Teil 3 unseres Reports über Prämien, Protzautos und Vetternwirtschaft, über Misswirtschaft, Vorteilsnahme und Bestechung: Der Skandal um Missbrauch bei der Arbeiterwohlfahrt in Frankfurt und Wiesbaden wirft Fragen nach politischer Verantwortung auf. In Teil 1 ging es darum, wie die Millionen-Misswirtschaft der Arbeiterwohlfahrt aufflog. Teil 2 widmet sich der Verwicklung des Frankfurter Oberbürgermeisters Peter Feldmann, seiner Frau und der SPD in diesen Skandal. Teil 3 beschreibt das komplette Kontrollversagen, denn auch Staatsanwaltschaft und Finanzbehörden zögern bei der Aufarbeitung.
AWO-Funktionäre und die Rolle von Peter Feldmann
Bei einer so privaten Verbindung erscheint es unglaubwürdig, wenn Peter Feldmann nicht gewusst haben will, dass der Ford Focus mit dem Kennzeichen F-AW – für Arbeiterwohlfahrt – von der AWO gestellt wurde. Und zwar elf Monate lang, während Zübeyde Feldmann in Elternzeit war. Immerhin habe er den Dienstwagen seiner Frau „auch ab und zu selbst genutzt, um damit in den Römer zu fahren“, sagt Gräber. Volker Siefert ergänzt, dass der zwischenzeitlich zurückgetretene Geschäftsführer der AWO Frankfurt, Jürgen Richter, Peter Feldmann bereits vor seiner Wahl als kommenden SPD-Spitzenkandidat für die kommende Oberbürgermeisterwahl bei einem persönlichen Treffen vorgestellt habe. Bereits damals habe es offensichtlich einen Plan gegeben, den außer Jürgen Richter und Peter Feldmann nur wenige Menschen gekannt hätten, Peter Feldmann zum Oberbürgermeister aufzubauen. Mit dieser Information allerdings rückt Feldmann in das Zentrum des Geschehens, es geht jetzt um mehr, viel mehr als um einen Ford für seine Frau. Offensichtlich gelang es der AWO, Frankfurt mit einem Beziehungsgeflecht zu durchsetzen.
Staatsanwaltschaft und seine AWO-Dynastie im Fokus
16 Seiten seien es. Eine detaillierte Beschreibung verschiedener Verdachtsfälle der persönlichen Bereicherung der Schlüsselfiguren. „Die Summen, um die es jeweils geht, sind mal größer, mal kleiner. In der Gesamtschau erkennt man jedoch sofort ein klares Muster. Und da steht auch detailliert, nach was sie denn suchen müssten, wenn sie mal ermitteln wollen würden“, so Gräber. Erst im November habe die Staatsanwaltschaft dann offiziell bestätigt, dass inzwischen ein offizielles Ermittlungsverfahren gegen die Verantwortlichen der AWO Frankfurt eingeleitet worden sei. Wegen des Verdachts der Untreue und des Betrugs gegenüber der Stadt. Damals waren es zwei Beschuldigte, inzwischen könnten es mehr sein. Das Verwunderliche sei nun, so Gräber, dass trotz dieser langen Zeit bis heute noch keine offizielle Durchsuchung der Geschäftsräume der AWO stattgefunden habe.
„Wenn ich schon so eine detaillierte Strafanzeige bekomme, in der genau steht, nach was ich suchen muss, dann sichere ich mir doch zuerst einmal die Unterlagen“, mutmaßt Gräber. Stattdessen seien die Schlüsselfiguren, mit Ausnahme von Herrn Richter, heute noch im Amt und aktuell nach ihren eigenen Angaben mit der „Herstellung von Transparenz“ beschäftigt. Auch in der AWO selbst würden rechtschaffene Leute wissen, was da läuft und sich schon seit Jahren wundern, dass das alles gut geht. „Diese Leute sagen mir, wenn die Staatsanwaltschaft anrücken würde, die brauchen nicht zu suchen, sondern nur uns zu fragen. Wir zeigen denen, wo die Sachen stehen.“
Über Triantafillidis ist bereits bekannt, dass er als Anwalt für zwei Verträge betreffend Flüchtlingsheimen gegenüber der Stadt 182.000 Euro abgerechnet habe. „Diese beiden Personen kennen jetzt die Anzeige. Da frage ich mich, wie kann es sein, dass die Beschuldigten Kenntnis von der Strafanzeige und dem Ermittlungsstand erhalten, noch bevor die Staatsanwaltschaft selbst die Beweise gesichert hat“, wundert sich Gräber.
