Es ist eine Schlacht, die in der Öffentlichkeit geführt wird: Stammt das Corona-Virus aus einem Labor in der chinesischen Stadt Wuhan – oder von einer Fledermaus, von der es in Wuhan auf Menschen übergesprungen ist?
Woher stammt das Corona-Virus?
Diese Frage hat große moralische Bedeutung, aber auch sehr praktische und weitreichende Folgen. Denn stammt es aus dem Labor, hätten früher Maßnahmen ergriffen werden können, und vor allem: Praktisch die gesamte gängige Corona-Politik wäre falsch angelegt. Dem Labor-Virus wäre die Eigenschaft künstlich eingebaut worden, dass es sich besonders schnell und leicht weiterverbreitet. Bei einem derart flüchtigen Virus aber müssen alle Maßnahmen wie „ZeroCovid“ scheitern, also der Versuch, durch Quarantäne und Lockdowns die Verbreitung zu stoppen.
In Deutschland vertritt der Hamburger Physik-Professor Roland Wiesendanger die Laborthese und versucht, sie durch Auswertung der bisher vorliegenden Kenntnisse zu stützen. Im Interview mit „Tichys Ausblick“ erklärt er ausführlich seine Position.
Sein Ergebnis, das er mit umfangreichem Material belegt: Mit größter Wahrscheinlichkeit stammt das Virus aus dem Labor; jetzt gehe es darum, die beteiligten Wissenschaftler insbesondere aus den USA und Deutschland zur Verantwortung zu ziehen und diese Art Forschung zu beenden.
Wiesendanger fordert ein sofortiges Ende dieser „gefährlichen Sachen“, wie sie der bekannte deutsche Virologe Drosten mittlerweile nennt. „Nach Millionen von Toten durch das Covid-19-Virus drohen Milliarden von Tote“, wenn im Zuge der Forschung noch gefährlichere Viren produziert und aus den Laboren entkommen oder entnommen würden: „Die Letalität von 1 Prozent hat uns Schrecken beschert“, sagt Wiesendanger zu TE; aber es ist auch eine Todesrate von 50 Prozent der Infizierten vorstellbar. Die Gefahr liege darin, dass der am Covid-19-Virus entwickelte Turboeffekt auf noch weit gefährlichere Viren angewandt werden könnte – das wäre „die größte Katastrophe der Menschheit“, sagt er. „Wenn wir diese Forschung nicht beenden, werden wir beendet.“
Schlagabtausch mit Christian Drosten
Wiesendanger ist öffentlich insbesondere mit Christian Drosten über Kreuz geraten. Drosten war über die Forschung in Wuhan informiert und beteiligte sich an internen Debatten führender, am Vorgang beteiligter Virologen über den Ursprung des Virus.
Nach einem Schlagabtausch in mehreren Medien nutzte Drosten ein mittlerweile nicht mehr verfügbares Interview der Zeitschrift Cicero mit Wiesendanger zum Versuch, diesem vom Landgericht Hamburg eine Vielzahl von Behauptungen untersagen zu lassen.
Aber Drosten konnte nur einen Teilerfolg erzielen. Wiesendanger darf nicht mehr wiederholen, Drosten habe die Öffentlichkeit über den Ursprung des Virus „gezielt getäuscht“; für eine „gezielte, also vorsätzliche Täuschung der Öffentlichkeit“ fehle letztlich der Beleg. Denn im Verfahren hatte Drosten eidesstattlich versichert: Er habe „kein persönliches Interesse, die sogenannte Laborthese auszuschließen“ oder „den Verdacht in eine bestimmte Richtung zu lenken“; gäbe es wissenschaftliche Belege für die Laborthese, würde er sie „in der Öffentlichkeit vertreten“.
Das Gericht sah daher für die sehr harte Formulierung keine „hinreichenden Anknüpfungstatsachen“.
