Lieber Wolfgang Herles, als Blogwart stelle ich mir nach ihrer jüngsten Haarspalterei über Rinks und Lechts die Frage:
Will Angela Merkel nun doch einen konservativeren Kurs für die Union, ehe sie parteiintern mühsam abgesägt wird? Merkel wolle Wähler von der „rechtspopulistischen“ AfD zurückgewinnen. Die Union müsse daher verstärkt auch auf konservative Wähler rechts von der politischen Mitte zugehen, habe Merkel bei der Präsidiumssitzung ihrer Partei gesagt. Das hatte zunächst die BILD-Zeitung berichtet; aber die Aussage wurde gleich wieder dementiert – kein Richtungswechsel: „Sondern es gibt die Aufgabe, die noch entschiedener gemacht werden muss, aus uns heraus selbst darzustellen, was wir wollen, wohin wir gehen, welche Überzeugungen uns tragen.“ Sagte die Kanzlerin dazu. Die CSU hat´s verstanden und bellt. Vor dem Beissen braucht sie sich nicht so sehr zu fürchten.
Aber dieses Hin und Her und die ganze Interpretiererei noch der letzten Herumeierei zeigt das Dilemma der Union:
Wie will die Union denn wieder konservativer werden und mit wem? Friedrich Merz ist rausgeekelt und Roland Koch abgesägt; Markus Söder darf noch nicht an Seehofer vorbei und Erika Steinbach, die letzte Mohikanerin vom Stamm der schwarzen Feder ist so isoliert in der CDU-Spitze wie Vergissmeinnicht an Weihnachten. Wer auch nur im geringsten in die rechte Mitte des Bürgertums ausstrahlt, wurde als parlamentarischer Staatssekretär oder Verbandsfunktionär von Merkels Gnaden ein- oder bei Widerspruch abgewickelt.
Die Merkel-CDU als SPD von gestern
Vor allen Dingen: Unter Merkel wurde die CDU zu einer Art SPD von gestern: Gerhard Schröders Sozialreformen werden unter Andrea Nahles mit Merkels Segen schrittweise zurückgedreht und dafür neue Sozialleistungen ausgeschüttet, die sich beim ersten Konjunkturschnupfen oder dem nächsten größeren Griechenlandpaket als unbezahlbar herausstellen.
Subventionen für alles und nichts wuchern bis hin zu Steckdosen für Elektroautos aus der nächsten Parkplatzecke. Die verkorkst vor sich hin taumelnde Energiewende ist Merkels Machwerk. Ihre Euro-Rettung präsentiert unbarmherzig die Kosten in Form einer Enteignung der Sparer; die diversen Griechenlanddramen als Fortsetzungsroman zeigen, wie falsch der angeblich alternativlose Ansatz war – vermutlich senden ARD und ZDF Korrespondenten-Filme vom vorletzten Jahr aus Athen; geändert hat sich jedenfalls sichtbar nichts. Währungs-, Wirtschafts- und Sozialpolitik folgen einem verkorksten Masterplan der 70er Jahre und werden von einer wie rasend wuchernden Bürokratie zunehmend autoritär exekutiert. Es ist doch geradezu ein Treppenwitz, dass die CDU der SPD-Linken hilft, das lästige Erbe von Gerhard Schröder zu verschleudern. Mehr gestrig, mehr nach hinten, war selten in Deutschland.
Aggression und Misstrauen wachsen
Die Bürger reagieren aggressiv, das Misstrauen wächst, die Spannungen nehmen spürbar zu. Denn Merkel erklärt ja weder ihre Überzeugung noch ihre Ziele. Ihre Regierung ist eine der wortreichen Sprachlosigkeit, und diese Sprachlosigkeit wird umso lärmender und aggressiver, je krasser die Widersprüche zwischen den „Überzeugungen“ und der davon abweichenden Wirklichkeit aufklaffen.
