Der neue französische Präsident zwingt Europa auf Inflationskurs. Die Bürger spüren das längst und stellen sich darauf ein.
So schön kann Inflation sein. Der Flügel von Bechstein, die Uhr von Rolex, der glänzende Oldtimer in der klimatisierten Garage, der Gerhard Richter an der Wand: Wohlhabende Deutsche investieren in Villen, Kunst und Luxuskonsum, um sich vor Inflation zu schützen. Bei anderen reicht es bloß zum Baumarkt. Es wird renoviert, gefliest, gedämmt, gebaut – jedes Eigenheim zum Bunker gegen Wertverlust aufgerüstet. Im Keller werden die Goldmünzen vergraben; besonders Vorsichtige stapeln Büchsen (nahrhafte Bohnen), Haferflocken (haltbar) und H-Milch (geht immer) für den Tag X, an dem die Geldautomaten den Dienst verweigern, weil das Geldsystem kollabierte. Büchsenfleisch, Bilder, Immobilien, Wälder und Felder – Anfassbares und Begehbares zählen mehr als Kontoauszüge.
Im vereinten Europa sind die Deutschen mit ihrem Drang zu halbwegs soliden Staatshaushalten isoliert und mit ihrer historisch wohlbegründeten Inflationsfurcht ein lästiger Störenfried: Für viele ist Inflation die Lösung der Staatsschuldenkrise. Wer kauft, statt zu sparen, kurbelt die Wirtschaft an. Steigende Löhne beglücken den Finanzminister, weil die Einnahmen aus Lohn- und Einkommensteuer sprudeln – auch wenn die Kaufkraft sinkt von dem, was nach Abzug von Steuern und Inflation noch übrig bleibt. Bemerkenswert, dass SPD und Grüne die zaghafte Senkung der Inflationsprogression blockieren – der Staat soll Inflationsgewinnler bleiben. Das geht gut, bis die Arbeitnehmer nicht merken, dass sie trotz höherer Löhne immer ärmer werden, und solange nicht auffällt, dass Investitionen und Arbeitsplätze gestrichen werden: Inflation verzerrt das Signalsystem der Preise, das Investitionen berechenbar macht und Kapitalströme lenkt.
Lange war das I-Wort für die Deutschen ein Schreckenswort – im kollektiven Gedächtnis eingebrannt sind die Folgen Massenarbeitslosigkeit, Verelendung, Enteignung der Sparer und der Marsch in Chaos und Diktatur. Jetzt verfolgen sie aufmerksam, dass die Politiker hilflos und mit immer höherem Einsatz versuchen, Währungskrisen zu bekämpfen – und sie beginnen, die Menschen auf das Unvermeidliche einzustimmen: auf Inflation. Es begann vor zwei Jahren mit Blanchard Olivier, dem französischen Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds, der statt der Zielgröße von maximal zwei Prozent besser vier Prozent als neue Norm vorgeschlagen hatte. Ihnen allen fehlt der Mut, den überschwappenden Geldsee auszutrocknen.
Auch deutsche Politiker geben der Inflation verbalen Schub: nicht nur die durch Talkshows irrlichternde Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen. Gefährlicher wird’s, wenn auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, das Superhirn im Kabinett, die Gewerkschaften zu höheren Lohnforderungen animiert. Immer spürbarer wird, dass Inflation nicht gleichzeitig alle Preise erfasst – sondern in Schüben mal hier, dann dort zuschlägt. Noch sind daher die Verbraucherpreise stabil – der globale Wettbewerb im Ladenregal verhindert den Preisanstieg. Aber bei Handwerk und Häusern, die man schwerlich aus China oder Indien importieren kann, zeigt sich längst die inflationäre Dynamik.
In der Vergangenheit hat die Bundesbank in dieser Situation die Zinsen erhöht. Aber höhere Zinsen in der Euro-Einheitszone würden die Staatsverschuldung in Italien, Spanien und Griechenland endgültig unfinanzierbar machen und deren Bankrott offenbaren. Gleichzeitig fließt das Geld aus allen Himmelsrichtungen nach Deutschland, weil hier die Lage halbwegs sicher scheint. So paddelt Deutschlands Wirtschaft lustig auf der Woge billigen Geldes, getrieben von der Inflationsspirale. Die Bauwirtschaft springt an, die Bürger verschulden sich über alle Maßen, um beim Boom mit dem Betongold dabei zu sein. So war das in Spanien bis 2008. Jetzt ist Deutschland dran, bis es kracht.
Aber vorher sollte man die Inflation lieben lernen, sich ins Unvermeidliche fügen: Genießt den Euro und die Staatsschuldenkrise, die Lösung wird fürchterlich.
(Erschienen auf Wiwo.de am 19.05.2012)