Rettet uns das Kinderwahlrecht aus der verkalkten Altenrepublik? Welche Innovationen brauchen wir, was sind die Trends?
Wie innovationsfähig ist Deutschland? Die angesehene US-Universität MIT bescheinigt Deutschland, dass hier die weltweit modernsten Produktionsverfahren zu Hause sind – die Unternehmen profitieren von einem Ökosystem, das aus firmenübergreifenden Kooperationsbeziehungen, tief gestaffelten Zuliefer-Netzwerken, Dienstleistern, aus Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Universitäten besteht. Innovation ist nicht die geniale Idee eines einsamen Daniel Düsentriebs, sondern das erfolgreiche Zusammenspiel vieler, die gemeinsam die Grenze des schon Erreichten hinausschieben. Mit diesem Heft vergibt die WirtschaftsWoche gemeinsam mit Evonik, Accenture und EnBW den Deutschen Innovationspreis für solche herausragenden Leistungen. In der heraufziehenden „Industrie 4.0“ wächst die Welt der Fertigung mit der Welt der Daten zusammen. Das „Internet der Dinge“ entsteht, indem Produktionsanlagen in Echtzeit auf Nachfrageimpulse reagieren, die am anderen Ende der Welt ausgesandt werden. Gerade kleinere Unternehmen sind Treiber und Gewinner. Die Giganten der Industrie konnten die Vorteile der Massenproduktion ausspielen. Jetzt aber schrumpfen die Losgrößen. Wer bislang in einer Nische viele Varianten in kleiner Stückzahl fertigte, wechselt vorwärts – zurück zum Werkstück, jedes ein Meisterstück, zugeschnitten auf einen ganz speziellen Kundenwunsch.
Dafür braucht man erstens Daten, zweitens Daten und drittens Daten – für Information, Fernüberwachung, ständige Kontrolle; Umrüstzeiten müssen auf Sekunden verkürzt werden. Big Data, das Schreckenswort der Feuilletons, wird zum Allzweckwerkzeug. Ungeheure Mengen an Informationen müssen gesammelt, verarbeitet, transportiert und vernetzt werden – zur Totalsteuerung der Produktion und aller Prozesse davor und danach. Die digitale Transformation ist mehr als E-Commerce, viel mehr: Bald wird meine Lesebrille beim Verfassen des Einblicks überflüssig sein, weil mein Bildschirm seine Schriftgröße meiner Sehschärfe anpasst. Die deutsche Wirtschaft steht gut da – doch sie leidet darunter, dass der Kompetenz-Graben zwischen dem wissenschaftlich-industriellen und dem politischen Sektor immer größer wird. Die Bildungseinrichtungen halten nicht Schritt; die Infrastruktur verfällt, obwohl Straßen- wie Kommunikationsnetze für diese ins Kleinste zerstückelten und immer wieder neu zusammengesetzten Prozesse Grundvoraussetzung sind. Der Fortschritt steckt im Stau.
Staatliche Bremser
Eine naive Wissenschaftspolitik will zurück ins 19. Jahrhundert – zu staatlich geförderten Prestigeprojekten wie alternative Energieformen. Sie sollen der Energiepolitik aus der Sackgasse helfen, in die sie sich selbst verfahren hat. Aber viele Beispiele zeigen: So entstehen nur künstlich ernährte Biotope beamteter Wissenschaftler, die sich von der Entwicklung da draußen abschotten, statt sie zu treiben.
Während die Wirtschaft nach vorne drängt, schaut die Politik mit verklärtem Gesicht in die Abendsonne des Sozialstaats von gestern: Verkürzt rabiat den Renteneintritt wieder auf 63 Jahre, obwohl wir 40 Lebensjahre gewonnen haben. Statt Individualisierung werden wieder kollektive Lösungen und Verstaatlichung gepredigt. Das sind Phänotypen staatlichen Handelns, die schon lange nicht mehr passen. Staatliche Reformprojekte fressen Ressourcen und bleiben dann stecken. Andere Länder sind da viel weiter: Gesundheitskarten vermeiden doppelte und dreifache Untersuchungen. Längst wissen die tausend Ämter alles über uns – und doch müssen wir demütig durch ihre Tore pilgern, um einen simplen Ausweis oder eine Bescheinigung gnädig herabgereicht zu bekommen.
Hilft gegen die Herrschaft der verknöcherten Alten, die für ihresgleichen Politik machen, ein Wahlrecht für Kinder? Vielleicht. Es ist jedenfalls ein Ansatz, um den verkalkten Betrieb der Politik und Verwaltung neu zu denken.
(Erschienen auf Wiwo.de am 05.04.2014)