Demnächst wird Platz frei in den Zeitschriften-Regalen am Kiosk. Das ehemals führende Zeitschriftenhaus Gruner+Jahr stellt zahlreiche Titel ein – zukünftig müssen Eltern ohne den Titel „Eltern“ auskommen und Barbara Schöneberger ohne eigenes Magazin. Die Todesliste umfasst:
Barbara, Brigitte Woman, Brigitte Wir, Brigitte Leben!, Brigitte Be Green, Brigitte Mom, Chefkoch (Print), Eltern (Print), Eltern Family, GEO Saison, GEO Kompakt, GEO Wissen, GEO Wissen Gesundheit, GEO Wissen Ernährung, GEO Epoche, GEO Epoche Edition, GEO Epoche Panorame, GEO Walden, GEO Wohllebens Welt, Guido, Guidos Deko Queen, Stern View, Stern Gesund Leben.
Es sind viele bunte Blätter und Titel. Aber das ist noch nicht alles.
11 Freunde, 11 Freunde Shop, Art, Beef, Business Punk, Essen und Trinken, Essen und Trinken: Für jeden Tag, Essen und Trinken: Für jeden Tag Low Carb, Einfach Hausgemacht, Flow, Land & Berge, Landlust, Landlust Zuhaus, Landlust Auf Reisen, Living At Home, Living At Home Spezial, Living At Home Edition, P. M., P.M. Fragen & Antworten, P. M. History, P. M. Logik Trainer, Salon, Verlagsgruppe Deutsche Medien Manufaktur.
Einiges will RTL behalten, der Bertelsmann-TV-Konzern, der jetzt auch Zeitschriften des Bertelsmann-Konzerns macht. Der Stern bleibt, Brigitte und das kriselnde Capital sowie GEO. Ob der Rest wirklich Chancen hat? Fraglich. Das ist die Liste der gerade noch mal davon gekommenen: Couch, Chefkoch (Digital), Eltern (Digital), GEO, GEO Lino, GEO Lino Mini, Gala, Häuser, Schöner Wohnen, Stern Crime.
Das Sterben geht weiter
Schon warnt der Branchen-Dienst „Meedia“ vor einem „Menetekel“ für die ganze Branche. Die Angst ist verständlich: Internet und geändertes Medienverhalten setzen den bunten Blättern zu. Aber im Falle Gruner+Jahr und RTL ist es verbunden mit doppeltem Versagen: dem Versagen des Managements wie dem der Journalisten.
Der Reihe nach. Der Stern war die eigentliche Keim-Zelle des Konzerns. Fast alles, was da drumherum wucherte und wuchs, waren mehr oder weniger Abspaltungen wie das Reise-Heft GEO. In guten Jahren um die Jahrtausendwende stand der Stern für die Hälfte des Konzernumsatzes und Gewinns. Der Erfolg schien eine geniale Management-Leistung zu sein. G+J beherrschte den Markt der bunten Anzeigen; aus dem Stern heraus wurden immer neue Kombinationen angeboten, bei denen für die kleineren Blätter auch noch was abfiel. Die Auflage gipfelte bei 1,2 Millionen Heften jede Woche; so prall mit Anzeigen waren manche Hefte wie beispielsweise Capital, damals fast 400.000 verkaufte Hefte, dass sie nicht mehr in die Briefkastenschlitze passten. Deswegen wurde Capital zweimal monatlich ausgeliefert.
Die geheimen Profiteure von ARD und ZDF
Bei Gruner+Jahr fühlte man sich unangreifbar. Und expandierte. Nach Italien, Frankreich, Spanien, nach Großbritannien, in die USA. Die Deutschen schienen die Meister des Magazin-Journalismus zu sein, während die großen US-Titel wie TIME und Newsweek schon verkümmerten und Life längst krepiert war – legendäre Titel, die Robert Capa legendäre Fotos des im Sturmlauf erschossenen Soldaten im Spanischen Bürgerkrieg oder jene Bilder vom „D-Day-Omaha-Beach“ publizierten – der Fotograf inmitten von ertrinkenden, um ihr Leben im Kugelhagel kämpfenden GIs bei der Landung in der Normandie. Daran hatte sich Stern-Gründer Henri Nannen orientiert, als er von den britischen Besatzungsbehörden die Lizenz für die Jugendzeitschrift „Koralle“ erhielt, die zum Stern mutierte.
