Tichys Einblick
Selbstaufgabe des Bundestags

Eine schwarze Woche für Deutschland

Das war eine schwarze Woche für Deutschland: Schändliche Gesetze wurden im Dutzend blitzschnell verabschiedet. Der Bundestag hat sich von der Nick-Maschine weiterentwickelt und sich selbst, Grundrechte und Souveränität aufgegeben.

IMAGO / Future Image

Gesetze werden heute hinter geschlossenen Türen verhandelt. Die Regierung legt vor, die Abgeordneten nicken wichtig und das Plenum nickt ab. So entstehen Gesetze, die nicht nur dem Land und seinen Bürgern schaden – sondern den Bundestag entwerten. Hier die wichtigsten Punkte:

Notstand ohne Not

"Hoffentlich zum letzten mal"
Bundestag verlängert Corona-Notlage – ohne Argumente
Das Infektionsschutzgesetz war von Anfang an umstritten. Jetzt ist es ein Gesetz für einen Notstand, den die Regierung erfunden hat, um elementare Grundrechte auszusetzen. Längst war die Pandemie am Abklingen, selbst die fingierten und manipulierten Zahlen der Bundesregierung liefern ihr keine Rechtfertigung. Ein Parlament, das seine Aufgabe als Kontrollinstanz wahrnimmt, hätte sich diesen Themen gewidmet: Warum wurden die Zahl der Corona-Betten willkürlich reduziert und eine drohende Überbelegung, die es nie gab oder künstlich herbeigeführt wurde, als Grund für Notmaßnahmen angeführt? Aber darum kümmert sich kein Parlament mehr.

Dafür wird Aufbrechen der Wohnung ohne richterlichen Beschluss erlaubt, weil Oma (unerlaubt) Opa (nur eine Person als  Besuch erlaubt) zum Besuch bei den Enkeln begleitet – das bleibt weiter möglich. Es ist ins Ermessen von Polizeibeamten gesetzt, das zu verfolgen. Noch werden viele Polizisten vernünftig bleiben. Aber das Grundgesetz soll den Bürger vor dem Staat schützen. Dieser Schutz wurde ohne Not in vielen Punkten aufgehoben. Demonstrieren und sich versammeln? Nicht in den Monaten vor der Bundestagswahl. Was ist das Wahlrecht noch wert, wenn nicht geworben werden kann?

Wir erleben jetzt, was es bedeutet, wenn Menschen- und Grundrechte nicht mehr absolut sind, sondern im Belieben der Exekutive stehen. Dann sind sie keine mehr, sondern Gnadenakte. Im Bundestag haben FDP, Linke und AfD dagegen gestimmt; CDU, CSU, SPD und Grüne für die Aussetzung und damit Entsorgung des Grundgesetzes wie einen Becher abgelaufener Yoghurt. Eine kleine tapfere Handvoll CDU- und SPD-Abgeordneter hat dagegen gestimmt. Dass man sie als mutig bezeichnen muss, zeigt, dass der Parlamentarismus in Deutschland ausgehöhlt ist. Abgeordnete entscheiden nicht mehr nach ihrem Gewissen. Sie müssen ihre Hände heben wie Nick-Maschinen auf Befehl des Fraktionsvorstands. Wer das nicht tut, wird bestraft. Das zeigt ein weiterer Fall.

Parlament ohne Haushaltshoheit

Mit den jüngsten Beschlüssen des Bundestags zum EU-Stabilitätsmechanismus verliert dieser sein Königsrecht: Zu bestimmen darüber, welche Steuern erhoben und wofür die Steuermittel ausgegeben, wofür Schulden aufgenommen werden. Damit beginnt die Geschichte des Parlamentarismus; denn wer zahlt, schafft an, auch im Staat. In Zukunft kann die EU praktisch unbegrenzt auf deutsche Steuern zugreifen und beliebig höhere Schulden erzwingen. Deutschland hat seine finanzpolitische Souveränität aufgegeben. Detailliert beschreibt der CDU-Abgeordnete Klaus-Peter Willsch diesen Vorgang: Zukünftig können die Brüsseler EU-Kommission und die Europäische Zentralbank durch ihre Kreditvergabe an andere Staaten darüber bestimmen, welche Lasten auf Deutschland zukommen.

