dass die Griechen mit ihrer Erpressungsstrategie durchkommen: Während der französische Staatspräsident Hollande und Kanzlerin Merkel versuchen, irgendwie Putins Landnahme in der Ukraine wenigstens zu bremsen und dabei möglichst einen Krieg zu vermeiden, paktieren die Griechen ganz frech mit dem russischen Gegner. Der Feind steht im eigenen Haus. Da uns der Mut fehlt, sie rauszuwerfen, werden sie am langen Ende noch mehr gewinnen. Übrigens zerbrechen sich viele über angeblich komplizierte Modelle der mathematisch-ökonomischen Spieltheorie den Kopf, die angeblich der griechische Finanzminister verfolge. Das ist Quatsch. Er kennt nur ein einfaches Modell: Das Modell des Trittbrettfahrers. Der fährt immer gratis mit.




Griechenland ist der Trittbrettfahrer der europäischen Union und des Euro: Kassiert ab, schadet – aber trägt nichts bei. Für einige wenige ist das eine gute Strategie, eine glänzende. Für alle ist sie verheerend. Aber die listigen Griechen wissen: Der Trittbrettfahrer muß sich nur absolut asozial und egoistisch sowie rücksichtslos verhalten. Dann klappt es schon, wenigstens solange die anderen zu feig sind, ihn zu stellen. Und das sind sie, obwohl die Griechen ihre Retter so gerne als Nazis bezeichnen. Griechenland gewinnt immer.

Der Aktionär freut sich – aber es sind wenige

Sieger Nummer 2 sind die Aktionäre. Der Dax notiert bei 11.000 Punkten – wer rechtzeitig eingestiegen ist, der wird wohlhabend. Die Gründe dafür sind bekannt: Das Geld flieht dahin, wo es noch etwas verdient. Und wenn die Kurse steigen, verdient das Geld seinen Profit. Nun mag man befürchten, dass das nur eine Blase ist, weil den Gewinnen im Wege sich aufblähender Kursgewinne keine realen Werte gegenüber stehen. Aber so ist das eben in einer Revolution. Und viele Sieger sind das ja gar nicht. Wie eine diese Woche veröffentlichte Studie des Deutschen Aktieninstituts zeigt, ist 2014 die Zahl der Aktienbesitzer in Deutschland erneut um 500.000 gesunken. Die Deutschen fliehen vor steigenden Kursen. Für die Vermögensentwicklung der Deutschen ist das fatal. „Um es einmal für den Leser anders greifbar zu machen: Hätten die Anleger von 2001 an nur jeden vierten Euro, den sie sparen, in Aktien investiert, statt ihn auf Giro-, Tages- und Sparkonten zu parken, hätten sie mit den erzielten Renditen etwa zwei ganze Jahre lang ihre Benzinrechnung bezahlen können,“ schreibt das Deutsche Aktieninstitut. Eine etwas komplizierte Rechnung, an der aber folgendes wahr ist: Aktien haben sich gelohnt, und wie. Nicht, dass die Sieger das verdient hätten. Es reicht, rechtzeitig auf der richtigen Seite zu stehen. Der antikapitalistische Furor, der den Deutschen eingeredet wird, schadet ihnen. Sie gehen leer aus. Und damit kommen wir zur anderen Seite – den Verlierern.

Der betrogene deutsche Sparer

Die größten Verlierer sind die deutschen Sparer.  Die Autoren Gerhard Rösl und Karl-Heinz Tödter, die im Ökonomen-Netzwerk ROME (Research On Money in the Economy) zusammengeschlossen sind, beziffern die Zinsverluste für die deutschen Sparer in einer Größenordnung von 70 Milliarden Euro pro Jahr. Diese Verluste würden auch nicht durch die Vorteile der niedrigen Schuldzinsen kompensiert. Unterm Strich blieben immer noch 39 Milliarden Euro pro Jahr übrig. Seit 2010 seien somit gesellschaftliche Wohlfahrtsverluste von knapp 200 Milliarden Euro in Deutschland entstanden. Die Summe sei schon heute höher, als durch den Einbruch der Wirtschaftsleistung im Zuge der Finanzkrise 2009, als die Wirtschaftsleistung in Deutschland um 5 Prozent einbrach.

Doch „Wohlfahrtseffekt“ ist ein abstrakter Begriff. Konkreter wird er, wenn wir schauen, wer in erster Linie betroffen ist. Es sind all diejenigen, die ihr Geld in Lebensversicherungsprodukte aller Art angelegt haben. Darunter fallen klassische Lebensversicherungen, klassische Rentenversicherungen, klassische Riester-Verträge, klassische Rürup-Renten, die verschiedenen Formen der betrieblichen Altersvorsorge und berufsständische Versorgungswerke. Die rund 100 Lebensversicherungen in Deutschland verwalten über 800 Milliarden Euro an Kapitalanlagen, die in 80 Millionen Altersvorsorgeverträgen eingesammelt werden. Rund 89 Prozent davon werden in festverzinslichen Wertpapieren angelegt. Frank Schäffler hat diesen Effekt hier zusammengefaßt und  Recht hat er.   Warum sind die Leute auch so dumm? Warum machen sie solche Fehler? Jedenfalls ist es eine gewaltige Umverteilung; sie plündert die Mittelschichten und gibt den Großen. Denn Aktien sind ja nicht so ganz gleich verteilt, und Lebensversicherungen auch nicht. Riester eher unten, Lebensversicherung in der Mitte, und oben Aktionäre – o.k., ein wenig klassenkämpferisch, aber nicht ganz falsch. Und oben gewinnt.

