Eigentlich hat es mit der EWG angefangen: Der „Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft“. Sie hat sich um den Abbau der Zölle zwischen den Ländern der zunächst sechs Teilnehmerstaaten bemüht, und um eine gemeinsame Handelspolitik nach außen.
Kernkompetenz der EU
Das sollte man sich vor Augen halten, um das Scheitern der CETA-Verhandlungen richtig würdigen zu können: Handelspolitik ist die Geburtsstunde und Kernidee der EU. Dass sie jetzt in ihrer Kernkompetenz scheitert, zeigt, wie verfahren die Lage ist.
Damit hat nach Außen die EU aufgehört zu existieren. Welchen Sinn hat es, sieben Jahre lang zu verhandeln und dann kommt eine Region, deren Namen kaum jemand richtig buchstabieren kann und läßt das Ganze scheitern, weil er Subventionen für ein Caterpillar-Werk haben will, das von Schließung bedroht ist?
Wie will denn die EU ihr massives Auftreten rechtfertigen, die vielen blauen Fahnen mit den zahlreichen Sternchen drauf, wenn sie in ihrem Kernfeld nicht handeln kann? Es wiederholt sich, was in anderen Politikfeldern vorgemacht wurde: Die EU ist handlungsunfähig. Mittlerweile macht jeder, was er will, und Deutschland übrigens allen voran.
- In der Energiepolitik sollte eine „europäische Kupferplatte“ entstehen – der grenzüberschreitende Stromverkehr. Neuerdings bauen die Länder um Deutschland Schieberegler ein, um den zerstörerischen Gelegenheits-Solarstrom aus Deutschland zu blocken – nichts mehr mit Union: Nationalismus regiert.
- In der Migrationspolitik hat Deutschland die EU ebenfalls vorgeführt: Erst öffnete Deutschland einseitig seine Grenzen – und wollte dann die ankommenden Menschenmassen europaweit umverteilen. Dass die anderen Länder da nicht mitmachen, ist verständlich. Jetzt macht jeder Migrationspolitik für sich.
- In der Außenpolitik ist Europa seit jeher handlungsunfähig. Neuerdings gibt es eine Außenkommissarin. Das Beste, was man von ihr sagen kann, ist: Viele Spesen, nichts gewesen. Außenpolitik machen Frankreich und Deutschland so, wie sie es wollen; Großbritannien sowieso.
- In der Währungspolitik werden immer neue Verträge formuliert und sofort gebrochen. Der Euro ist längst ein Symbol des europäischen Versagens, nicht der europäischen Einigung: Wer die Gemeinschaft ausplündert wie Griechenland, wird subventioniert. Wer gegen Regeln verstößt, wie Deutschland, mehr aber noch Frankreich und Italien, kommt ungeschoren davon. Irgendwer wird schon zahlen, lautet das Prinzip. Aus der Vertragsgemeinschaft ist ein Verein zur gegenseitigen Plünderung geworden.
- In der Verbraucherpolitik ist die EU zum Quälgeist degeneriert: Quecksilber-Glühbirnen und schwächere Staubsauger sowie ein wirkungsloses Plastiktütenverbot – zur Schikane der Bürger und zur Erfüllung einiger Lobbyistenträume, dafür reicht es. Die großen Fragen bleiben außen vor.
Scheitern ist dann programmiert, wenn man mehr will, als man kann. Europa hat viele Aufgaben an sich gerissen, zu viele. Und seine zentralen Schwächen vergessen.