Reform des ESM
Der Euro-Staat entsteht und Deutschland verliert seine Haushalts-Hoheit
In einer persönlichen Erklärung auf TE beschreibt Willsch den Sachverhalt und was mit Kritikern, wie er es ist, geschieht, denn er hat sich der Kanzlerin schon früher in den Weg gestellt: „Als Revanche für mein lange vorher angekündigtes und ausführlich begründetes Abstimmungsverhalten verlor ich auf Betreiben der Bundeskanzlerin und der ihr ergebenen Fraktionsführung nach der Bundestagswahl 2013 meinen Sitz im Haushaltsausschuss. Seitdem tue ich als einfaches Mitglied im Wirtschaftsausschuss meinen Dienst. Für alle diejenigen, die mich schon länger kennen, ist dies nichts Neues. Für alle anderen soll dies vorab der Einordnung dienen.“

Willsch ist direkt gewählter Abgeordneter. Solange sein Wahlkreis ihm folgt, muss er nur auf rund ein Drittel seiner Diäten verzichten, denn damit wird Gefolgschaft durch die Fraktionsführung auf Geheiß der Bundeskanzlerin entlohnt. Solche Abgeordnete sind daher dem Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble ein Dorn im Auge. Er will ihre Zahl verringern und damit die Macht der Regierung noch weiter und die Unabhängigkeit der Parlaments entgültig beschneiden. Sein Plan sieht vor, die Zahl der Wahlkreise von 299 auf 270 zu verringern, um so zu weniger Direktmandaten zu kommen. Es ist ein Kampf um die Macht, den der Bundestag längst verloren gegeben und sich folglich als Vollzugsorgan der großen Koalition beschieden hat. Warum auch nicht? Das Königsrecht der Budgetgewalt ist ohnehin verloren.

Die letzten Reste der Souveränität werden einkassiert

Die Schwäche des deutschen Parlamentarismus will jetzt die EU ausnutzen und dem Bundestag und damit dem Deutschen Volk die letzten Reste der Souveränität abnehmen. Die EU-Kommission hat beschlossen, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einzuleiten. Worum es geht erklärt im Detail  der Verfassungsrechtler Dieter Murswiek. Schon heute hat das Unionsrecht Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten, und zwar auch vor den mitgliedsstaatlichen Verfassungen, also dem Grundgesetz. EU-Recht bricht also das Grundgesetz, das damit keines mehr ist. Dieser an sich schon ungeheuerliche Vorrang findet seine Grenze aber bislang in der Verfassungsidentität der Mitgliedstaaten: Das EU-Recht kann keine Geltung in einem Mitgliedstaat beanspruchen, wenn es mit dessen grundlegenden Verfassungsprinzipien unvereinbar ist.

Für Deutschland bedeutet dies, dass das Demokratieprinzip, das Rechtsstaatsprinzip und das Sozialstaatsprinzip, natürlich auch die Menschenwürdegarantie, nicht durch EU-Recht beeinträchtigt werden dürfen. Deshalb steht dem Bundesverfassungsgericht das Recht zur „Identitätskontrolle“ zu. Dieser Schutz des letzten Kerns unseres Grundgesetzes soll durch den Beschluss der EU-Kommission nun auch noch in Frage gestellt werden, auch dieses Recht soll auf die Müllkippe Brüssels. Es ist ein ungeheuerlicher Vorgang. Haben Sie einen Aufschrei gehört aus dem Deutschen Bundestag? Nein, das hätte nur die hektische Geschäftsmäßigkeit gestört, mit der Regierungsvorgaben in Gesetze umgesetzt werden.

Der total überwachte Bürger

Nun ist Macht immer gefährdet. Die Bundesregierung hat sich nach vielen anderen Bausteinen einen weiteren vom Bundestag in die Hand legen lassen, um Kritiker zum Schweigen zu bringen. So wurden ohne lange Diskussion weitere Eingriffsmöglichkeiten in die Privatsphäre im Internet verabschiedet – auch gegen Personen, die keine Straftaten begangen haben. Dafür sollen Sicherheitslücken bewusst offen gehalten werden und der Staat die Lizenz zum Hacken bekommen.

