„Die feuchten Winde des Herbstes ächzen und seufzen. Nichts hat sich geändert, nur das Leben der Menschen“. Das ist ein Kurzgedicht des chinesischen Revolutionärs und Massenmörders Mao Tse-tung, dessen lyrische Begabung in einem merkwürdigen Gegensatz zu seiner menschenfressenden Brutalität steht.
Er hat es im Badeort Beidaihe geschrieben; seit Mao die Sommerresidenz der chinesischen Bonzen. In Beidaihe fielen wichtige wirtschaftliche Entscheidungen; und dies wurden mörderische Stürme. „Der große Sprung“ wurde da verabschiedet – Chinas staatliches Industrialisierungsprogramm. Es hat in den 1960ern bis zu 45 Millionen Menschen zum verhungern gebracht, weil die Landwirtschaft sozialisiert und Menschen in unwirtschaftliche Industrieprojekte gezwungen wurden. „Der große Sprung“ gilt heute neben dem Holocaust und Stalins Massenmorden in der Ukraine als eines der größten Verbrechen der Menschheit.
Die Mord-Programme von Beidaihe
In den 1980ern wurde in Bedaihe-Sommern versucht, die Liberalisierung zurückzudrehen – auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking 1989 zermalmten Panzer die Studentenproteste gegen die Staats- und Parteiführung buchstäblich unter ihren Ketten. Diese mörderischen Folgen sollte man im Hinterkopf haben, wenn man hört, dass sich in diesen Augusttagen Chinas Führungsspitze in Beidaihe trifft, um darüber zu diskutieren, wie sie mit der Wirtschaftskrise umgeht.
Vordergründig ist ja noch alles in Ordnung; von einem Wachstum von bis zu 7 Prozent können europäische Mickerwirtschaften wie etwa die griechische nur träumen. Aber Zweifel werden laut, ob diese Zahlen nicht doch mehr Schein als Wirklichkeit sind. Zu krass sind die binnenwirtschaftlichen Verwerfungen in China: 65 Millionen (!) Wohnungen stehen leer. Daher kracht die Bauwirtschaft zusammen und mit ihr ein Fünftel der Wirtschaftsleistung. Keiner braucht dann noch Baustahl; dabei hat China schon heute doppelt so viele überflüssige Hochöfen wie insgesamt in Deutschland noch Stahl kochen – und dieser Stahl wird jetzt auf die Weltmärkte billig verramscht. Rund 840 Mio. Tonnen kann China pro Jahr erschmelzen; die USA nur 110 Mio Tonnen. Die klassischen Industrien in den USA, Japan und Europa geraten damit unter den Druck der chinesischen Exportstrategie, die ihre heimischen Überkapazitäten verscherbelt. Denn offensichtlich klappt es mit dem erhofften Umbau der chinesischen Industrie hin zu anspruchsvolleren Produkten so schnell doch nicht. Die Abwertung der Währung gegenüber dem Dollar in den vergangenen beiden Wochen jedenfalls zeigt: Jetzt geht es wie beim Stahl wieder um Masse statt Qualität; um Billigpreise statt Innovationen.
Börse hat Desaster vorweggenommen
Wie so häufig, hat die Börse diese Entwicklung schon vorweggenommen. Die Börsenkurse sind um mehr als 30 Prozent eingekracht. Vorher waren sie regierungsamtlich hochgejubelt worden; mit ungeheuren Mitteln und rüden Handelsverboten wurde versucht, den Kursrutsch zu bremsen. Aber dabei zeigte sich eigentlich nur die Ohnmacht der Regierung: Gegen den Pessimismus der Anleger kann sie keine Dämme bauen.
