„Es geht um Privatarmeen, Militärgerichte und Wahrsager“, formulierte ein Jahr, nachdem der Putsch niedergeschlagen worden war, beispielsweise der Bonner Generalanzeiger und ähnlich viele andere Medien. War Deutschland in unmittelbarer Gefahr, die nur durch das schnelle und konsequente Zugreifen der Sicherheitsbehörden gebannt werden konnte? Auf hunderttausenden Seiten soll der Generalbundesanwalt das Geschehen zusammengefasst haben. TE sprach darüber mit Thomas Tschammer. Er ist der Pflichtverteidiger von Prinz Reuß in dem Prozess, der angeblich gleich an drei Verhandlungsorten im kommenden Frühjahr beginnen soll.
Tichys Einblick: Seit ziemlich genau einem Jahr sitzt Prinz Reuß in Untersuchungshaft. Ist es üblich, so lange in U-Haft zu verbringen?
Thomas Tschammer: So lange U-Haft-Zeiten sind absolut unüblich und wären nur gerechtfertigt durch einen hohen Prozessaufwand. Der Generalstaatsanwalt hat 25.000 Seiten Akten angelegt, dazu kommen Datenträger, die die Verteidigung noch nicht hat, was bedeutet, dass die Bearbeitung noch nicht abgeschlossen ist.
Gibt es eine Obergrenze für die Dauer einer U-Haft?
Es kann sicherlich noch ein Jahr ohne Probleme gehen. Sobald der Prozess angefangen hat, wird der Angeklagte in Haft gehalten, falls nicht die Haftgründe entfallen.
Im Fall Ballweg reichte es nach 9 Monaten nicht einmal für eine Anklage, befand das zuständige Gericht in Stuttgart. Dauer spricht also nicht dafür, dass Vorwürfe an Gewicht gewinnen.
Das ist auch hier so der Fall, aber ich rechne nicht damit, dass das Verfahren ohne Anklage beendet wird.
Warum das?
Es wäre für den Generalbundesanwalt höchst blamabel, wenn die Gerichte eine Anklage nicht zulassen würden. Das würde bedeuten, dass grob fehlerhaft gearbeitet wurde. Das möchte ich dem Generalbundesanwalt derzeit noch nicht unterstellen.
Gibt es einen „rauchenden Colt“, also eine offensichtliche Beweislage?
Dazu weiß ich noch nicht genau, was letztlich die Anklageschrift beinhaltet. Sicher kann ich sagen, dass Deutschland zu keinem Zeitpunkt in Gefahr war. Hierzu fehlt es, wenn man einen Putschversuch unterstellt, an den dafür notwendigen Strukturen, Personal, Bewaffnung, Logistik.
Es gibt keine geheimen Panzer-Depots und Jet-Hangars sowie abmarschbereite Divisionen, die man für einen bewaffneten Umsturz bräuchte?
All das gibt es nicht. Was es gibt, ist ein Krummdegen aus dem 13. Jahrhundert und eine Armbrust ohne Pfeile aus dem 14. Jahrhundert, zumindest bei Prinz Reuß. In ganz begrenztem Umfang sind in einer schon vom Großvater verschlissenen Truhe Jagdmunition verschiedener Kaliber gefunden worden. Für einen Putschversuch sind sie eher ungeeignet.
Gab es auch Gewehre?
Beim Prinzen nicht.
Warum sagen Sie „beim Prinzen“? Bei anderen schon?
Er ist mein Mandant, ich spreche nur für ihn. Ansonsten gab es legale Waffenbesitzer, so eine Jägerin, die zwei, drei Gewehre besitzt und einen Händler für Jagdwaffen. Diese sind allerdings für kriminelle Zwecke oder Planungen nicht verwendet worden.
Wie kann der Vorwurf eines Putschversuchs bewertet werden? Was macht einen Putsch aus?
Das verstehe ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Ich halte den Vorwurf für falsch. Zu einem strafbaren Versuch gehört das unmittelbare Ansetzen zur Tat. Für die Feststellung dafür bräuchte man eine Verabredung, einen Zeitplan und Organisation sowie geeignete Mittel und Geld für die Ausführung. An all dem fehlt es.
Nun gab es wohl ein Grundverständnis, dass der Tod von Königin Elisabeth II. als eine Art überirdisches Signal für den richtigen Zeitpunkt verstanden werden sollte, jedenfalls von der angeblich eingebundenen „Hof-Astrologin“. Der unmittelbare Ansatzpunkt scheint damit gegeben gewesen zu sein?
Ein solches Grundverständnis gab es nicht. Ich kenne den Vorwurf. Sollten sich tatsächlich Personen von solchen Ereignissen zu irgendwelchen Handlungen beeinflussen lassen, halte ich das für einen Beleg vollendeter Absurdität.
Es ist die Rede von 160 Kilogramm Gold im Wert von ca. 8 Millionen Wert. Kann man damit putschen?
Mein Mandant ist ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann. Das ist sein Privatvermögen und hat nichts mit kriminellen Machenschaften zu tun. Selbst 8 Millionen Euro oder Dollar wären auch viel zu wenig. Wobei, wir haben noch keinen Vorwurf in Form einer Anklageschrift und insoweit ist das Spekulation.
Für den Vorwurf des Hochverrats braucht man also eine Verabredung, einen Zeitplan und Organisation, Mittel und Geld. Eine Verabredung wenigstens soll es ja gegeben haben.
