Die Euro-Krise ist nicht mehr mit Geld, sondern nur noch mit einer politischenUnion lösbar. Die Not mit dem Geld schafft den Euro-Staat.
Vordergründig geht es derzeit um technische Fachbegriffe wie EFSF und ESM, um Euro-Bonds, Euro-Bills, Target-Salden und Bankenunion. Aber selbst die dreistelligen Milliardensummen, die damit bewegt werden, vermögen den Euro nicht zu retten. Die Eskalation der Schuldenkrise erzwingt eine politische Union, in der das wirtschaftsstarke Deutschland für die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit und Überschuldung des Südens haftet. Oder der Euro zerbricht mit unabsehbaren Folgen – eine Verantwortung, die niemand übernehmen will. Daher hofft die deutsche Allparteien-Politik, die Katastrophe für Wirtschaft und Gesellschaft wenigstens dadurch erträglich zu machen, dass sie für die Hingabe des Wohlstands dieses Landes wenigstens eine Art europäischen Superstaat eintauscht. Dessen Institutionen sollen an sich die ärgsten Auswüchse nationaler Ausgabenpolitik und Misswirtschaft eindämmen. Die europäische Finanz- und Wirtschaftspolitik soll solide Haushaltspolitik durchsetzen.
Aber kann diese Rechnung aufgehen? Das Grundgesetz erlaubt die schleichendeAushöhlung des Grundgesetzes nicht, so jüngst das Bundesverfassungsgericht. Artikel79, Absatz 3 gibt eine Art “Ewigkeitsgarantie” für Grundrechte und demokratischeGrundordnung dieses Staates. Dies wurde von den Verfassungsvätern aufHerrenchiemsee eingeführt, um eine Beugung des Rechts zu verhindern, wie sie dieNazis legal herbeigeführt hatten. Nun sagen die Europa-Befürworter, dass dieGeschichte nicht per Gesetz eingefroren werden könne. Das Grundgesetz müsse alsofür Europa aufgetaut und aufgeweicht werden. Ich gestehe, dass mich dies alsgeschichtsbewussten Menschen erschreckt. Offensichtlich sind die klügeren Köpfeunserer Politik bereit, die demokratische Staatlichkeit Deutschlands aufzulösen, um dasLand in einen europäischen Superstaat zu überführen.
Angela Merkel als „Madame Non“ kämpft heldenhaft, um dafür wenigstens ein Euro-Jazu halbseidener Solidität zu gewinnen. Es ist ein Rückzugsgefecht. Alternativen, wie derAusschluss Griechenlands, werden nicht ernsthaft gesucht.
Im Parlament regt sich kaum Widerstand. Wie Marionetten haben Abgeordnete in denvergangenen Monaten Gesetze abgenickt, die das Grundgesetz gefährlich entleeren.Müde und ängstlich hat die deutsche politische Klasse nichts Eiligeres zu tun, als diedrückende Verantwortung an der Brüsseler Garderobe abzugeben, ja sogarDeutschland abzulegen wie einen Anzug, der zu eng und zu schmutzig ist. Es lockendie bunten Farben Europas.
Die große deutsche Industrie nickt beifällig. Ihr ist es längst zu eng geworden; wer wieDax-Konzerne bis zu 97 Prozent seiner Umsätze auf globalen Märkten tätigt und dendeutschen Anteil an Beschäftigten abzubauen sucht, den geniert die Enge des Landes.Die Industrie hofft auf einen stärkeren Rückhalt im globalen Wettbewerb der großenMächte durch ein starkes Europa. Und wenn die Mittelständler undFamilienunternehmen dabei entsprechend europäischer Normen verschwinden, dannschadet ihnen das nicht – nur uns.
Unsere europäischen Freunde und Nachbarn erleben die deutsche Selbstauflösung alsErlösung. Die südlichen Staaten, weil sie ihre Schulden mit deutscher Wirtschaftskraftbegleichen können. Alle anderen Staaten haben nicht vergessen, dass ein mächtigesDeutschland zwei Kriege über sie gebracht hat; die Bändigung des deutschen Furorsist die Logik der europäischen Einigung. Ihre Souveränitätsrechte werden sie daherauch nicht hergeben. Also werden die Deutschen zahlen – mit Erspartem und mitEntmachtung. Das “sanfte Monster” Europa, wie es Hans Magnus Enzensbergergenannt hat, nimmt still und leise seinen Bürgern eine Entscheidung nach der anderenaus der Hand. Die Märkte werden applaudieren; ihr Kredit wird verzinst und getilgt. Sohat der Euro die Hintertür geöffnet, durch die die Diebe wirtschaftlicher und staatlicherIdentität sich einschleichen.
(Erschienen auf Wiwo.de am 30.06.2012)