Politik braucht Mehrheiten
Politik besteht nicht nur darin, formale Macht an sich zu reissen. Macht muss ausgeübt, und in einer Demokratie müssen die Ergebnisse immer wieder vermittelt werden. Demokratische Politik braucht Mehrheiten. Die Bürger müssen das wollen, was oben gemacht wird. Die EU will viel, aber ihr fehlt jede Möglichkeit, dies zu vermitteln. Die EU berauscht sich an der schieren Zahl ihrer Einwohner von 500 Millionen. Aber große Zahlen sind noch keine Mehrheit. 500 Millionen: Klingt viel – aber wer organisiert die gemeinsame Willensbildung von Malta bis Malmö? Es gibt ja nicht einmal ein echtes Europäisches Parlament – jener Wanderzirkus zwischen Straßburg und Brüssel bringt es nicht. Das ist eine Art Interessensvertretung, die die kleineren Staaten stärkt – nicht die Bürger. Die finden sich in dieser Art bürgerfernem Klassenparlament nicht wieder. Die jüngsten EU-Verhandlungen wirken wie ein unfreiwillger Stresstest. Man versucht zu beweisen, dass man gar nicht mehr kann, dass das Projekt an sein Ende gekommen ist: wegen Überdehnung und Überforderung.
Kein Wunder, dass die Bürger sich wieder in überschaubaren Räumen organisieren, und wenn es Wallonien ist. Das ist zwar nicht viel besser, aber wenigstens in seiner Beschränktheit übersichtlicher. Ganz ähnlich haben ja die Briten entschieden – von Brüssel aus regiert und schikaniert zu werden, ist keine Alternative zum Nationalstaat.
Wer kämpft für TTIP und CETA?
Vor allem auch in Deutschland tragen diejenigen, die immer von Europa schwärmen und es gleichzeitig sabotieren, ordentliche Mitschuld. Wer in der Bundesregierung kämpft denn für die von ihr so hochgelobten Verträge CETA und TTIP? Sigmar Gabriel als Wirtschaftsminister macht das so, wie er alles macht: Aufschäumend und sprunghaft, ohne Linie und Verstand. Alle anderen Minister, die Europa und europäische Einigung ständig beschwören, oder auch die Bundeskanzlerin? Fehlanzeige. Irgendwie soll es sich richten.
Das öffentliche Feld hat man einigen Beutegemeinschaften überlassen, die sich „NGOs“ nennen: Greenpeace, Attac, BUND, Umwelthilfe, Foodwatch usw. Alle leben davon, dass sie desinformieren, Gerüchte in die Welt setzen, gegen Andersdenkende hetzen, verleumden – und kassieren. Je falscher und je dramatischer Entwicklungen dargestellt werden, um so lauter klingelt es in ihren Kassen. Der Kampf gegen jede Veränderung ist längst zur zentralen Geschäftsidee verkommen – bei Campact kann man den Protest mieten, sich gegen Bezahlung Kampagnen frei Haus und Straße liefern lassen. Protest kann man mieten, wie mobile Klos. Hauptsache, das Spendenaufkommen stimmt. Gleichzeitig werden diese NGOs gepäppelt. Mit Unterstützung aus der Staatskasse, wie Millionen für die Welthungerhilfe, die dann dunkelhäutige Schauspieler als Demonstranten gegen die offizielle Politik bezahlt. Mit Klagerechten, mittels derer die Umwelthilfe zum gut verdienenden Abmahnverein mutierte.
Eine Regierung macht sich davon
Weniger das vorhersehbare Scheitern, aber der Umgang mit den Verhandlungen über CETA und TTIP sagt mehr aus über den Zustand der deutschen Politik als über Vor- und Nachteile des Freihandels, den die Kommerzverbände auf dem Kieker haben.
Irgendwie haben die politisierten Deutschen vor lauter Liebe zu sauren Äpfeln aus der Region vergessen, dass sie, gemessen an der Bevölkerung, der größten Handelsnation der Welt angehören und ihren ungeheuren Wohlstand gerade dem Freihandel verdanken. Sie haben vergessen, dass die Öffnung der US-Grenzzölle nach 1945 es den Käfern aus Wolfsburg erst ermöglichte, in die Weite des größten Marktes der Welt hinauszukrabbeln und dort das Geld zu verdienen, mit dem Deutschland aufgebaut wurde.