Gräber hat auch bei der Staatsanwaltschaft weiter gegraben. Und siehe, auch hier tauchen wieder Maschen des AWO-Netzwerks auf: Zumindest erwähnenswert, dass die für Wirtschaftsdelikte und Korruption zuständige Abteilung der Staatsanwaltschaft, in der auch die Ermittlungen geführt würden, von Ulrich Busch-Gervasoni aufgebaut und auch bis 2013 geleitet wurde. Dieser gilt als sehr guter Ermittler. Er stammt aus einer alteingesessenen SPD-AWO-Dynastie. Zudem ist er mit der SPD-Fraktionsvorsitzenden Ursula Busch, die früher selbst für die AWO gearbeitet hat, eng verwandt und Sohn des kürzlich verstorbenen SPD- und AWO-Urgesteins in Frankfurt Hans Busch. Man kennt sich jedenfalls – aber ist der im Wirtschaftsclub geäußerte Verdacht zulässig, Frankfurts politische SPD-Elite sei eine verschworene AWO-Familie? Das ist sicherlich übertrieben, auch wenn in manchen Fällen die Grenzen verschwimmen. Spätestens jetzt entstehen gefährliche Verschwörungstheorien.
SPD-Verstrickung bis ins Jahr 2000
„Mit diesem Beschluss war gemeint, dass man nicht mehr kontrolliert, wer bekommt mit welcher Qualifikation eigentlich welches Gehalt“, erläutert Volker Siefert. Und das sei dann genau so eingetreten. Dann war das der Durchbruch für die AWO-Spitze, praktisch unkontrolliert über diese Mittel zu verfügen, nur pro forma durch Familienmitglieder kontrolliert oder durch so parteiabhängige Kassenprüfer die Uili Nissen, die sich bekanntlich selbst für inkompetent erklärt hat. Dann war das die entscheidende Maßnahme, um die AWO im Gegenzug für die ihr unkontrolliert gewährten Mittel zu einem Selbstbedienungsladen der SPD umzufunktionieren.
So erhielt zum Beispiel auch die ehemalige Frankfurter Juso-Sprecherin Myrella Dorn bereits als Studentin ohne Abschluss auf einmal eine wohl mit jährlich 100.000 Euro dotierte Stelle als „Abteilungsleiterin Jugend“ bei der AWO. Heute sitzt Dorn für die SPD im Sozialausschuss des Frankfurter Stadtparlaments und ist an Entscheidungen beteiligt, die für die AWO wichtig sind.
Auch ein weiterer, juveniler Juso-Fürst, der sich um quere Politik verdient gemacht hat, und noch als Student an der evangelischen Hochschule in Darmstadt eingeschrieben ist, kommt auf rund 100.000 Euro Jahresgehalt. Sein Monatsverdienst lag im September 2018 bei 7.825 Euro brutto, ein Jahr zuvor bei 7.608 Euro. Zudem stellte die AWO ihm einen Dienstwagen zur Verfügung. Die Höhe seines Gehaltes rechtfertigt ein AWO-Sprecher gegenüber der Hessenschau: Die AWO Frankfurt wende grundsätzlich den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes an. „Jeder Dienstherr bzw. Arbeitgeber hat für die Beurteilung der Qualifikation eines Bewerbers oder einer Bewerberin zur Stellenbesetzung einen Ermessensspielraum“, erklärt der Pressesprecher.
Mit der Qualifikation ist es in der AWO so eine Sache: Während die der AWO-Abteilungsleiterin unterstellten 36 Mitarbeiter auf ihre Qualifikation hin geprüft worden seien, habe dies für die Abteilungsleiterin Myrella Dorn aufgrund des von Peter Feldmann mitinitiierten Beschlusses im Stadtparlament nicht mehr gegolten. Feldmann, so viel wird klar, hat nicht zufällig ein paar Dreckspritzer auf der Weste. Er ist eingebunden in das System AWO von Elter 1 und Elter 2 der Richters und ihres politischen Abzocker-Clans, der auch nach dem Rücktritt Richters die AWO weiter beherrscht und benutzt – und dafür die Interessen der SPD in der Stadt befördert. Und weil eine Hand die andere wäscht, versorgt die AWO aufstrebende SPD-Politiker mit gut dotierten Jobs, die dann wieder darüber mitentscheiden, wenn weitere städtische Mittel an die AWO umgeleitet werden; und das alles unter einem Deckmantel aus rotem Filz, den der von der AWO geförderte SPD-Oberbürgermeister über die Sache gelegt hat. Es sieht nach einem perfekten System aus.
Unbeantwortet bleibt bislang nur die Frage nach der Rolle der CDU, die zusammen mit der SPD und den Grünen den Magistrat der Stadt bestimmt. Eigentlich müsste sie aus der Stadtregierung ausscheiden, den Rücktritt des Oberbürgermeisters fordern. Aber nach durchweg verlorenen Wahlen auf Bundes-, EU-, Landes- und kommunaler Ebene scheuen ihre Vertreter offensichtlich den Verzicht auf gutbezahlte kommunale Posten. Es war so schön, es kommt nie wieder. Denn klar ist: Wahlen nach diesen Vorfällen könnten die Clique der Regierenden mit und ohne AWO-Mitgliedsbuch entsorgen.
