Ist ein Chefarzt in erster Linie Arzt, Chef oder Manager? Davon hängen immerhin Leben und Gesundheit der Patienten ab.
Beim Vergleich einer dieser blitzsauberen Automobilfabriken oder einer Flugzeugwerft mit einem Krankenhaus oder einer Uniklinik drängt sich schnell der Gedanke auf, dass man lieber am Fließband krank wäre als im Spital. Keimverdacht kommt spätestens dann auf, wenn man sieht wie eine sichtlich unterbezahlte, der deutschen Sprache kaum mächtige Hilfskraft mit dem Feudel über die Gänge schmiert.
Unser Krankenhausreport zieht ein trauriges Fazit – es fehlt den Krankenhäusern nicht so sehr an Geld wie an Management; glücklicherweise nicht an ärztlichem Ethos, aber leider an Benchmarking. Mangelware ist nicht der gute Wille am Krankenbett – aber ein leistungsfähiges IT-System; die Spitäler brauchen nicht noch mehr Paracelsus, aber mehr Peter Drucker, diesmal in Weiß.
Lange Jahrzehnte lehnte der medizinische Sektor wirtschaftliches Denken als unvereinbar mit dem Eid des Hippokrates ab. Das Idealbild war der genialische Chefarzt, dem auf der Visite der ebenso weiß gewandete Sternenschweif williger Unterärzte folgte und dem Patienten dankbar huldigten. Das ging gut, weil der schnelle medizinische Fortschritt in den Sechziger- und Siebzigerjahren, finanziert von Krankenkassen mit unerschöpflich tiefen Taschen, fast automatisch mehr Gesundheit und längeres Leben produzierte. Aber dieses goldene Zeitalter der “Quick Wins”, wie man das im betriebswirtschaftlichen Denglisch nennen würde, ist nach einem Dutzend kostensparender Gesundheitsreformen vorbei: Die Ärzte vielfach unterbezahlt, das Pflegepersonal übernächtigt, die Patienten so notorisch undankbar wie anspruchsvoll, die Budgets ständig überstrapaziert und der medizinische Fortschritt, ausgehend von einem unerhört hohen Niveau, eine aberwitzig teure Schnecke.
Nur langsam bricht sich die Einsicht Bahn, dass Betriebswirtschaft nicht Gier und Profit bedeutet, sondern Effizienz, dass die geniale Kunst des Operateurs am OP-Tisch vergeblich ist, wenn Planung, Prozessabläufe und Nachsorge hapern. Dieser Mangel an übergreifender Teamarbeit, Management und Wettbewerb, das ist vermutlich das endemische Krankheitsbild der Kliniken.
Benchmark am Krankenbett
Management ist ja mehr als nur ein PC bei der Patientenaufnahme und das Umsetzen des sich verschärfenden Spardrucks, der zunächst zulasten der Mitarbeiter geht und doch früher oder später auf Kosten von Leben und Gesundheit der Patienten umschlägt. Management bedeutet vielmehr die knallharte Rationalisierung wirklich aller Abläufe, die brutalstmögliche Qualitätskontrolle an jedem Glied der Prozesskette und deren Standardisierung, das gnadenlose Offenlegen aller möglichen Fehlerquellen – wie es in der modernen Fabrik eben so üblich ist. Genau daran aber fehlt es oft noch in Krankenhäusern.
Der traditionellen Garde von Krankenhauschefs und Chefärzten ist das ein Gräuel. Sie fürchten um die Maximierung der Zuwendung, die sie im Interesse der Patienten einfordern, ohne zu erkennen, dass Ineffizienz die medizinische Leistung auffrisst, noch ehe sie zum Patienten kommt. Viele fühlen sich ehrlich einem höheren Ethos verpflichtet oder der Caritas; Benchmarking und Balanced Scorecard gibt’s nicht auf Latein. Ist das noch zeitgemäß? Längst denkt Gottes weißes Bodenpersonal auch am Krankenbett oder OP-Tisch an Geld und Karriere – ohne materielle Anreize ist Leistung nicht zu haben. Weil das Krankenhaus keine Schraubenfabrik ist, lehnen die Traditionalisten in Weiß es auch ab, Daten zu erheben oder zu veröffentlichen. Damit fehlt die Voraussetzung für Wettbewerb – die Transparenz von Leistung und Kosten. Und Patienten bleiben so einer unheimlichen Maschinerie ausgeliefert.
Die Gesundheitspolitik schaut zu und jammert, aber handelt nicht. So verknäueln sich Medizin, Spardruck und Organisationsmängel, leiden Patienten mehr als medizinisch verantwortbar und wächst Frustration bei Ärzten und Pflegern.
Arzt allein reicht nicht – Management muss dazukommen.
(Erschienen auf Wiwo.de am 10.03.2012)