Das finden jetzt alle aufregend: Bundespräsident Steinmeier spricht von „alltäglichen Konflikten“, die außerhalb der Berliner Mauern stattfänden, er nennt „Gerechtigkeitsfragen, Flüchtlingspolitik und Migration, Integration und Heimat“. Ist die Wirklichkeit eingezogen in Berlin, mit klingendem Spiel?
Augenzwinkernd Nonsens erzählen – Sie wissen doch …
Am Abend lausche ich einem Vortrag eines obersten Landespolizisten. Alles wird gut, Wohnungseinbrüche werden weniger und wenn, dann aufgeklärt. Ausländer, sagt er wörtlich, sind nicht krimineller als Deutsche. Und auch deren Kriminalität sinke und sinke und sinke. Das dritte „sinke“ sagt er nicht, denn seine Statistik umfaßt nur zwei Jahre. Sonst wäre der Anstieg zu deutlich, aber das wissen nur die Eingeweihten. Dass anerkannte Asylbewerber und Familiennachzügler gar nicht erst in seiner Statistik auftauchen? Auseinandersetzungen innerhalb von Flüchtlingslagern kaum erfaßt werden? Ach ja. Das wäre zu viel. Jochen Renz hat diese Art des Schönredens immer wieder als kunstvolle Technik im Umgang mit Statistiken lächerlich gemacht. Jetzt sind die Sprecher sich dessen bewußt. Aber machen weiter. Ein rosa Lagebild. Erstaunliches in die andere Richtung dann bei den Maßnahmen: Polizisten müssen mit Spezialschals ausgerüstet werden, damit sie bei Messerattacken nicht die Gurgel oder Halsschlagader aufgeschlitzt kriegen; ein Millionenbetrag für den Landeshaushalt. Die Polizisten müssten lernen, „robuster“ aufzutreten. Sie müssen trainiert werden, schneller sich zu wehren. Sie müssen neuerdings an der Waffe lernen, direkt auf die Schlagadern zu zielen, weil ihre Gegner heute Schutzwesten trügen, die Gegner, nicht überlesen, überhaupt: Schneller schießen ohne Schrecksekunde, denn es bliebe keine Zeit mehr, erst die SEK zu holen.
Wir siegen uns zu Tode
Oha. Sind die Ganoven über Nacht so böse geworden? Oder hat es etwas damit zu tun, dass Gewalt in großem Stil eingewandert ist? Da lacht der Herr Polizeipräsident, und sagt, das sei politisch … Das ist das neue Deutschland: Staatliches Wegschauen, Wegschweigen, jeder zwinkert mit den Augen dazu: Sie wissen schon … Die Spaltung der Wahrheit in mehrere Wahrheiten für unterschiedliche Anlässe und Kreise ist im Gange. Diese Art der Spaltung kannte die DDR: Eisenhart wurden die ständigen Siege des Sozialismus vorgetragen, und jeder wusste, dass jeder wusste: Nonsense. Ständig einzuholen ohne jemals näher zukommen. Wir integrieren, die Frage ist bloß: Wen und wohin? Nachzulesen ist die Methode ständigen Siegens in Uwe Tellkamps sensiblem DDR-Roman „Der Turm“, eben jener Tellkamp, der jetzt gejagt wird, weil er nicht mehr nur mit den Achseln zucken und lächeln will zum offensichtlichen Krampf, der da offiziell nicht nur verlautbart wird, sondern von jedem Bürger erwartet wird. Uwe Tellkamp ist ein sorgfältig beschreibender Autor. Weil er nicht mehr schweigt, wird er zum Gegenstand der neuen Behandlung. Wer ausbricht, wird ausgegrenzt. Das ist die Methode Berlin 2.0.
Neue Mauern
Es ist keine neue Berliner Mauer, aus Berlin stammt nur der Bauplan der Spaltung. Gebaut an der neuen Grenze zwischen bedingungslosen Anhängern und Jasagern einerseits und kritischen Bürgern mit tiefsitzendem Demokratiegefühl andererseits, gebaut wird diese Grenze in den Kindergärten, wo Ausschau nach blonden, gut erzogenen und gut angezogenen Kindern gehalten werden soll, denn das sind die Merkmale der „Rechten“, gezogen wird die Grenze in den Schulen, wobei in den Abiturklassen die Schüler schon gelernt haben, anders zu reden als zu denken und nur nicht zu protestieren. Hinter die Mauer geschickt wird jeder, der es wagt, der Regierung zu widersprechen. Freiwillig spielen viele, die allermeisten Medien mit. Wer kritisiert, wird von den Medien zur Ordnung gerufen. Noch einmal Uwe Tellkamp, wie er medial bearbeitet wird. Über ihn, den „umstrittenen Schriftsteller“ schreibt die frühere liberale ZEIT: „Das kennen wir schon von Pegida“. Daran ist dreierlei bemerkenswert: „Umstritten“ ist Tellkamp erst, seit er dazu gemacht wurde – er hat nur eine vom die Kanzlerin verherrlichenden Leitartikel der Zeit abweichende Meinung geäußert. Das macht ihn „umstritten“, also verdächtig. Und zweitens ist, wer selber denkt „Pegida“, das war früher gottlos. Und drittens ist auffällig, welches Verständnis Journalisten über ihre Arbeit pflegen. Früher kritisch, sehen sie heute ihre vornehmste Aufgabe in der Teilname an der Demonstration der Einigkeit mit der Kanzlerin.
