Es gibt viele schlechte Reden, und es gibt schlechte Reden am falschen Ort und zum falschen Anlass. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat es geschafft, alles falsch zu machen. Der Ort, die bayerische Kopie des Schlosses von Versailles, ist falsch; der Verfassungskonvent, der das Grundgesetz entworfen hat, tagte dort aus schierer Not. Es gab nicht viele Räume im zerbombten Deutschland. Nicht der falsche Prunk des Schlosses war die erwählte Kulisse, sondern die schiere Not – und die Nähe zu den US-Besatzungsmächten.
Kopiertes Schloss, falscher Präsident
So, wie das Schloss eine verspätete Kopie ist, so stolzierte der Präsident durch die Talmi-Pracht wie die schlechte Kopie eines Präsidenten. Der Zeitpunkt hätte gefordert, über das Grundgesetz nachzudenken und darüber, wie es wieder an Achtung und Ansehen gewinnen könnte, nachdem es in der Corona-Zeit so verächtlich beiseite gestoßen wurde wie eine nass gewordene Zeitung in die Mülltonne, die nicht mal im Altpapiercontainer landete.
Man hat die Bilder nicht vergessen, wie Demonstranten niedergeprügelt wurden, weil sie das Grundgesetz vor sich hergetragen haben. „Die Beamten können nicht den ganzen Tag mit dem Grundgesetz unter dem Arm herumlaufen.“ Für diesen Satz von Anfang September 1963 wurde der damalige Bundesminister des Innern Hermann Höcherl massiv kritisiert. Anlass: Das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte unter Verstoß gegen das Telefongeheimnis des Grundgesetzes Telefonabhörmaßnahmen durch alliierte Dienststellen vornehmen lassen.
Während der Corona-Zeit war es gefährlich, das Grundgesetz mit sich herumzutragen; wesentliche Grundrechte, die angeblich einer Ewigkeitsgarantie unterliegen, wie das Recht der unversehrten Wohnung, der Berufs- und Bewegungsfreiheit, waren schließlich außer Kraft gesetzt und wurden nur widerwillig „zurückgegeben“, wie Bayerns Ministerpräsident Markus Söder erläuterte. Das Grundgesetz nicht als Abwehrrecht des Bürgers gegen den Staat, sondern nur noch als ein unverbindlicher Gnadenakt der Regierung, der gewährt werden kann wie ein Pudding im Kindergarten oder eben auch nicht – das wären Themen gewesen, die ein richtiger Präsident in einer guten Rede am richtigen Ort zum richtigen Zeitpunkt hätte behandeln können.
Wer falsch wählt, ist kriminell
Stattdessen ging Steinmeier noch einen Schritt weiter: Wer eine Partei wählt, die ihm und seinen Applausfreunden nicht gefällt, wird kriminalisiert. Anders ist sein Satz nicht zu verstehen: „Kein Wähler“, so Steinmeier, könne sich „auf mildernde Umstände herausreden, wenn er sehenden Auges politische Kräfte stärkt, die zur Verrohung unserer Gesellschaft und zur Aushöhlung der freiheitlichen Demokratie beitragen.“
Nun ist es ganz einfach: Ob eine Partei verfassungsfeindlich ist, entscheidet das Bundesverfassungsgericht, und bekanntlich hat es 1952 die schon dem Namen nach neonazistische Sozialistische Reichspartei (SRP) verboten und 1956 die offen mit Gewalt verfassungsfeindlich tätige KPD.
So ein Verbot liegt gegen die AfD nicht vor und wurde noch nicht einmal beantragt. Bis zum Verbot hat sie alle Rechte einer demokratischen Partei, und zwar unabhängig davon, ob man sie mag oder nicht mag, sie fürchtet oder nur um seinen gepolsterten Sessel im Bundestag oder in einem Regierungsamt bangt.
Ihre Wähler mit Begriffen des Strafrechts, und nur da sind „mildernde Umstände“ relevant, ebenfalls in die Grauzone krimineller Handlung zu drängen, bloß weil sie ihr Kreuz an einer Stelle gemacht haben, die dem Präsidenten nicht gefällt: Das ist nicht schäbig – das ist offen verfassungsfeindlich, Herr Präsident. Aber natürlich hat er das nicht so einfach daher gesagt. Am Donnerstag formuliert, war es im gedruckten Spiegel schon zu lesen, und wie es sich für die Hofmedien gehört, setzen sie noch einen obendrauf und forderten ein Verbot der AfD. Das habe ja auch der Präsident gemeint; nur: „Deutlicher darf der Präsident, der über den Parteien steht, kaum werden.“
Die Jagd ist eröffnet, die Meute geifert, etwa Axel Steier, Chef der Schlepper-Organisation „Mission Lifeline“, der Deutschland mit der Zuführung von „Flüchtlingen“ aus Afrika endlich von dieser Dominanz der „Weißbrote“ befreien will. Das darf er heute als einer, der für das Außenministerium Afghanen das Flugticket nach Deutschland aushändigt; auch jeder Afghane ist ja einem Einheimischen vorzuziehen in dieser kruden Logik, die man ruhig als halbamtlichen Rassismus bezeichnen kann: „Im Land der Täter*innen sollte es kein Tabu sein, die AfD zu verbieten & das Führungspersonal einzusperren. Auch wenn dadurch 20-40% der deutschen Wähler*innen um ihre ‚Meinung‘ gebracht werden, die Verfolgung von Nazis ist nach wie vor ein Dienst an der gesamten Menschheit“.
