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Ein Jahr Corona – ein Jahr Regierungsversagen

In Sachen Corona hätten „wir“„alle“ Fehler gemacht, sagt Angela Merkel. Nun, wo ist Ihr Fehler, verehrter Leser? Und wer ist „wir“ und „alle“? Über den Versuch, ein groteskes Regierungsversagen zu vertuschen.

picture alliance/dpa/Reuters/Pool | Hannibal Hanschke

Merkel nutzt ihre vereinfachte Sprache in geradezu artistischer Weise, um unauffällig möglichst viele Fehler zu vertuschen und ihre Fingerabdrücke am Tatort verschwinden zu lassen. Lassen wir uns nicht täuschen; sie ist nicht so beschränkt, wie ihr Sprachgebrauch vermuten lässt. Ihr Geschwurbel ist taktisch; weil es „authentisch“ klingen soll so wie: „Ich bin doch eine von Euch. Habt mich lieb“. Die geschliffene Sprache eines Helmut Schmidt, nach der man sich sehnt, oder die bullig-direkte von Gerhard Schröder, an der man sich reiben konnte, ist einem Geschwurbel gewichen, das Fakten und Verantwortung verwischt: Ihre Fehler und die ihrer Regierung, für die sie verantwortlich ist.

Warnung verpennt

Tatsächlich offenbart ein Jahr Corona ein Jahr Regierungsversagen. Seit 2013 liegt jene Bundestagsdrucksache vor, die mit gespenstischer Genauigkeit die Ausbreitung eines Virus nicht nur beschreibt, sondern auch die Folgen darstellt und Vorsorge einfordert. Geschehen ist seither nichts: Kein Klinikbett bereitgestellt, keine Medikamente, Schutzkleidung, Reserven.

Merkels diverse Regierungen pflegten seither lieber allerlei Spielereien; Katastrophenschutz und Vorsorge schienen unnötig. Die Welt ist friedlich und unser aller Freund. So tapsig waren auch die folgenden Schritte: Verharmlosen, Kleinreden, Gefahr verniedlichen. Masken? Unnötig – vor allem: nicht vorhanden.

Bundestagsdebatte:
Merkel und „wir“: Über die Sprache der Bundeskanzlerin
Seither erleben wir eine Regierung, die sich in Selbstgefälligkeit suhlt und Worte für Taten nimmt – aber nichts zu Wege bringt. Im Frühjahr 2020 hat die Regierung alles getan, um die Grenzen offen zu halten, bis die Nachbarn sie einseitig geschlossen haben. Bis heute sind seit Ausbruch der Krise übrigens rund 200.000 Migranten in politisch gewolltem Missbrauch des Asylrechts eingereist – und ohne Gesundheits-Kontrolle. Wer ein paar Minuten zu früh zur Arbeit fährt, riskiert ein saftiges Bußgeld, und wer die Quarantäne verweigert, Zwangseinweisung in geschlossene Anstalten. Aber die Einreise aus Krisengebieten mit hohem Seuchen-Potential: erlaubt. Wir ziehen Grenzen um Städte und Dörfer, das ist möglich, aber nicht an den Außengrenzen. Merkel folgt ihrem globalen Denken und verlegt die Grenzen nach Innen.
Die Corona-App vermurkst

„Die Corona-Warn-App ist ein Paradebeispiel für zukünftige IT-Projekte“, lobte sich die Staatsministerin „Doro“ Bär für Digitales im Frühjahr auf allen digitalen Kanälen.  Bald sei die App in vielen Sprachen verfügbar; Kritiker seien „typisch deutsche Bedenkenträger“ und wenn sie nicht funktioniert die Nutzer nur „zu bequem, sich ein neues Handy zu kaufen“

Die Wahrheit: Bärs App ist ein Totalversagen. Nachgebessert wird deshalb nicht, das Paradebeispiel ist verschwunden, die Gesundheitsämter seit Monaten genau bei dem überfordert, wofür die App dienen sollte: der Nachverfolgung von Infektionsketten. Diese Überlastung wird jetzt als Vorwand für immer neue Lockdown-Verschärfungen genommen. Die Zahl der Infizierten soll auf ein Niveau gedrückt werden, dass die Gesundheitsämter mit dem Faxen nachkommen, denn auch im Januar 2021 verfügt etwa ein Fünftel der Ämter noch nicht über angemessen moderne Datenverarbeitung oder Vernetzung. Der Umkehrschluss: Hätte Deutschland eine funktionierende App und nicht Bärs Ballaballa, wäre kein Lockdown nötig. Oder auch: Hätte Deutschland eine tätige Digitalpolitik, gäbe es vielleicht ein Release 2.0, das funktioniert. Stattdessen: Schweigen. Es gab nie eine App, nur Doro Bär gibt es immer noch im Amt.

Digitalisierung? Komplette Fehlanzeige

Krisen sind immer auch Anlass für Innovationen. Schmerzhaft zeigt sich der Rückstand der Digitalisierung in Deutschland. Doch während Unternehmen und Privatwirtschaft längst digitalisieren, was das Zeug hält, mit immer neuen Tools kooperieren und managen – der Stillstand in den Ämtern hält an. Kein Personalausweis per Internet wie in anderen Ländern; jede erforderliche amtliche Bescheinigung ein Hindernislauf durch gesperrte Amtsstuben, Beamte im Homeoffice, geschlossene Büros und unwillige Verwaltungen, die jetzt endlich einen Grund haben, den Bürger als Seuchenherd zu behandeln.

Home-Schooling der öffentlichen Schulen? Es klappt, wenn ein Lehrer fix und engagiert genug ist. Unterstützung? Keine. Auch im Januar 2021 gibt es weder angepasste Lehrpläne, noch funktionierende Plattformen. Zuständig auf Bundesebene: Bildungsministerin Anja Maria-Antonia Karliczek.