Sie haben ihn ja schon bejubelt, und hier sogar mit Link: (So ganz modern sind Sie ja technisch nicht, lieber Herr Kollege) Wolfgang Streeck jedenfalls hat in der FAZ diese Widersprüchlichkeit am Beispiel von Merkels Flüchtlingspolitik aufgezeigt:
„So ist in Deutschland zum Beispiel zu glauben oder doch zu bekennen und jedenfalls nur unter Gefahr des Ausschlusses aus der demokratischen Kommunikation öffentlich zu bezweifeln, dass zwischenstaatliche Grenzen sich im 21. Jahrhundert nicht mehr aufrechterhalten lassen; dass dennoch erfolgreiche Grenzsperrungen gegen Menschenrechte verstoßen, wenn sie in Ungarn oder Mazedonien, nicht aber unter deutscher Aufsicht zwischen der Türkei und Griechenland stattfinden; dass zwischen Asylsuchenden, Flüchtlingen und Migranten kein Unterschied zu machen ist; dass es bei Migration nur Push gibt und niemals Pull; dass Flüchtlinge Flüchtlinge sind, auch die entlassenen Dolmetscher der amerikanischen Armee in Afghanistan, die nicht in sein Land zu lassen ihr früherer Arbeitgeber Gründe zu haben scheint; dass die Hilfsbedürftigkeit eines Migranten und die humanitäre Pflicht ihm gegenüber sich danach bemessen, ob er genügend Geld für die Schlepper und Kraft für die Balkan-Route hat und wie weit er auf dieser kommt; dass es bei der Aufnahme von Migranten keine „Obergrenze“ geben darf; dass die gemeinsam mit dem türkischen Möchtegern-Diktator ergriffenen Maßnahmen zur Beendigung des Flüchtlingsstroms hierzu nicht in Widerspruch stehen; und dass dasselbe für die Bemessung der Zahl der zukünftig aus humanitären Gründen aufzunehmenden Syrer anhand der Zahl ihrer am maritimen Anfang der nunmehr freilich abgeriegelten Balkan-Route aufgegriffenen Landsleute gilt; dass die „Schließung der Balkanroute“ im Anschluss an die Kölner Silvesterfeiern durch „Europa“, unter Führung der deutschen Bundeskanzlerin, bewirkt wurde und nicht durch Österreich oder Slowenien, weshalb sie auch in Einklang mit „unseren Werten“ steht, was andernfalls anders wäre.“
Nun hat Streeck diesen Vorgang in eine etwas schwer verständliche Sprache gepackt; aber viele Menschen spüren diese inneren Widersprüche in immer weiteren Teilen der Politik – und immer unmittelbarer in ihrer Lebenswelt außerhalb der geschützten, abgeschlossenen und weit entfernt von Zeit und Raum im All die „Überzeugungen“ kreisenden Raumstation Berlin-Mitte. Die CDU wiederum folgt ihrer Kanzlerin; das Dumme ist nur, dass die einfachen Mitglieder keinen Ruheplatz in der Raumstation Merkel haben, sondern sich an Ort und Stelle mit wütenden Nachbarn auseinandersetzen müssen. Den Medien kommt in gutem Lenin`schen Sinn die Aufgabe des Transmissionsriemen zu – die gute Absicht des Zentralkomitees der Überzeugten in die Bevölkerung zu übersetzen. Wie gerne haben sich viele Kollegen dieser Aufgabe gestellt und sich geschmeichelt in der Rolle des Kanzler-Erklärers, der Kanzler-Erklärerin wiedergefunden. Aber auch das bricht auf. Von der Kanzlerin der Herzen wurde sie mit ein paar Anschlägen in den wankelmütigen süddeutschen Blättern zur Kanzlerin von TTIP und der US-Konzerne umgeschrieben.
Die Angst eines ängstlich gemachten Volkes
Die Folge ist ein aggressives Misstrauen gegen wirklich alles, was neu kommt. Es ist die Angst einer ängstlich gemachten Bevölkerung, die keinem Argument mehr Glauben schenkt, weil gerade in den letzten paar Monaten jede, aber wirklich jede medial verbreitete Zahl sich als getürkt herausgestellt hat: Die Zahl der Zuwanderer wurde kleingerechnet, ihre Unterschiedlichkeit durch den Begriff Flüchtlinge für alle vernebelt, ihr Bildungsstatus ins Groteske hochgeredet, die zunehmende Kriminalität geleugnet. Kostenfaktoren wurden zur Rentenrettern umfrisiert und die importierte mentale Gestrigkeit zur neuen Modernität geschminkt; Anpassung und Integration einseitig den Einheimischen auferlegt. Die allermeisten Medien hat es gleich mit erwischt. „Doch erstaunlich, was man alles in den Zeitungen lesen kann – zwischen den Zeilen“: Dieser alte DDR-Spruch begegnet mir gerade täglich. Die neue Wirklichkeit ist das, was zwischen der gutverfugten Wirklichkeit durchsickert. Merkels Regierungsstil des Tarnens und Täuschens, um überfallartige, nicht-erklärte Ziele durchzusetzen, stößt auf eine zunehmend aggressive Ablehnung jedes Regierens.