„Freiwillige Gleichschaltung“
Verdächtig, umstritten, abweichend ist einem vom Regierungsduktus abweichende Meinung. Vorbei ist die Zeit, in der Journalimus und Kabarett sich an die Regel hielten: Ganz gleich welche Regierung – ich bin dagegen. Heute herrscht Bestätigungsjournalismus, „freiwillige Gleichschaltung“, wie es die Kollegin Evelyn Roll schon vor über 10 Jahren erkannte. Und dabei wird der Dummheit die Tür weit geöffnet. Ausgerechnet Schädelvermessungen, eine beliebte Methode nationalsozialistischer Rassengläubiger, führt Spiegel-Online als Beweis an, dass Einwanderung schon immer stattfand und friedvoll abgelaufen sei. Man kann annehmen, dass Rudolf Augstein solcherlei Hirnlosigkeit mit fristloser Kündigung geahndet hätte – heute denkt beim Spiegel keiner mehr über 12 Jährchen Kanzlerschaft Merkel anders hinaus als ihre unbegrenzte Fortsetzung – wie bei Xi in China. So bildet sich dieses Selbstbestätigungskarussell von Politik und Medien. Es ist allerdings eine Insel, deren Ränder von jeder Welle abgetragen und kleiner wird. Immer weniger Anhänger bleiben auf der Insel, immer mehr suchen das Weite, wenn sie nicht ohnehin von den rechtgläubigen Inselbewohnern ins Meer geworfen werden.
Ohne jede Selbstkritik
Wie der Holocaust verharmlost wird
Was in diese Art von Köpfen der Berliner Elite keinen Einzug mehr findet: Dass sie den Holocaust verniedlichen und verharmlosen. Dass sie schlimmer sind als Holocaustleugner, die dafür Strafe riskieren: Die historische Einzigartigkeit des industriellen Mordens reden sie damit klein, trivialisieren sie, verhöhnen die Opfer und verharmlosen die Täter – und merken es nicht einmal. Eine wilde, ziellose Jagd auf Nazis und Rechts zieht durch das Land. Auf dem Höhepunkt verfolgte die Amadeu-Antonio-Stiftung, finanziert vom Bund, der Freudenbergstiftung und hofiert wiederum von der ZEIT jeden, der „Aber-Sätze“ benutzt: „Ausländer sind Willkommen, aber sie müssen sich an unser Recht halten“ – bereits dieser Satz entlarve den Sprecher als Rechten. Statt Nebensätze sind nur noch bestätigende Hauptsätze erlaubt, so schlicht geht es zu im Kopf der neuen Linken. Dialektik ist dafür zu hoch. Und nur noch dialektisch zu verstehen ist, dass der Vorwurf Nazi und Rechts sich längst entwertet hat. Wen schon ein „aber“ zum Nazi macht, der lacht nur noch. Achselzuckend akzeptiert man das immer grellere, immer geiferndere Aufschäumen der Nazi-Jäger, die keine finden und daher jede Jagdbeute zu Nazis umschminken, den erlegten Hasen zum Hirsch, ach was, zur Wildschweinherde hochreden müssen wie der Nazi-Angler, dessen gefangene Forelle bei jeder Erzählung um zehn Zentimeter Länge gewinnt, und es wird oft erzählt von dieser Jagd auf die Unwesen in den braunen Untiefen in Nachbars Garten. Anfangs schmerzt es. Man reagiert empört und verletzt auf solche Anschuldigungen. Jobs sind in Gefahr, Kinder dürfen nicht mehr mit auf Klassenfahrt, wenn der (geschiedene) Vater bei der AfD kandidiert. Längst ist Sippenhaft gang und gäbe, werden alle Lebensbereiche politisiert und einer umfassenden Gedankenkontrolle unterzogen. Die Spaltung hat längst komische Züge: Öko-Bauern werden als Lebens-Born-Erzeuger verdächtigt, wenn sie ihre Demeter-Höfe betreiben ohne Mitgliedschaft bei den Grünen; der DGB verfolgt „rechte“ Gewerkschafter, die Zeitschrift Journalist, Mitgliedsorgan des Deutschen Journalistenverbands, denunziert Mitglieder, die der Abweichung verdächtigt werden: DDR pur oder noch mehr? Bücher werden nicht mehr verlegt, verschwinden von der Spiegel-Bestseller-Liste – ein Kaufvorgang wird zum politischen Statement. Die Spaltung zieht sich überall durch.