Sie habe „eine Idee, wann und wie der versäumte Stoff nachgeholt werden sollte“, jubelt das amtliche Mitteilungsblatt der Bundesregierung, DER SPIEGEL: „Weil durch die Schulschließungen im Corona-Lockdown viel regulärer Unterricht ausfällt, fordert Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) zusätzliche Lernangebote für Schülerinnen und Schüler. Die Länder sollten diese Angebote schaffen, denn es sei damit zu rechnen, dass die Schulschließungen zu »Rückständen im Lernstoff« führten, sagte Karliczek. Deshalb müssten in allen Ländern Angebote vorbereitet werden, um den versäumten Lernstoff nachzuholen.“

Diese tolle Idee kommt der Bildungsministerin im Dezember 2020. Im Dezember 2020! Was hat sie das ganze Jahr gemacht? Candy Crush gespielt? Schon eilt ihr Doro Bär zu Hilfe. Sie fordert, dass Schüler wegen der Corona-Pandemie in diesem Schuljahr keine Klassenstufe wiederholen müssen.

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Wunderbar. Aus Großbritannien erfahren wir, dass bei Prüfungen, die per Computer zu Hause gestellt werden, die Leistungsanforderungen um 30 Prozent erhöht werden – weil den Kindern zu Hause Eltern, Lexika und Google zu Hilfe eilen können. In Deutschland wird das Leistungsniveau abgesenkt. Vielleicht wäre es besser gewesen, ein Konzept für digitalen Unterricht zu entwickeln? Wenn man schon Digitalbeauftragte ist, läge das nahe. Aber die Problem-Bär der Bundesregierung beschäftigt sich mit Frauenquoten, Diversität, – und der Forderung nach EU-Datensouveränität. Wunderbar: Probleme zu Hause nicht angehen und stattdessen folgenlos plappern über irrelevante Themen in der Stunde der Not.

Komplettversagen im Amt führt in der Regierung Merkel vermutlich zu weiterer Beförderung. Es wäre doch gelacht, wir werden doch kein Problem lösen!

Impfen – die Wunderwaffe wird zum Rohrkrepierer

Während Digitalisierung und Bildungspolitik an einzelnen Kabinetts-Nullingerinnen hängt, ist das Impfdesaster ausgreifender. Dass die EU den Einkauf übernimmt, folgt einem Glaubenssatz, dem Angela Merkel anhängt: Eine Weltregierung, und wenn es die noch nicht gibt – ist wenigstens Brüssel besser als nationale Regierungen.

Deutschland fuhr tendenziell gut mit dem Subsidiaritätsprinzip als Staatsordnung: Dass kleine Einheiten das tun sollen, was sie besser leisten können durch Nähe, Kenntnisse der örtlichen Gegebenheiten und Überschaubarkeit, und die größeren Einheiten nur übernehmen, wozu die Kleinen nicht in der Lage sind. Nun erleben wir die Bestätigung für die Unfähigkeit ferner Regierungen in real time: In Mainz wird ein Impfstoff erfunden und produziert, der aber in Mainz und um Mainz herum nicht verfügbar ist, weil das ferne Brüssel in Merkels Namen eine bessere Idee hat, die zwar niemand nachvollziehen kann, aber durchgesetzt wird: Export von Impfstoff.

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Es ist, als ob Merkel Erfahrungen ihrer Kindheit und Jugend beleben möchte: Die DDR exportierte Radios, Kameras und Handmixer nach Westdeutschland, die im Osten nicht verfügbar waren, und oft genug als Care-Packet aus dem Westen zurückgeliefert wurden. Deutschland gibt den Impfstoff ab und erhält ein paar Reste-Dosen zurück. Versiebt hat das Ursula von der Leyen, deren milliardenteure Beschaffung von Rüstungsmaterial dazu geführt hat, dass sie nach Brüssel weggelobt werden musste, um der heimischen Kritik zu entgehen. Jetzt wiederholt sie Beschaffungsfehler lebensgefährlicher Qualität. Dass die Impf-Prozesse auch vor Ort nicht funktionieren kommt dazu.

Die Bürokratie-Monster des staatlichen Gesundheitssystems fressen jede Dose auf: Weder klappt die Terminvergabe, weder funktioniert die Aufklärung der Betroffenen, noch ist die Zuteilung der Impf-Stoffe rational: So werden Sterbende in der Palliativstation geimpft, in Folge der nachfolgenden Komplikationen auf die Intensivstation verlegt, die überzulaufen droht und dort ein zweites Mal geimpft. Ärzte und Pfleger allerdings, die von Ansteckung bedroht sind und sie leicht weitergeben, bleiben ungeimpft. Die staatliche Verteilbürokratiemaschine stampft weiter vor sich hin. Gesundheitsminister Jens Spahn hätte das ungeheure Bürokratie-Monster zähmen können. Aber er war mit seiner Kandidatur für den Job des Parteivorsitzenden und das Amt des Stellvertreters voll ausgelastet. Politik ist nicht Problemlösung, sondern dient der Stimmenmaximierung. Dafür wird ein Land auf Null gefahren, seine Ressourcen werden ausgebrannt. Auch hier drängen sich Erinnerungen an die DDR auf.

Und Jens Spahn passt ins Bild. Seine großartigste Leistung ist das Verteilen von Schutzmasken – bürokratisch perfekt: Mit Bundeswappen, Wasserzeichen und Selbstbeteiligung. Nur seine Gesundheit schützt man damit nicht, im Gegenteil. Aber was macht das schon im Pannenkabinett Merkel?

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