Terminkalender sind Krisenindikatoren. Am Donnerstag, dem 9. Juni, hatte der EZB-Rat eine kleine Zinserhöhung von 0,25 Prozentpunkten beschlossen – ohnehin nur ein mickriger Kübel Wasser gegen den Großbrand der Inflation. Am Mittwoch darauf schon wurde ein Kanister Benzin ins Feuer geschüttet, der die Inflation weiter anheizt: Zukünftig will die EZB bevorzugt Staatsanleihen aus den hochverschuldeten Südländern aufkaufen, insbesondere Italiens. Der Verzicht auf diese Form der Staatsfinanzierung ist aber neben der Zinserhöhung ein wesentliches Instrument, um die Inflation zu bekämpfen: nicht noch mehr frisch gedruckte Euros in die Märkte zu verstreuen, um Geld knapp zu halten und der Inflation das Brennmaterial zu entziehen.
Ein Schritt vor, zwei Schritte zurück – ohne deutsche Stimme
Ein Entschluss also, der keine Woche hält – auf einen Schritt nach vorne zur Inflationsbekämpfung erfolgen zwei Schritte zurück ins Zeitalter der Inflationierung: Mehr Krisensymptome sind kaum denkbar bei den feinen Damen um EZB-Chefin Christine Lagarde und den noch verbliebenen wenigen Fachleuten im EZB-Rat und der EZB-Bürokratie. Der EZB-Rat ist das oberste Beschlussorgan der Europäischen Zentralbank. Er umfasst die sechs Mitglieder des Direktoriums und die Präsidenten der nationalen Zentralbanken der 19 Mitgliedstaaten des Euroraums.
Bezeichnend: Deutschland, das für rund ein Viertel der EZB-Bilanz gerade steht, ist im entscheidenen Monat Juni nicht in diesem Rat vertreten, sondern darf nur zuhören: Die Mitglieder wechseln durch, um die Zahl der Teilnehmer zu begrenzen. Vertreten im Rat ist dagegen in diesem Sommer Italien. Kein Wunder, dass die italienische Position sich durchgesetzt hat und nicht die der deutschen Hinterbänkler, die traditionell für Währungsstabilität eintraten.
Die Fratze der Inflationsbekämpfung
Größter Schuldner sind allerdings nicht Häusle-Bauer, sondern die Staaten. Zinsanstiege treffen insbesondere die Finanzminister in den Südländern, die besonders hoch verschuldet sind. Nun müssen sie nicht automatisch für den Bestand ihrer Schulden höhere Zinsen zahlen – Staatsschuldtitel haben lange Laufzeiten und müssen nur zu kleinen Teilen teuer umgeschuldet werden. Aber selbst dieses langsame Rollieren der Umschuldung hat Ängste ausgelöst: Kann Griechenland, dessen Schuldenlast das Doppelte seiner Wirtschaftsleistung ausmacht, wirklich höhere Zinsen finanzieren, und wenn es nur für einen kleinen Teil der Schulden ist?
Es wird also teurer für die Euro-Südstaaten, sich zu verschulden; auch bestehende Staatspapiere werden entsprechend entwertet: Man könnte ja die niedrig verzinslichen alten Papiere in höher verzinste neue Papiere umtauschen. Das drückt den „Kurs“, also den Kaufpreis. Sinkende Kurse für Altpapiere bringt die dortigen Banken in Schwierigkeiten: Der „Wert“ ihrer Staatsanleihen in den Bilanzen sinkt, ein Bilanzverlust muss ausgewiesen werden, also rote Zahlen, die wiederum zu sinkenden Aktienkursen führen. Es geht also wieder um eine Bankenrettung zulasten von Wirtschaft und Verbrauchern.
Der teure Kampf gegen Inflation
Die Inflation zu bekämpfen, ist nicht so einfach und erfordert Opfer: Geliehenes Geld wird teurer, für Staaten, Wirtschaft, private Investoren in Immobilienprojekte. Staaten müssen ihre Schulden reduzieren oder zumindest bei der weiteren Verschuldung vorsichtig sein. Sie müssen einen größeren Teil ihrer Steuereinnahmen für Zinszahlungen ausgeben; Geld, das dann nicht mehr für populäre Versprechungen und Sozialmaßnahmen zur Verfügung steht.