Und zuletzt noch das Finanzamt
Was dort genau geschehen sei, das müsse man Finanzminister Dr. Thomas Schäfer selbst fragen. Denn diesbezügliche Fragen an den CDU-Minister habe dieser immer nur an die Finanzdirektion Frankfurt „weitergeschoben“, betont Volker Siefert. Auch Servicegesellschaften wie die AWO Protect, die für die AWO die Sicherheitsdienste in Flüchtlingsheimen übernahm, stellten klassische Erwerbsbetriebe und nicht gemeinnützige Tätigkeiten dar. Alle Nachfragen von Siefert und Gräber seien von der Oberfinanzdirektion unter Berufung auf das Steuergeheimnis jedoch nicht beantwortet worden. Aber es geht weiter, bis ins Detail. Mitarbeiter der AWO werden im Berliner Luxushotel Adlon untergebracht oder unternehmen Reisen nach Israel. Während die Finanzbehörden sonst jedes Arbeitszimmer nachmessen und jeden Kilometer bei Pendlern überprüfen – die AWO Frankfurt bewegt sich offensichtlich in einem rechtsfreien Raum, geschützt von einer stillschweigenden Koalition aus SPD, CDU und Grünen.
Immer neue Bilder – immer neue Verdächtige
Mittlerweile berichten die Frankfurter Medien fast täglich über den Skandal. Der Bann scheint gebrochen, spätestens, seit der Wirtschaftsclub die Pforten der Hölle geöffnet hat. Immer neue Tochtergesellschaften der AWO tauchen auf. Immer neue Verbindungen zu Politikern; manche mögen gar nicht gewusst haben, worauf sie sich einlassen, wenn sie sich mit der AWO verbandeln. Selbst im Stadtparlament musste sich Oberbürgermeister Peter Feldmann verteidigen, was er lässig und selbstbewusst macht, denn er weiß: ernsthafte Gefahr droht ihm nicht. Es geht bis in schmutzige Details, seiner angeblichen Trennung von Zübeyde und einer neuen Flamme des Herzens: Er habe kein Verhältnis mit einer „Blondine“, sagt er darauf angesprochen im Stadtparlament wörtlich, denn verdächtigt wird eine Dame, die von ihm ein Kind erwarte und die er als Berufsanfängerin in der Verwaltung blitzschnell auf einen 6000,- Euro-Job befördert habe. Zumindest was die Haarfarbe betrifft, hat er uneingeschränkt Recht, denn so detailliert die Haarfarbe betreffend war der Vorwurf gar nicht. Vielmehr werden Bilder einer orientalisch anmutenden Schönheit mit pechschwarzem Haar im Rathaus herumgezeigt. Alles scheint möglich, auch ein Dementi, das so geschickt aufgebaut zu sein scheint, dass es keines mehr ist. Im Sumpf blühen Verdächtigungen, die absurd erscheinen.
Misstrauen zieht durch Frankfurt; der Oberbürgermeister gibt sich selbstbewusst. Er scheint sich ein Vorbild an Ursula von der Leyen zu nehmen – trotz anhängender Bundeswehrskandal konnte sie EU-Kommissionspräsidentin werden. Was kann da noch alles aus Peter Feldmann werden? Pattex scheint das Mittel der Wahl, wenn sich wie im Bund oder Frankfurt CDU und SPD aneinander klammern, um ihre Posten zu sichern. Klar ist, dass die Sozialdezernentin Birkenfeld (CDU) sehr frühzeitig über Missstände informiert war und versuchte, sie „diskret“ zu beseitigen und zudem auf Rückforderungen verzichtete. So wird Kritik an offenkundigen Missständen als „Populismus“ abgetan, Medien schweigen zu lange, weil sie sich freiwillig den Populismus-Maulkorb umhängen.
Das System gerät außer Kontrolle, weil so wichtige Elemente parlamentarischer Kontrolle außer Kraft gesetzt wurden: Alle großen Parteien gemeinsam gegen Kritiker mag vorübergehend politisch funktionieren, hat aber Nebenwirkungen. Sind andere Wohlfahrtsverbände besser kontrolliert? Das Vereinsrecht mag für Hasenzüchtervereine passend sein. Aber die AWO hat ähnlich viele Beschäftigte und Umsätze wie etwa der DAX-Riese Siemens; Diakonie, Rotes Kreuz und Caritas operieren in ähnlichen Dimensionen von bis zu 400.000 Beschäftigten. Auch anderswo hat die AWO Probleme. So musste Ex-AWO-Chef Peter Olijnyk 390.000 Euro an die AWO Müritz in Mecklenburg-Vorpommern zurückzahlen. Greift der Skandal über Frankfurt aus? Aus Dortmund jedenfalls und anderen Städten des Ruhrgebiets schicken uns Leser Berichte über ähnliche Vorkommnisse.
Die Frankfurter rote Sauce trägt den Keim für eine weitere Krise des etablierten Parteiensystems und seiner Verflechtungen mit Verbänden in sich.
Quellen:
Berichte in der FNP finden Sie hier (in chronologischer Reihenfolge):
https://www.fnp.de/frankfurt/frankfurt-hessen-steckt-einer-schweren-krise-12941309.html
Volker Siefert beim HR:
Ehefrau des Frankfurter OB erhält höheres Gehalt als üblich
Knapp über 30 und schon 100.000 EuroWie SPD-Jungpolitiker bei der AWO Spitzengehälter erhalten
Eine Zusammenfassung, die uns dankenswerterweise zur Verfügung gestellt wurde, auch hier.
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