Dabei gerät nicht nur das Regierungssystem Merkel in Gefahr. Rechte Wutbürger mischen sich gerade mit linken Wutbürgern und entdecken Gemeinsamkeiten. Die USA als Ursache jeden Übels, Transatlantiker als übelstes Schimpfwort, die Regierenden als bezahlte Handlager globaler Konzerne, Gedankenmanipulation durch Gen-Food und freier Handel als Verarmungsmaschine: Ausgerechnet beim Thema TTIP, zu dem sich selbst der arme Sigmar Gabriel bekennt, verbünden sich linke, rechte und grüne Wut zu einer seltsamen Mischung. Man kann ja dafür oder dagegen sein – aber bei den linken Gegnern von Greenpeace bis zum NDR und der Süddeutschen Zeitung tauchen plötzlich Argumente, Metapher und Konstrukte auf, die sonst nur in besonders rechtslastigen Kreisen jenseits der AfD benutzt werden.
Linke und nationale Sozialisten mit grüngefärbten Brauneinsprengseln
Bemerkenswert: Die linken und nationalen Sozialisten mit ihren grüngefärbten Brauneinsprengseln sind mehrheitsfähig. Für TTIP gibt es keine Mehrheit. Das ist auch nicht weiter schlimm; die Beschäftigungslage in Deutschland ist so exzellent, da kann man zukünftig auf ein paar Export-Arbeitsplätze sicherlich verzichten – und Selbstgenügsamkeit ist ja nach Jahren der Verschwendung eine Tugend. Auch unter Donald Trump ist „Buy-American“ ein wirtschaftspolitisches Rezept; Deutschland hat lange genug von den goldenen Jahrzehnten des Freihandels profitiert und meint darauf verzichten zu können. Nun denn. Die deutsche Wirtschaft, die jeden von Merkels diversen Sprünge unterstützt hat, verlangt jetzt, dass für sie TTIP durchgesetzt wird und schweigt erschüttert, weil es nicht mehr gelingen mag. Aus Angela Merkel, der Kanzlerin der ruhigen Hand mit der praktischen Nüchternheit der schwäbischen Hausfrau ist eine Regierungschefin geworden, der immer mehr Menschen abgrundtief misstrauen. Die Wut-Bürger mutierten trotz der medialen Schönwetterlage zu Merkelhassern. Die Einzige, die das nicht mitgekriegt hat, ist die Kanzlerin in ihrem Wolkenkuckucksheim mit gedämpften Lärmpegel und entrückter Wirklichkeit. (Das ist übrigens ein üblicher Vorgang: Nach der zweiten Legislaturperiode heben die ab. Obama begrüßt, dass die US-Verfassung nur Zwei erlaubt; darüber haben wir aber schon diskutiert hier und Sie geschrieben: „Entropie im Amt“, unvergessen.)
Mir geht es nicht um Pro oder Contra TTIP – hier zeigt sich jenseits von Pegida, wie weit in den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Lagern Misstrauen, Hass auf die Regierenden und aggressive Ablehnung gewachsen sind. Denn Merkel hat sich auf Links gestützt – und wird jetzt fallengelassen, weil sie deren Hoffnungen in der nüchternen Wirklichkeit nun doch nicht erfüllen kann.
Es zeigt eher die Folgen der stillschweigend betriebenen Veränderungspolitik unter Merkel, deren Auswirkungen wie in der Sozial- und Europolitik geleugnet, schöngeredet wie in der Flüchtlingspolitik oder mit den Milliarden eines vorübergehenden Wirtschaftsbooms wie in der Energiepolitik vertuscht werden.
Unter Merkel kann die CDU nicht „nach Rechts“ rücken; sie hat die weitgehend festgefügten Gewissheiten zertrümmert und wird jetzt von den herumfliegenden Einzelteilen erschlagen. Erklären kann sie das nicht; Erklärer fehlen. Deutschland wird durch einige Jahre innerer Unruhe, sich weiter auflösender Sicherheiten und damit wachsender Konflikte gehen, das stimmt nicht besonders optimistisch. Lechts und Rinks und ein paar Köpfchen, die in der SPD oder Union diese Woche rollen oder erst in ein paar – das Wasser sucht sich seinen Weg. Die nächste Wasserstandsmeldung demnächst.