Fehler 1: Arbeiten für die Amerikaner

Laut Bundesbank-Statistik sind 57,1 % des Marktwertes deutscher Aktien per Ende Mai in ausländischen Händen, und das mit steigender Tendenz und Konzentration auf die großen Unternehmen. Nur 11,8% lagen direkt bei deutschen Privatanlegern. Damit da kein nationalistischer Ton anklingt: Natürlich ist es gut, wenn ausländische Investoren ihr Kapital deutschen Unternehmen zu Verfügung stellen. Aber es fällt schon auf: Die Eigentümer der deutschen Großkonzerne sind heute meist Ausländer – wir arbeiten, überspitzt gesagt, bei den Amerikanern. Und es geht weiter: Derzeit kaufen chinesische und indische Unternehmen deutsche Mittelständler auf. In Deutschland finden sich weder Käufer noch Unternehmens-Nachfolger. Wir reduzieren uns auf eine Nation von Arbeitnehmern und jammern dann, dass sich das Vermögen in der Spitze konzentriert. Arbeitnehmer werden gut bezahlt – aber die Unternehmen, in denen sie arbeiten, gehören anderen. Und die Dividenden und Kursgewinne dann eben auch. Die Deutschen entreichern sich selbst: Statt in die einheimischen Unternehmen zu investieren, sparen sie für Griechenland. Die Dummen bestraft der Kapitalmarkt.

Fehler 2: Wir wohnen bei den Australiern

Aber die Deutschen investieren nicht einmal in Häuser und Wohnungen. Der Anteil der Haushalte mit selbstgenutztem Wohnungseigentum ist mit 44 % das Schlusslicht im europäischen Vergleich, ermittelte ebenfalls die Bundesbank. Heute sind es wiederum Ausländer, die in deutschen Immobilien investieren. In Berlin kaufen Franzosen, Italiener und Skandinavier Wohnungen und ganze Straßenzüge. Australische Pensionsfonds, die aus ihren Erlösen die Altersversorgung von Lehrern und Polizeibeamten finanzieren, kaufen ganze Wohnblocks – viele wohnen längst, ohne, dass sie es wissen, beim Australier. Viele deutsche Städte verkauften ihre Sozialwohnungen, und zwar zu Hunderttausenden. Beispiel gefällig? Die 1918 geründete „Gemeinnützige-Atkiengesellschaft für Angestellte-Heimstätten“ (Gagfah) wurde privatisiert und komplett von britischen Fonds übernommen. Auch anderswo gilt: Privatisierung von Wohnungen in Hand der Städte, die diese Wohnungen lausig verwalten und verrotten lassen, ist sinnvoll. Aber statt über Neoliberalismus und Privatisierung zu schimpfen, wäre es besser, den Krempel selbst zu kaufen. Und deutschen Lebensversicherungen ist es weitgehend verboten, in Wohnungs-AGs zu investieren. Sie dürfen – Sie erraten es – schwerpunktmäßig nur in nicht mehr verzinste deutsche und griechische Staatsanleihen investieren. Tolle Gesetze untersagen den Kapitalsammelstellen, dass sie vernünftig anlegen – alles muß in Staatshand. Wir müssen ja schon fast dankbar sein, dass Fonds aus Großbritannien und den USA, aus Neuseeland und Australien einsteigen, wo wir nicht wollen oder nicht dürfen. Wir wohnen also bei Ausländern und die kassieren unsere Miete.

Fehler 3: Falsche Anreize der Politik

Was wir sparen – legen wir auf’s Sparbuch, und diese Sparbücher, Lebensversicherungen und Bausparverträge, Sie haben es oben gelesen, wandern nach Griechenland und in die USA, um dort vernichtet zu werden. Übrigens: In Berlin wohnen über 80 Prozent der Menschen zur Miete. Die jeweiligen „Milieu-Schutzverordnungen“ erschweren den Verkauf der Wohnungen an die Mieter, sie werden dazu nicht ermutigt und bilden deshalb kein Eigentum, sondern blieben sozialistische Hasen im Stall der Stadtpolitik. Die Grunderwerbsteuer, ein weiteres Hindernis, beträgt 6 Prozent. Auch Aktien werden ja steuerlich extrem benachteiligt. Immer gilt die Regel des Sozialismus: Aktien sind Spekulation, davor muss man die Menschen schützen. Gut sind Staatsanleihen und staatliche Produkte wie die Riester- oder Rürup-Rente. Am Ende fahren die zwar in die rote Grütze – aber was soll das? Dann können wir ja die staatliche Rente um ein paar Cent als Ersatz dafür erhöhen, dass wir die private Vorsorge staatlicherseits zerstört haben. Das bringt Rendite – am Wahltag in Form von Dankbarkeit durch das Wahlvolk.  Die Deutschen sind also nicht dumm – es sind ihre Regierungen, die sie in Lebensversicherungen und Riesterrenten drängen, und rentable Anlagen verbieten.