Im Presserecht geht es oft um Tatsache oder Wertung
Keinen Erfolg hatte Drosten in zahlreichen anderen Punkten; so bleibt bestehen, dass die Anhänger der Laborthese ihren Gegnern den Vorwurf der „Verschwörungstheorie“ machten, um damit jede Kritik zu diskreditieren. Auch Drosten hat diesen Begriff eingesetzt, um Wiesendangers Position herabzusetzen. Wiesendangers Formulierungen, Drosten würde „Unwahrheiten“ verbreiten und eine „Desinformationskampagne“ fahren, hielten die Hamburger Richter erklärtermaßen für zulässig: Diese Aussagen seien ein bloßer „Gegenschlag“, nachdem Drosten gemeinsam mit anderen Forschern und Anhängern der „Fledermaustheorie“ ein Statement veröffentlicht hatte, in dem ähnlich abwertende Formulierungen über die Gegenseite zu finden waren – wie etwa der Begriff der „Verschwörungstheorie“. Dieser im Fachblatt Lancet veröffentlichte Text widersprach der von Wiesendanger verbreiteten Laborthese, nach der das Coronavirus in einem chinesischen Labor gezüchtet worden sein könnte, und Drosten hatte sich dieser Aussage angeschlossen. Auf harte Angriffe darf also hart zurückgeschossen werden.
Wie häufig in Presserechtsverfahren geht es um die Frage, ob eine bestimmte Formulierung eine Tatsache behaupte oder als „Wertung“ und damit grundsätzlich erlaubte Meinungsäußerung zu betrachten sei. Drostens breitflächiger Angriff auf Wiesendanger ist jedenfalls nach hinten losgegangen: Das Gericht verfügte, dass er die Hälfte der Kosten zu tragen habe; ein Hinweis darauf, wie das Gericht seine Behauptungen bewertet. Drostens Anwalt behauptet trotzdem, das Gericht habe die zentralen Aussagen von Wiesendanger untersagt. „Dies zeigt, dass die Polemik des Herrn Wiesendanger keine Tatsachengrundlage hat.“ Genau das hat das Gericht nicht getan, sondern eine Vielzahl von zentralen Aussagen Wiesendangers bestehen lassen oder allenfalls die eine oder andere rhetorische Spitze als überzogen zurückgewiesen, ohne ihren Wesenskern anzugreifen.
Wissenschaft hat nicht automatisch Recht
Das Urteil zeigt aber einen wichtigen Gedanken auf: Wissenschaft ist nicht unanfechtbar. „Follow The Science“, eine Bewegung die versucht, eine unanfechtbare Definitionshohheit über Ursachen, Folgen und notwendige Bekämpfung des Klimawandels für sich in Anspruch zu nehmen, scheitert genau an diesem Punkt: Auch Wissenschaftler, die mit vielen Fußnoten argumentieren und mit Belegen hantieren, sind nicht im Allein- oder Vollbesitz der Wahrheit.
Der überhöhte Allein-Anspruch wissenschaftlicher Autorität, mit der beispielsweise Drosten die Corona-Politik in Deutschland maßgeblich beeinflusst hat, ist nicht unangreifbar. Sie darf in Zweifel gezogen werden, auch mit harten Worten; „Wissenschaftsleugner“ oder „“Klimaleugner“ bezweifeln nicht eine unanfechtbare Wahrheit, sondern lediglich eine Behauptung. Wissenschaft ist gerade der beständige Zweifel, und wenn Wissenschaftler aufeinandertreffen, geht es hart zur Sache und der Ton kann laut, auch verletzend werden.
Wer sich wie Drosten beständig in die Öffentlichkeit begibt, muss lernen, Kritik auszuhalten; denn nur aus Kritik kann Wissenschaft entstehen. Letztlich trift eine Pressekammer wie in Hamburg auch keine Aussage über „Wahrheit“, sondern nur darüber, was im Rahmen der Meinungsfreiheit gerade noch erlaubt ist zu behaupten. Und da sieht es im Ergebnis schlecht aus für Drosten: Die Laborthese ist nicht zu unterdrücken.