Spaltung durch Ausgrenzung
Und so spaltet sich Deutschland: In die Nazi-Jäger, und die vielen Nazi-Jagd-Opfer, die Kollateralschäden einer Politik, die statt auf Überzeugung auf Ausgrenzung setzt und dabei ist, sich von ihrer Bevölkerung zu entfremden, wie es sonst nur autoritären, selbstverliebten Machthabern gelingt, umringt von ihren Höflingen und Hofberichterstattern. Das Heer der Ausgegrenzten wächst täglich, dafür sorgen schon die medialen Revolutionsgarden. Die Auflage der Hofberichterstattungsblätter sinkt, die der wenigen kritischen Medien steigt. Die AfD könnte ein Schweigegelübde befolgen und zöge doch immer neue Wähler an. Längst zählen im Bundestag, der zum Vollzugsorgan der Regierung denaturiert wurde, nicht mehr Debatte und das Ringen um Lösungen, sondern „Haltung“. Gegen Rechts. Immer mühevoller wird die Abgrenzung, immer feinmaschiger die Begründung und immer noch willkürlicher und falscher: „Sie geben aber Argumente, Stichworte und Themen vor. Und zwar nicht nur für andere Rechtskonservative oder rechtspopulistische Leserinnen und Leser, sondern durchaus auch für Rechtsextreme,“ schreibt die linksradikale Amadeu-Antonio-Stiftung über kritische Medien. Klar, wer ein Argument benutzt, das auch von Rechten benutzt wird oder werden könnte, macht sich schon verdächtig. So wird der Diskursraum immer weiter eingerenzt – bis zur wörtlichen Wiedergabe der Regierungserklärung als einzig erlaubter Form des Journalismus? Die Spaltung in Gläubige und Ungläubige. Jetzt also fordern Frank Steinmeier, der Bundespräsident, oder die Bundeskanzlerin eine offenere Diskussion? Das fällt ihnen etwas spät ein, und es sind die Richtigen, nämlich die, die mit ihrer Ausgrenzung die Spaltung der Bevölkerung betrieben haben. Es ist die bekanntermaßen erfolgreiche Methode, den Bock zum Gärtner zu ernennen. Dem Salat hat dies noch nie gut getan. Aber Bürger sind eben kein Salat.
Die Spaltung hat viele Gesichter
So hat der Auszug aus Merkels Deutschland begonnen. Die wörtlichen Auswanderer werden ständig mehr. Die Gruppe der Ausgegrenzten, die (noch) hierbleiben, richtet sich gemütlich ein, mit eigenen Medien und Netzwerken in Parallelstrukturen. Im Unterschied allerdings zu den linken und grünen Netzwerken sind es erwerbstätige, aktive Bürger, die bislang diesen Staat getragen haben. Es sind die Steuerzahler, die dies als selbstverständliche Pflicht angenommen hatten und jetzt zu den kleinen Sabotageakten greifen, die den Ämtern das Leben erschweren. Es sind die Kirchgänger, die jetzt ihre Kirchensteuerzahlung einstellen, weil sie sich gedemütigt fühlen, wenn Bischof Marx das Tragen des Kreuzes als Zumutung gegenüber Moslems empfindet. Es sind die Helfer in den Flüchtlingseinrichtungen, die hinschmeissen. Es sind die GEZ-Verweigerer. Es sind welche, die sich amtlich abmelden. Es sind die, die als Polizisten und Beamte das Betriebssystem des Staates bilden und ihr Heil in der Frühpensionierung und dem Wechsel zu privaten Sicherheitsfirmen oder im Dienst nach Vorschrift suchen. Es sind die Lehrer, die vor dem Durcheinander in den Klassen still kapitulieren. Es sind die Unternehmer, die ihre Investitionsentscheidungen umlenken, die Handwerker, die das Schwarzgeld wiederentdecken, weil sie diesen Staat nicht mehr als ihren sehen. Es sind die Trainer im Fußballverein, die wegbleiben. Unbotmäßigkeit der Bürger hat viele Gesichter. Der Salat wehrt sich auf seine Art.
Man kann zuschauen, wie ein Sozial- und Gesellschaftssystem zerfällt.