Fehler 4: Auch die Infrastruktur sollen andere finanzieren

Das Spiel wiederholt sich. Jetzt soll die Infrastruktur privat finanziert werden, weil der deutsche Staat trotz Rekordsteuereinnahmen alle Mittel verpulvert hat und die Infrastruktur verrottet wie vorher die Sozialwohnungssiedlungen. Das gilt für Brücken, Straßen, Eisenbahnstrecken, Stromleitungen. Auf die Idee, dass Riester-Anlagen da zu investieren, ist aber noch keiner gekommen. Zu riskant, heißt es. Verdienen dürfen nur andere. Wetten – Käufer werden wieder Fonds sein, die anderen Nationen gehören und an die wir dann Stromsteuer und Maut bezahlen –  weil wir selber lieber das Geld aufs Sparbuch tragen, statt zu investieren. Sie stehen übrigens schon Schlange danach. Die Deutschen sind ja fleissig und tüchtig und lassen so gerne alle anderen an den Früchten der Arbeit und des Fleisses verdienen. Denn der Deutsche ist ja mit Null-Zins zufrieden. Jetzt will Bundesfinanzminister Schäuble das ändern und hat eine hochrangige Arbeitsgruppe einberufen, um Autobahnen privat zu finanzieren. Das ist eine gute Idee, denn der Rhein wird zu Deutschlands Grenze, seit die Kölner Rheinbrücke teilgesperrt ist und neuerdings die wichtige Brücke bei Mainz total zu ist. Da hat dieser Staat also seit Beginn der Finanzkrise circa 200 Milliarden zusätzliche Steuern eingenommen – aber findet 5 Milliarden für Infrastruktur im Jahr schon das maximale, was leistbar ist. Privat finanzierte Straßen sind teurer, richtig. Aber sie werden wenigstens finanziert und gebaut, während der Staat nur darüber redet und seine Milliarden in Rentengeschenke verpulvert.

Deshalb wird es höchste Zeit, eine private Autobahngesellschaft zu gründen. Natürlich gibt es auch eine andere Sichtweise, etwa die von Norbert Häring, der dazu den passenden Artikel im Handelsblatt verfassen durfte. Häring schreibt: 

„Das schwarzrote Ministertrio Gabriel (Wirtschaftslobbyismus), Dobrindt (Verkehrsumwege) und Schäuble (Finanztäuschung) will, wie das Handelsblatt heute exklusiv berichtet, die deutschen Autobahnen (und wohl danach auch Bundesstraßen) in eine neue Gesellschaft überführen, die zu einem Sammelbecken für die Anlage-suchenden Milliarden von Allianz, Ergo und Deutscher Bank ausgebaut werden soll.“ 

Er nennt das den „großen Autobahn-Raub„. Bemerkenswert ist daran zweierlei: Uns werden Autobahnen geraubt, die gar nicht erst gebaut wurden. Und das Handelsblatt schreibt so, wie man es eigentlich nur noch vom neuen Deutschland der SED-Linken gewohnt ist. Aber in Revolutionen geht eben alles drunter und rüber.

Und noch 2 Gewinner

Es ist schon bemerkenswert, dass sonst immer so gerne über Umverteilung diskutiert wird in Deutschland. Insbesondere die SPD sieht ja immer sofort das Proletariat ausgeplündert. Aber die größte Plünderer und Umverteilung begeht die EZB. Die oben beschriebenen Fakten sprechen ja für sich. Es gibt natürlich noch weitere Effekte, die im großen und ganzen vom Wirtschaftsdienst schon vor der letzten großen EZB-Billionen-Sause analysiert wurden. So haben Gunther Schnabl von der Universität Leipzig t im Wirtschaftsdienst einen  Beitrag mit dem Titel „Negative Umverteilungs­effekte und Reallohnrepression durch unkonventionelle Geldpolitik“ veröffentlicht, etwas für Feinschmecker, aber lesenswert. In einfachen Worten: Die Billionen der EZB gehen ja nicht wie geplant an Unternehmen, sondern sausen durch das Bankensystem, wo dann ein paar Peantus hängenbleiben. An jeder Ecke des verzweigten Systems.

Es soll nicht verschwiegen werden, dass es noch einen Gewinner gibt – die Konjunktur. Klar, die niedrigen Zinsen, die halbierten Ölpreise, der schwache Euro mit seinem Export-Booster – das wirkt. Deutschland nähert sich der Vollbeschäftigung. Das ist eine Sensation. Löhne steigen, sogar real und verfügbar, also nach Abzug von Steuern und Inflation.

Das ist wunderbar. Aber klar ist auch: Dafür wird Deutschland Griechenland retten müssen. So ist das eben. Die einen müssen für ihren Lebensunterhalt arbeiten. Die Griechen nur für ihren Kredit, der später dann doch von anderen geschultert wird. Aber so ist das eben, im Reich der europäischen Trittbrettfahrer.




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