Dabei sind andere Effekte wohl noch wichtiger als der reine Kursrutsch: Börse und gelenkte Wirtschaft – das passt nicht zusammen. Mit jedem Liberalisierungsschritt entmachtet sich die Regierung; sie tauscht wirtschaftliches Wachstum gegen wachsende politische Ohnmacht der chinesischen kommunistischen Partei ein. Eine auf Modernisierung und Wachstum orientierte Wirtschaft gehorcht der Planbürokratie nicht mehr. Die Allmacht der Partei ist in Frage gestellt. Ihre Steuerungskompetenz aber war das überzeugendste Argument für den chinesischen Weg, der Kapitalismus mit strikter Planung zu versöhnen vorgab. Aber Feuer und Wasser passen auch in China nicht besonders gut zusammen. Kann die Partei aber ihr Wachstumsversprechen nicht einlösen, verliert sie an Rückhalt und Glaubwürdigkeit.
Gerade in Aktien haben viele Menschen versucht, ihre Ersparnisse anzulegen, da es andere Anlageformen kaum gibt. Mittlerweile sollen die Chinesen schon für ein Drittel des globalen Kunstmarktes als Käufer verantwortlich sein – Kunst als Surrogat für sonst versperrte Anlagemöglichkeiten. Aktien tot, Immobilien wertlos: Die wirtschaftliche Lage der politisch entscheidenden Mittelklasse hat sich binnen weniger Monate verschlechtert. Aus wachsendem Wohlstand wurden sie zurück in die Armut katapultiert.
Die Liebe der Deutschen zu Diktaturen
Das schlägt unmittelbar auf deutsche Unternehmen durch.
Auch vielen deutschen Managern galt China lange als Vorbild; ohnehin fällt auf, wie pudelwohl sich deutsche Manager in Autokratien wie China und Russland fühlen. Wie lästig waren ihnen diese ständigen Hinweise auf fehlende Bürgerrechte. Dass Marktwirtschaft und Demokratie einander genau so bedingen wie Marktwirtschaft und Wachstum haben sie gerne übersehen. Lieber suhlen sie sich im warmen Bad der Diktaturen. Eine gesteuerte Wirtschaft, in der es garantiert immer nur aufwärts geht: Keine lästigen Bürgerinitiativen, die Autobahnen oder Fabriken behindern, keine teure Umweltschutzauflagen – als „chinesischer Weg“ wurde diese Mischung aus unbegrenztem Geldverdienen und staatlicher Lenkung gefeiert.
Vermutlich ist sie ein Sackgasse. Wirtschaft lässt sich nicht steuern wie ein Nachtspeicherofen; zu komplex sind die Zusammenhänge. Im guten alten Europa haben den Beweis dazu Ludwig van Mieses und andere längst geführt; auch hier hat es nach dem ökonomischen Modell noch Jahrzehnte gedauert, bis die sowjetisch geprägten Zwangssysteme zunächst wirtschaftlich und dann politisch kollabierten. Aber staatlich gelenkte Planwirtschaft funktioniert nicht; zu eigenwillig sind die Menschen und zu groß ihr Misstrauen, ob die Vorhersagen der Regierung wie bei den Börsenkursen wirklich eintreffen: Aktienkurse sind in Zahlen gefasstes Vertrauen auf die Zukunft von Unternehmen. Regierungsamtliche Pläne aber müssen immer schief gehen.
Das Stottern des staatlich gelenkten chinesischen Mischwirtschaft kann jetzt auch Deutschland treffen – China ist der wichtigste Absatzmarkt der deutschen Maschinenbauer. BMW verkauft jedes 5. Auto, VW jedes 3. Auto in China und erwirtschaftet die Hälfte seiner Gewinne dort. Die beruhigenden Botschaften aus deutschen Konzernzentralen wie Daimler, Bosch, Siemens, die voller China-Optimismus tropfen, sind eher als Warnhinweise zu verstehen: Es soll nicht sein, was nicht sein darf.
Chinas nachlassende Wirtschaftsdynamik droht jetzt die Weltwirtschaft ordentlich durchzuschütteln; die stagnierende Nachfrage in der Fabrik der Welt am Pearlflußdelta drückt die Rohstoffpreise und bringt Rohstoffexporteure wie Brasilien in die Bredouille.
Das sind keine guten Botschaften.
Jetzt lauscht die Weltwirtschaft auf die Botschaften aus Beidaihe. So mörderisch wie unter Mao werden die Herbstwinde nicht stürmen. Aber durchschütteln können sie die Weltwirtschaft schon.