Der Stern erschien als Erbe der Bilderblätter, eine globale Erfolgsgeschichte. Das G+J-Management wie Anteilseigner Bertelsmann hatten nur so ein klitzekleines Detail übersehen. Nicht ihre begnadete Management-Kompetenz und nicht die Klasse der Stern-Journalisten waren entscheidend. Vielmehr die Konsumgüterindustrie, die nach Werbemöglichkeiten suchte. In den USA fand sie die im Fernsehen.
Mit RTL und Sat1 und Pro7 auf der Bühne allerdings war’s schnell vorbei mit Glanz und Gloria. Der Gott Mammon hatte Gruner+Jahr groß gemacht und dann wieder klein.
Journalistische Fehler zuhauf kamen dazu. Der Stern publizierte mit Riesen-Aufschlag 1983 die Hitler-Tagebücher: eine Lachnummer. Stümperhaft gefälscht und doch ausreichend, um die nach Geld und Ansehen gierende Verlags- und Redaktionsleitung zu leimen. Aber nicht nur um diesen Flop geht es. Der Stern war Kind der Bonner Republik. Man publizierte Enthüllungsgeschichten vornehmlich über CDU-Politiker wie den früheren Bundespräsidenten Heinrich Lübke, der angeblich KZ-Baracken geplant haben sollte. Diese und andere Enthüllungen waren von der DDR unterstützt worden, mit gefälschtem Material. Glaubwürdigkeit aber ist die harte Währung des Journalismus.
Der Stern wie andere Hamburger Blätter bekämpfte die Wiedervereinigung. Als die da war, stand er abseits, hat in den „Neuen Bundesländern“ nie Fuß gefasst und beschränkt sich seither darauf, Sachsen als braunes Nest anzupöbeln. In den guten Zeiten konnte die Redaktion den Zeitgeist mit prägen und aufputschen – etwa mit dem Sensationstitel „Ich habe abgetrieben“. Die Geständnisse wurden gelesen, von Abtreibungsgegnern wie von Befürwortern. Aber diese Fähigkeit, den Zeitgeist auf die Seiten zu bannen, ging zunehmend verloren und schließlich unter wie die Bonner Republik: An ihrer gelegentlichen Bräsigkeit, den gewendeten Nazis, der Wiederaufrüstung und ihrer wohlhabenden Gemütlichkeit war sich gut reiben. Aber ohne Bonn war auch Hamburg plötzlich nur noch Provinz.
Der Stern und mit ihm die ganze Verlagsgruppe schwenkte unter Merkel auf Regierungslinie: Ob Energiewende oder Flüchtlingspolitik – der Stern war auf der Seite der vermeintlich Guten. Der Haltungsjournalismus, der nicht mehr faszinieren, aufdecken und anklagen will, sondern nachbetet, reproduziert und darstellt, was der Regierung gefällt, war geboren. Die Stern-Auflage fiel auf 200.000 dünne Heftchen mit wenigen Anzeigen. Capital wiederum feierte die T-Aktie und die darob dankbare Telekom verteilte die Zeitschrift. Nach dem Flop der Aktie hatte das Wirtschaftsmagazin sein Pendant zu den Hitler-Tagebüchern des Stern. Die Frauenzeitschrift Brigitte wurde mit der durchgesetzten Emanzipation gegenstandslos und weibliche Schönheit verdächtig, das Heft nur noch tantenhaft. Auch Zeitschriften altern, unbarmherzig. GEO zeigt schöne Bilder; goutiert von pensionierten Erdkundelehrern, die Anregung für die nächste Studienreise suchen. Aber die Jungen finden die angesagten Spots des Globus auf Instagram.