Schon fordern sie wieder Lager für Anderswählende
Nun ist es raus: Der Präsident gibt sich besorgt, der Spiegel ruft auf zur Jagd und das Fußvolk des Berliner Präsidialamts will wieder Lager für unerwünschte Politiker einrichten. Man muss es Hatz und Hetze nennen; und Ausgangspunkt also ist das Jubiläum der Verfassungsgebung. 75 Jahre hat es gedauert, um das Postulat von Freiheit und Toleranz in eine Forderung nach Unfreiheit und Intoleranz bis hin zum Einsperren umzuformen.
Demokratie, Versammlungs- und Organisationsfreiheit und die unbeeinflusste Wahl sind genau das: unverzichtbare, ewige Grundrechte. Nicht nur um die AfD geht es, sondern um Wähler, die „falsch“ wählen, wobei der Bundespräsident neuerdings über falsch und richtig richten will. So ein Präsident steht nicht mehr auf dem Boden des Grundgesetzes.
Nun könnte man sich darüber aufregen und mit gutem Recht seinen Rücktritt fordern. Der Ton der Regierenden, die um alles in der Welt ihre feinen Pöstchen vor dem Wähler schützen wollen, wird immer schriller. Es ist aber der Ton der Hilflosigkeit.
Glaubt man den Umfragen, und das sollte man vorsichtshalber nur bedingt tun, dann wäre die AfD heute die stärkste Partei; denn die CDU kann diesen Titel nur mit den Gnadenstimmen ihrer Fraktionsgemeinschaft mit der CSU im Deutschen Bundestag verteidigen.
Spielt hier wirklich jemand mit dem Gedanken des Verbots einer unliebsamen Partei? Die Lager, die des Präsidenten Scharfmacher fordern, werden wieder groß werden. Sie sind wohl als letztes Mittel gedacht, weil Ausgrenzung doch nicht so gut funktioniert hat. Die Ausgrenzung hat ja nicht einmal im Deutschen Bundestag funktioniert, wo man der AfD Vorsitze in Ausschüssen und einen Vizepräsidenten vorenthält. Das ist natürlich empörend – aber vielleicht sogar demokratiefördernd. Denn so wird vermieden, dass die AfD es sich zu schnell bequem macht im Parteienstaat. Sie wird vielmehr in die Fundamentalopposition getrieben und kann jederzeit mit dem Finger auf die Musterdemokraten zeigen, deren Grundgesetz immer öfter nur noch ein Muster ohne Wert ist.
Das Lager der Ausgegrenzten wächst und organisiert sich
So wird die Spaltung vorangetrieben und jetzt auf die Wähler ausgeweitet. Die Anzahl der Nichtwähler nimmt ohnehin zu. In den Großstädten geht häufig nur noch jeder Dritte zur Wahl. Früher fürchtete man solcherart Demokratieverdrossenheit – die stets Politikerverdrossenheit war – , heute wird sie zur Rettung geradezu herbeigesehnt: besser keine Stimme als eine Stimme für die Falschen. Die Politikerverdrossenheit droht sich zur Staatsverdrossenheit auszuwachsen.
Gerade während der Corona-Zeit waren „Ungeimpfte” und Zögerliche oder Nachdenkliche einer ungeheuerlichen Beschimpfung, Bedrohung und Ausgrenzung ausgesetzt. Das haben diese Bürger nicht vergessen. Sie sind nicht unbedingt deckungsgleich mit den Wählern einer Partei; es sind Rechte, Linke, Grüne, Gelbe, Rote und Schwarze darunter. Parteibücher schützen nicht vor Impfschäden. Links-Liberale wie der Innenpolitiker der Süddeutschen Zeitung, Heribert Prantl protestierten dagegen wie die im linken Lager verfemte Ulrike Guérot.
