Die Deutschen sind unermesslich reich: Die sagenhafte Summe von 618,2 Milliarden Euro lagert in Guthaben auf Sparbüchern und in Form von Drei-Monats-Geldern.
Die Bevölkerung wird immer wohlhabender – allein seit Ende 2008 nahm dieser Betrag um über 80 Milliarden zu. Das ist die eine Seite der Medaille; diese Zahlen werden gerne herumgezeigt, wenn über Vermögensteuer nachgedacht, die Erbschaftsteuer eingefordert oder generell über Steuererhöhungen fabuliert wird. Die andere Seite der Medaille ist: Die Deutschen sparen wie verrückt – und werden immer ärmer. Denn die Verzinsung dieser Guthaben ist jämmerlich – sie liegt irgendwo zwischen 0,5 und zwei Prozent. Wenn man von den mageren Erträgen die Quellensteuer von maximal 28 Prozent abzieht und Gebühren subtrahiert, dann entfaltet sich eine ziemlich traurige Landschaft – bei einer Euro-Inflationsrate von derzeit 2,4 Prozent schmilzt die Kaufkraft von Monat zu Monat dahin wie der letzte Schneehaufen in der Märzsonne.
Andere Anlageformen hellen das triste Bild einer fürs Alter freiwillig verarmenden Bevölkerung nicht auf: Der Garantiezins für Lebensversicherungen wurde gerade auf magere 1,75 Prozent abgesenkt. Dabei wissen Spezialisten, dass auch das noch schöngerechnet ist – tatsächlich bleiben nach Abzug der Abschlusskosten nur ein gutes Prozent für den Versicherten garantiert. Die staatlich bürokratisierte, zertifizierte und kontrollierte Riester-Rente hat noch keine sieben fetten Jahre hinter sich gebracht und ist schon bei den mageren angelangt – die Realverzinsung wird in den meisten Fällen negativ sein. Und die gesetzliche Rentenversicherung, das, worauf die Deutschen vertrauen, weil sie der Spekulation entzogen ist und vom Zinsfuß nicht getreten werden kann, ist für die Jüngeren das wohl brutalst denkbare Zuschussgeschäft: Die Rechnung, wonach immer weniger Berufstätige immer mehr Rentner unterstützen müssen, geht nur durch eine Umverteilung von Jung zu Alt auf, man mag es schönreden, wie man will. Es gilt die regierungsamtliche Bankrotterklärung durch Gerhard Schröder, dass die gesetzliche Rentenversicherung den Lebensstandard im Alter nicht mehr gewährleisten kann. Der deutsche Sparer gleicht dem Sisyphos der griechischen Sage, der spart und schleppt, und doch rollt der Euro immer wieder ins Minus.
Lange galten ja die Deutschen als ein Volk, dem die Angst vor der Inflation genetisch vererbt wird. Diese Angst haben die Deutschen wohl verloren, sonst würden sie deren flotten Anstieg in ihr Kalkül einbeziehen.
Dabei gibt es ja durchaus auch Lichtblicke. Deutsche Aktien haben sich im vergangenen Jahr solide entwickelt. Eine generelle Kursverdoppelung hat das Tief nach der Lehman-Pleite annähernd ausgebügelt, steigende Unternehmensgewinne lassen den Heller im Kasten klingen. Meist allerdings nicht in Deutschland – die Deutschen arbeiten, aber die Zahl der heimischen Aktionäre sinkt und sinkt. Freiwillig überlassen wir die kapitalen Früchte unserer Arbeit ausländischen Aktionären und vertrauen auf die Almosen der staatlichen Rente – der gesicherte Karriereweg für den Hungerkünstler im Alter.
Es ist wohl das Trauma, das uns der famose Doktor Ron Sommer mit seiner Telekom-Aktie beschert hat. Seither gilt die Aktie wieder als Teufelszeug, der Aktionär als Zocker (im Verlustfall) oder als Gierhals (wenn’s klappt), und jede Bank als Spielhalle. Eine seltsame, antikapitalistische und an die Dreißigerjahre des vorigen Jahrhunderts erinnernde Rhetorik greift Platz; braucht ein Politiker oder Leitartikler Beifall, schimpft er auf den „Spekulanten“, der wahlweise für steigende und fallende Preise, für Knappheit und Überfluss, jedenfalls für alles Böse verantwortlich gemacht wird.
Es ist ein seltsam paradoxer Zustand: Die deutsche Wirtschaft gilt weltweit wieder als Vorbild für wirtschaftliche Leistung – aber die Deutschen wollen an ihrem eigenen Erfolg nicht mehr teilnehmen.
(Erschienen auf Wiwo.de am 26.02.2011)