Die Menschen lieben Europa und den Euro – immer weniger. Der Grund sind die sozialen Kosten der gemeinsamen Währung.
Die Wahlen in Frankreich, Griechenland und demnächst in Holland sind auch eine Volksabstimmung über den Euro. Überall gewinnen derzeit Parteien und Politiker, die die gemeinsame Währung ablehnen, die Wiedereinführung von Grenzkontrollen fordern oder andere Errungenschaften des gemeinsamen Europas zurückdrehen wollen. Es ist eine Entwicklung, die Angst macht. Die Ursache dafür ist nicht ein irgendwie archaischer Nationalismus, sondern blanke Not: Es sind die steigenden sozialen Kosten der gemeinsamen Währung, die Europa jetzt zu zahlen anfängt. Denn wenn ein Land mit eigener Währung an globaler Wettbewerbsfähigkeit verliert, kann es abwerten; seine Produkte werden auf den Weltmärkten billiger, konkurrierende Importe teurer, selbst dann noch, wenn die heimischen Löhne immer weiter steigen. Die Wechselkurse passen an, was Regierungen, Unternehmen und Gewerkschaften nicht leisten wollen oder können. Eine eigene Währung ist ein Schleier, hinter dem sich verbirgt, was nicht wirklich funktioniert.
Die gemeinsame Währung aber reißt den Schleier erbarmungslos weg. Die Euro-Preise legen gnadenlos offen, wer von Lissabon bis Lubice, von Aarhus bis Athen zum billigsten Preis anbieten kann. Das haben wir alle genossen, als Touristen und Einkäufer. Jetzt zahlen diejenigen den Preis, die bei dieser Preisschlacht nicht mithalten können – es sei denn, sie senken die Preise. Und das geht, solange nicht irgendwelche Zaubermethoden der Effizienzsteigerung gefunden werden, nur über niedrigere Löhne, niedrigere Steuern, weniger Bürokratie, geringere Sozialleistungen. Verschärft wird diese Krise in Europa noch dadurch, dass die Staaten sich für ihren Konsum zu hoch verschuldet haben und jetzt steigende Zinsen und Tilgungslasten finanzieren müssen; oder, wie in Spanien und Irland, dass sie ihre Banken retten, die Hunderte von Milliarden verspielt haben. Das ist ökonomisches Gesetz und dennoch für die Betroffenen schmerzhaft. Die Arbeitslosigkeit steigt, die Steuerschraube wird angezogen, Sozialleistungen werden gekappt – Dynamit für jede Gesellschaft.
Kein Wunder, dass immer mehr Menschen gegen den Euro, das Diktat aus Brüssel oder dahinter vermutete Macht aus Berlin demonstrieren, und kein Wunder, dass Politiker verzweifelt den Notausgang suchen. Gerade SPD-Politiker wie Sigmar Gabriel und Grüne wie Jürgen Trittin, die uns noch vor Kurzem gepredigt haben, dass Wachstum unnötig, ja sogar gefährlich sei, fordern jetzt einen “Wachstumspakt für Europa”. Das klingt so, als hätten sie eine zweite Welt mit ihren Ressourcen im Kofferraum gefunden. Richtig ist, dass mehr Wachstum die Steuern sprudeln lässt und Arbeitsplätze schafft. Aber wenn man ihre Vorschläge genauer anschaut, dann ist es nur das alte, garstige Lied: Mit noch mehr Schulden sollen zu hohe Schulden bekämpft werden.
Das Märchen vom dummen Reh
Das kann aber nur klappen, wenn irgendjemand diese Schulden finanziert. Da gibt es vier Möglichkeiten: Erstens: die internationalen Finanzmärkte. Lange hat man sie geprügelt, jetzt bettelt man wieder um Kredit, den man schon heute nicht bedienen kann. Das Kapital mag ja dumm sein wie ein Reh, aber es ist auch genauso scheu. Zweitens: Andere fordern, dass die Europäische Zentralbank direkt Bargeld für die Staaten druckt, die damit Arbeitsbeschaffungsprogrammefinanzieren. Das produziert Inflation und noch mehr Elend. Drittens: Euro-Bonds, also Milliarden, die Deutschland auf diesem oder einem anderen Weg zur Verfügung stellen soll. Aber sehr schnell wäre Deutschland auch nicht mehr kreditwürdig, wenn es für alle geradestehen soll. Sigmar Gabriel glaubt an einen vierten Weg: die Abschaffung der Finanzmärkte und höhere Steuern für alles Mögliche. Dann laufen die Steuerzahler davon. Die Finanzmärkte brauchen Herrn Gabriel weniger als er sie. Und vielleicht könnte es sein, dass dann selbst der bislang brave Deutsche den Euro abwählen will.
(Erschienen auf Wiwo.de am 05.05.2012)