Bundestrojaner
SPD und CDU einig: Der Staat soll Chatnachrichten mitlesen dürfen
Der Staat erhält damit weitaus umfangreicher als bisher die Möglichkeit, sich mittels Schadsoftware oder evtl. sogar heimlichem Eindringen in die Wohnung, Zugriff auf private Kommunikation zu verschaffen. Sicherheitslücken von Kommunikationsprogrammen sollen nicht geschlossen werden, die Internetunternehmen sogar zur Mithilfe bei der Installation von Schadsoftware gezwungen werden.

Auch hier zeigt sich, wie mit Abgeordneten mittlerweile umgegangen wird. Jahrelang hat die SPD und haben ihre Abgeordneten dagegen Widerstand geleistet. Gewunden erklärt die Parteivorsitzende Saskia Esken jetzt: „Ich halte die Entscheidung für den Einsatz von Staatstrojaner‘n auch weiterhin für falsch, insbesondere in den Händen von Geheimdiensten. Diese Form der Überwachung ist ein fundamentaler Eingriff in unsere Freiheitsrechte und dazu ein Sicherheitsrisiko für unsere Wirtschaft.  […] Die @spdbt hat sich mehrheitlich für diesen Weg entschieden und ich respektiere diese Mehrheit.“ Die SPD-Fraktion hat zugestimmt. Was war der Lohn dafür? Wir kennen ihn nicht. Schutz ihres Kanzlerkandidaten und Finanzministern vor weiteren Versuchen, sein schäbiges Verhalten in der Cum/Ex-Affäre oder im Umgang mit Wirecard aufzuklären? Eine Spekulation. Politische Preise werden in seltsamen Währungen berechnet und gezahlt. Jedenfalls darf künftig auch ihr Chat mit Freunden, Bekannten, Verwandten überwacht werden. Wir sind gläserne Bürger geworden.

Unsinn und höhere Steuern am laufenden Band

Der Bundestag hat noch weitere unsinnige Gesetze beschlossen, etwa das Lieferkettengesetz, eine weitere Geldbeschaffungsmaschine für NGOs. Die Erhöhung der Tabaksteuer auch auf Nikotin-Verdampfungsgeräte; der Staat kassiert, darin sieht er seine vornehmste Aufgabe und der Bürger wird abgezockt, wo immer sich eine schnelle Möglichkeit bietet. Demnächst sollen die Benzinpreise noch sehr viel weiter erhöht werden. „Auch mit uns wird Benzin richtig teuer“, sagt der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Brinkhaus.

Wir wissen Bescheid, vielen Dank, es ist ein Wahlkampf gegen die Bürger.

Urlaub statt Verteidigung der Freiheit

Aber darüber kann man sogar hinwegsehen, wenn man will. Denn längst geht es nicht um dumme, schädliche oder teure Gesetze; davon haben wir viele und sie bislang mit Mühen sogar überlebt.

Jetzt geht es um mehr. Um die Abschaffung der Souveränität und demokratischen Willensbildung. Die Bevölkerung wird überschüttet mit Entscheidungen, die in der Schnelle nicht verstanden und schon gar nicht debattiert werden können.

Dieser Bundestag ist nur noch das Erfüllungsorgan der Bundesregierung; und in seiner sklavischen Bereitschaft, es den Regierenden nur ja Recht zu machen, hat er sich selbst überflüssig gemacht.

Zukünftig entscheidet die Bundesregierung darüber, wann sie uns welche schäbigen Reste unserer Menschen- und Grundrechte übrig lässt, zukünftig entscheiden EU-Bürokraten darüber, wie tief sie uns in die Tasche fassen wollen und was für uns übrigbleibt.

Wir sind Zeugen eines  erstaunlichen Vorgangs: Es ist der Vorgang der parlamentarischen Selbstaufgabe, ganz ohne Zwang, ohne Panzer vor dem Parlament und ohne Soldaten hinter den Abgeordneten.

Die Damen und Herren gehen in die Sommerpause, in Urlaub. Als wäre nichts gewesen. Es ist zum schämen.


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