Papier statt digital – eine Formel ohne Ergebnis
Ja, das Internet. Gruner+Jahr hat es total verschlafen. Während Konkurrenz-Verlage wie Springer und Burda rechtzeitig auf digitale Medien setzten, verschnarchte die letzte G+J-Geschäftsführerin Julia Jäkel den Umstieg. Total, komplett und ohne Gnade. Die Konkurrenten Burda aus München und Springer aus Berlin schlagen sich um ein Vielfaches besser; mit eigenen Internet-Produkten und -Medien oder elektronischen Ausgaben der bestehenden Medien. Jäkel ließ sich zwar gern als Erfolgsmanagerin feiern und verpasste darob die Neue Zeit, berauscht von ihren eigenen Bildern. Das führt zu dem absurden Ergebnis, dass in den sozialen Medien selbst das Winzig-Unternehmen TE an Wirkung und Reichweite den Stern abgehängt hat. Schöne Bilder drucken reicht nicht mehr.
Das ärgerte die Manager aus Gütersloh. Bertelsmann war anders groß geworden, sparsamer. Schrittweise übernahmen die Controller Kontrolle und Mehrheit an Gruner+Jahr, bekanntlich siegen am Ende immer die Controller, ehe sie untergehen. Eine ihrer typischen Fehlentscheidungen: die Financial Times Deutschland (FTD), die letzte große Gründung von G+J. Das Blatt wurde später mit den Redaktionen von Capital, Börse-Online und Impulse zusammengelegt. Dass aus einer Gulaschkanone nur Gulasch kommt und nicht ein vielfältiges Menü, wollte den Kostenfüchsen nicht einleuchten. Auch Capital zehntelte seine Auflage, Impulse verschwand wie Börse-Online durch Verkauf, die FTD war nicht zu retten. Das Rezept hat nicht funktioniert – ein Grund, es in viel größerem Maßstab zu wiederholen.
Die weltgrößte Gulaschkanone
Denn zuletzt, ein Triumph des Controlling über Journalismus, übernahm Bertelsmann-Chef Thomas Rabe auch die Verantwortung für G+J und wollte die Zeitschriften, so er sie nicht abwickelt, mit RTL fusionieren. Da sind große Worte wohlfeil, schönstes Management-Kauderwelsch ohne Inhalt. Vom Masterplan, von Synergieeffekten, von ‚Cross-Media-Champions‘, von einem ‚Meilenstein in der Stärkung von Bertelsmann’ ist da die Rede. Den früheren GEO-Chefredakteur Peter-Matthias Gaede wundert es nicht, dass „Bauer sucht Frau“ nicht mit „Art“ zusammenpasst. Und Bohlen nicht mit „Geo Epoche“. Es habe wohl bei RTL jede Menge Gipfeltreffen auf der Suche nach den versprochenen Potenzialen zu einer Gemeinsamkeit gegeben. „Ergebnis: Ratlosigkeit“, konstatiert Gaede.
Von der Gulaschkanone hat Rabe nichts gelernt, sie nur viel größer gemacht und das Produkt endgültig ungenießbar.
Auch Zeitschriften wollen gepflegt sein. Zwischen Journalisten und Verlagsleuten besteht notorische Spannung – die einen wollten Geld ausgeben für ihre Leidenschaft, den Journalismus. Die anderen wollen Geld verdienen, meist ohne Verständnis für die Leidenschaft von Journalisten. Im besten Fall führt es zu einem ständig produktiven Streit. Denn ohne Moos ist auch im Journalismus nichts los. Im schlechtesten Fall, wenn Journalisten wie Verlagsleute versagen und der Markt Antworten erfordert, ist der Untergang unausweichlich. Wie bei Gruner+Jahr. Ach ja, und während die Zeitschriftenleute jammern, geht auch RTL in die Grütze. Auch dort werden 300 Mitarbeiter in die Wüste geschickt. Auch RTL hat ja jeden Charme verloren. Eine Abnudelmaschine ist zwar preiswert, aber wer will schon Gulasch im TV?