Wer traut sich das aber angesichts wachsender Arbeitslosigkeit, explodierender Verschuldung und immer neuer Versprechungen, dass die Sozialleistungen weiter steigen, Migranten in beliebiger Zahl gut versorgt werden sollen, Beamtengehälter zum Inflationsausgleich erhöht werden und die „Zeitenwende“ mehr Geld für das Militär erzwingt? Bei Null-Zinsen war regieren einfach: Es konnte Geld billig geliehen – und unter dem Jubel der Empfänger breit verstreut werden. Inflationsbekämpfung ist zunächst unpopulär.
Die EZB jedenfalls traut sich das nicht zu. Die sogenannten „Währungshüter“ der EZB beschlossen daher auf ihrer mehrstündigen Sondersitzung am 15. Juni, bei der Wiederanlage der Gelder aus auslaufenden Anleihen höher verschuldeten Euro-Ländern besonders freigebig zur Seite zu stehen. Um zu gewährleisten, dass die vor 6 Tagen beschlossene Straffung der lockeren Geldpolitik diese Länder nicht zu sehr belaste, sollen Gelder aus auslaufenden Anleihen des beendeten Corona-Notkaufprogramms PEPP wieder investiert werden. Hinter dem Buchstabenkauderwelsch steckt ein einfacher Vorgang: Die EZB wird insbesondere griechische, italienische und spanische Staatsanleihen bevorzugt aufkaufen. Gerade das hat sie vorher versucht zu vermeiden – wegen Inflationsbekämpfung. Die ist jetzt abgesagt.
Mehr Mut in den USA
Während also die EZB das Gegenteil von Inflationsbekämpfung unternimmt und wieder Benzin in die Flammen kippt, sind andere nicht so zimperlich.
Die Folgen sind klar: weiterer Anstieg der Zinsen – langsame Rückkehr zu stabilen Preisen in den USA. Wie nach dem Lehrbuch begann nach dem Doppelentscheid der Kurs des Euro wieder zu sinken, der sich zunächst etwas stabilisiert hatte. Das bedeutet noch mehr Inflation in Euro-Land, denn sinkende Währungskurse bedeuten, dass sich die Importe verteuern.
Mehr Inflation in Europa
Euro-Land bleibt also bei der Pro-Inflationspolitik. Es ist der Fluch der bösen Tat, der jetzt Christine Lagarde und ihre Runde einholt. Gesetzlich hat die EZB nur eine Aufgabe: die Stabilität des Euro zu sichern. Das und nur das ist ihre Aufgabe. Aber längst hat sich die EZB zu einer Art gesamteuropäischen Planwirtschaftsbehörde aufgeschwungen. Sie entscheidet über die Schuldenpolitik der Staaten, indem sie deren Anleihen aufkauft und damit höhere Verschuldung ermöglicht – dies zu bremsen traut sie sich nicht mehr.
Die EZB hofft, über lockere Geldpolitik das schwächelnde Wirtschaftswachstum in Europa zu stimulieren. Das ist ihr kaum gelungen – jetzt hat sie Angst davor, die Wirtschaft ganz abzuwürgen. Außerdem faselt Lagarde immer vom „Green Deal“ – wie die gesamte EU soll Geld in unwirtschaftliche „grüne“ Projekte gelenkt werden, an denen Politik-Spezl verdienen und die sich zu normalen Bedingungen nicht finanzieren lassen, weil sie von vornherein unwirtschaftlich sind und nur zur Selbstbedienung der grünen Cliquen einladen.
Die Inflationsbekämpfung, ihre eigentliche Aufgabe, das traut sich die EZB nicht mehr zu. Weiter steigende Inflationsraten werden daher in den kommenden Monaten der Fluch sein, der den bösen Taten der EZB folgt. Jetzt ist sie halt da, die Inflation – und sie ist gekommen, um zu bleiben.