Das bezweifle ich im Sinne eines unmittelbaren Ansetzens. Ich denke, dass ich nach vorläufiger Aktenkenntnis sagen kann, dass es sich um theoretische Überlegungen handelt.
Sind solche Überlegungen wie „Man müsste diese Regierung beseitigen, notfalls mit Gewalt“ strafbar oder durch unseren Freiheitsbegriff, der dummes Gerede erlaubt, gedeckt?
Den Freiheitsbegriff darf man nicht zu eng auslegen. Überlegungen müssen erlaubt bleiben.
Konkret geht es über das Stammtischgerede und Geschwätz verbitterter älterer Herrschaften hinaus?
Nach Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft ja. Ich habe da meine Zweifel.
Was ist das Gedankengebäude der vermeintlichen Putschisten?
Die Reichsbürgerbewegung, die nicht hierarchisch gegliedert ist, eint der Gedanke, dass die Bundesrepublik Deutschland nicht rechtskonform gegründet wurde. Sie sagt im Wesentlichen, dass wir keine Verfassung haben, was auch stimmt, wir haben ein Grundgesetz, das diese Verfassung ersetzt. Diese Tatsache wird von den Reichsbürgern nicht als solche hinreichend anerkannt. Entscheidend sei, dass es keinen Friedensvertrag mit den USA, den Alliierten und der Sowjetunion gäbe. Dies nachzuholen scheint für die Reichsbürger elementare Voraussetzung zu sein, den Staat zu akzeptieren. Hierüber kann man im Zuge eines Juristenseminars nachdenken.
Genauso richtig ist, dass aber Tatsachen geschaffen wurden, die diese Gedanken überholen.
Aber es gibt Deutschland doch. Der Staat existiert mit allen Organen, ist international anerkannt und niemand außerhalb dieser seltsamen Gruppe stellt seine Existenz grundsätzlich in Frage, nicht einmal seine erklärten Feinde. Wirre Paragraphenreiterei und Rechthaberei?
Der Eindruck herrscht zu Recht vor.
Diese Reichsbürgerideologie erinnert tatsächlich an dilettierende Juristerei von Menschen, die nicht ganz aus dem Völkerrecht kommen. Ist mangelnde Kenntnis des Völker- und Staatsrechts schon ein Haftgrund?
Ich denke nicht. Es geht darum, den Beteiligten nachzuweisen, dass die unmittelbar geplant haben, eine Straftat zu begehen, sie unmittelbar dazu angesetzt haben und die tatsächlichen Voraussetzungen für einen Erfolg geschaffen haben. Hiervon kann keine Rede sein. Die wenigen in U-Haft sitzenden Personen waren weder materiell, strukturell noch personell in der Lage, auch nur eine Gefährdung für einen Umsturz herbeizuführen. Darüber hinaus wird der Prozess ergeben, dass diese Gruppe engmaschig vom Verfassungsschutz und den Kriminalämtern überwacht wurde. Die Behörden waren über jeden Schritt informiert.
Sitzen auch V-Leute im Gefängnis?
Das ist mir nicht bekannt. Bei Treffen dieser Gruppe saß die Polizei am Nebentisch, kontrollierte Autonummern und hat Gespräche mitgeschnitten.
Wie muss man sich so eine U-Haft vorstellen? Wie groß ist die Zelle?
Da sind Bett, Tisch und Waschbecken, eine normale Gefängniszelle eben, klein und beengt. Es ist für jeden eine unvorstellbare Belastung.
Gibt es Besuche, Kontakte? Wie erfolgt die Kommunikation mit Ihnen?
Es gab Besuch aus der Familie unter Bewachung. Die Kommunikation mit den Verteidigern erfolgt – vollkommen unüblich – durch eine Panzerglasabtrennung. Es ist also unmöglich, Papiere direkt auszuhändigen, Notizen auszutauschen oder Akteninhalte zu besprechen. Es funktioniert so, dass der Gefangene einen Computer hat, der Anwalt einen Computer hat und beide versuchen, gleichzeitig den Akteninhalt aufzurufen und darüber zu sprechen. Die Verständigung ist mitunter schwierig, denn auf beiden Seiten der Glasscheibe befinden sich Lochleisten. Dies führt zu einer Verzerrung der Sprache, sodass die Kommunikation erheblich erschwert wird.
Ist dieser Sicherheitsaufwand üblich?
In normalen Prozessen absolut unüblich. Es ist auch in diesem Fall nicht nachvollziehbar, dass alle Verteidiger eine strenge Kontrolle passieren müssen, in der nach Waffen, Kassibern und unerlaubten Gegenständen kontrolliert wird.
Wir dürfen den Gefangenen nicht einmal ein Plätzchen reichen zur Weihnachtszeit. Derartige Beschränkungen der Verteidigung wurde in den RAF-Prozessen eingeführt. Damals war die Situation insofern anders, weil die RAF bereits zahlreiche Morde und Sprengstoffanschläge durchgeführt hatte und ihre Gefährlichkeit unbestritten war. Als weitere Maßnahme belastet die Verteidigung, dass sämtliche Schriftsätze, die wir postalisch hin und her schicken müssen, von einem Richter gelesen werden. Das empfindet die Verteidigung als unerträglich.
Die ungestörte Kommunikation zwischen dem Gefangenen und seinem Anwalt scheint hier gefährdet.
Wann rechnen Sie mit der Anklage?
Dem Vernehmen nach ist mit Anklageerhebung spätestens im Frühjahr kommenden Jahres zu rechnen.