Ihre provokative Frage wurde bislang nicht beantwortet: „Wie wollen wir eigentlich leben? Nach zwei Jahren Pandemie, in zermürbten Gesellschaften, verformten Demokratien, polarisierten Debatten, erschöpfen Volkswirtschaften und eingeschränkten Freiheitsrechten, liegt diese Frage mitten auf dem europäischen Tisch! Nicht alle wollen einem Virus nicht noch ein demokratisches System hinterherschmeißen, und die ihre Freiheit nicht für eine vermeintliche Sicherheit verspielen wollen.“
Was den Impfzögerern widerfahren ist, erleben jetzt viele, die sich nicht uneingeschränkt auf die Seite der Ukraine stellen, sondern es wagen, Fragen zu formulieren, wenigstens das. Dass die Friedensproteste leise sind, sagt nichts darüber aus, dass sie nicht vorhanden wären. Aber Teilnehmer an Ostermärschen heute, die solche Kritik formulieren könnten, hätten viel zu befürchten: Ruf, soziale Existenz, Broterwerb.
Ablenkung von ernsthaften Fragen
Die Liste lässt sich beliebig verlängern. Nicht alle Bürger glauben an die unbedingte Notwendigkeit eines „Hitzeschutzplans” – noch dazu im Pulli-Juli oder Regen-August. Sie hängen vielfach eher der Meinung nach, ein Gesundheitsminister solle sich um die Beschaffung und Versorgungssicherheit von Medikamenten kümmern, die Finanzierung von Krankenhäusern und die Bewahrung von Pflegefällen vor dem Konkurs ihrer Heime.
Aber Steinmeier, sein Parteifreund Olaf Scholz und der dilettierende Experimental-Klimaminister Robert Habeck reden lieber von angeblich erfundenen, geschürten oder übertriebenen Ängsten. Angst allerdings ist real. Gut bezahlte Jobs schwimmen den Bach hinunter, die verfügbaren Einkommen schrumpfen wegen immer neuer Steuererhöhungen, die als solche nicht benannt werden dürfen, wegen der Inflation, die es angeblich nicht gibt, und wenn doch, dann aber zumindest nicht in der Höhe, wie man sie jeden Tag im Supermarkt erlebt. Die Zahl der Insolvenzen steigt sprunghaft ebenso wie die der Zwangsversteigerungen und Notverkäufe. Menschen verlieren ihren Job, ihr Heim, ihr kleines bisschen Wohlstand und jede Sicherheit.
Steinmeier und seine Berliner Blase perfektionieren in ihrer Angst vor dem Wähler die Ausgrenzung, und werden dabei schlagzeilenkräftig von den zuarbeitenden Hofmedien unterstützt, die am liebsten gleich diese ganze Demokratie abschaffen wollten, damit sie endlich ungehindert „durchtransformieren“ können. Bürger stören ja dabei nur, wenn es um die Umsetzung unausgegorener, infantiler, menschen- und wirtschaftsfeindlicher Pläne wie den der totalen Wärmepumpesierung geht oder um die Auflösung biologischer Grundtatsachen exklusiv im Geltungsbereich des Grundgesetzes, wo der Mann zur Frau wird oder umgekehrt, gerade wie es ihnen heute gefällt.
Das Dumme ist nur: Die Ausgrenzung wirkt. Aber anders als gedacht. Die Ausgegrenzten sind über die Jahre immer mehr geworden und es handelt sich mitnichten noch um eine zu vernachlässigende Minderheit (die „Lager” müssten recht groß werden). Dabei werden diejenigen, die drinnen bleiben im beheizten Amt, immer weniger. Und auch aus diesem Club bricht jeden Tag eine kleine Insel ab, denn irgendwann wird jede noch so kleine Kritik mit Ausschluss quittiert.
Die Abwendung von den staatsnahen Medien
Vermutlich ein Drittel der Bürger liest einfach nicht mehr diese von der Regierung immer wärmstens empfohlenen Zeitungen und meidet die zwangsfinanzierten Sender. Es bilden sich neue Vereine, Verbände, Medien, Parteien, Organisationen, Freundschaften und Netzwerke. Es ist in den wenigsten Fälle nur noch eine innere Emigration. Es ist vielmehr die Migration in eine andere Welt, in der man noch atmen kann. Die Verzweiflung der Ausgegrenzten ist meist von kurzer Dauer; man richtet sich ein oder setzt eine Tarnkappe auf, wenn man die Welt der Konformen aufsucht.
Die Verzweiflung der Ausgrenzer ist es, der Steinmeiers und ihrer Medien, deren Angst wächst und führt zu solchen Ausbrüchen wie auf Schloß Herrenchiemsee, die Einbrüche sind. Es laufen ihnen die Anhänger weg, trotz der vielen lukrativen Pöstchen in immer neuen NGOs, trotz immer neuer Leckerlis fürs Denunzieren und das flotte Befolgen von Befehlen wie: Sitz! Gib Pfötchen! Sie versuchen, sich ein neues, ein besseres Volk zu basteln, während ihnen dieses in immer größerer Zahl immer schneller abhanden kommt. Das geht mal leiser, mal lauter vor sich. Wer regt sich noch über Steinmeier auf?
Frank-Walter Steinmeier ist bald allein zu Hause im Schloss.