Die USA haben Autos aus Detroit durch solche aus Wolfsburg, Rüsselsheim und Stuttgart aber nicht aus lauter Menschenfreundlichkeit ersetzt, sondern weil sie den Deutschen im Kampf gegen den Sowjetblock wieder auf die Räder helfen wollten. Und umgekehrt: Werden die Amerikaner ekelhaft in Sachen Freihandel wie es Trump, aber auch Hillary Clinton mit Rücksicht auf arbeitslose Amerikaner vorhaben, dann sind die Deutschen die gekniffenen – nicht die Franzosen, denn für Champagner ist die Welt immer offen. In der neuen Konstellation kann ohne etwas wie TTIP der Welthandel sehr schnell wieder zwischen auseinanderdriftenden Kontinentalplatten versinken; und der deutsche Wohlstand gleich mit.
Ähnlich ist es mit der Ablehnung von internationalen Schiedsgerichten. Solche Gerichte bewahrten die Deutschen und ihre Direktinvestitionen vor sagenhaften 1.200 Billionen Euro Enteignung durch die Kleptokratien in Entwicklungsländern. Heute lehnen die Deutschen das ab – wohl auch, weil die deutsche Politik mittlerweile gar nicht mehr versucht, ihre eigenen klepokratische Entwicklung zu tarnen: Das ersatzlose Ausradieren von Milliardeninvestitionen etwa des staatlichen schwedischen Energieversorgers Vattenfall in Deutschland durch den Atomausstieg finden die Deutschen toll.
Und Auslandsinvestitonen? Sind ja nur die von Konzernen, können also gerne verloren gehen, glauben die meist im öffentlichen Dienst Beschäftigten oder die aus öffentlichen Kassen ausgehaltenen Mitglieder der tonangebenden Schnatter-Klasse. Die IG Metall ist schon etwas nachdenklicher geworden; ohne Export keine Arbeitsplätze. Das beginnen ihre Betonköpfe zu begreifen. Jede Form von Globalisierung und Freihandel dagegen bekämpft Verdi, die vom öffentlichen Dienst. Das Geld kommt ja vom Staat. Wie der Strom aus der Steckdose. Geld muss nur ausgegeben, nicht erwirtschaftet werden.
Die Wirtschaft zahlt und schweigt
Bemerkenswert unglaublich, dass die deutsche Wirtschaft das alles mit sich machen lässt. Aber ihre Führer glauben, durch ein paar Parteispenden Merkel und ihre Minister schon auf Kurs zu kriegen. Lange hat ja Gabriel auch Wirtschaftskurs gehalten, das muss man ihm lassen. Aber zahlen und schweigen reicht nicht. Politik ist kein Geschäftserfüllungsgehilfe. Mehrheiten müssen erkämpft werden, die Menschen müssen überzeugt werden.
Während der Protest von solchen NGO-„Vereinen“ zum Geschäft gemacht wurde, schnarchen die mit Abermillionen ausgestatteten Verbandsfunktionäre der Wirtschaft in den Federbetten des Berliner Hofstaats und essen von den goldenen Tellerchen, die ihnen von Mitgliedsbeiträgen immer wieder gefüllt werden. Den Kampf für CETA und TTIP haben sie an Sozi Gabriel delegiert und als einzige Eigenleistung eine PR-Agentur beauftragt, die im übrigen mehr für den Machterhalt Merkels wirbt als für ihre industriellen Auftraggeber. Politik hat schon auch was mit Kämpfen, Reden, Überzeugen zu tun. Wenn die deutsche Wirtschaft glaubt, darauf verzichten zu können, wird sie auch die Folgen tragen müssen. Mit ein paar Spenden an Greenpeace wird es wohl nicht getan sein – jetzt muss schon mal Stellung bezogen werden. Auch wenn es knallt.
Aus deutscher Sicht sind CETA und TTIP wohl nicht mehr zu retten. Aber nicht, weil die Verhandlungen zugegebenermaßen schwierig sind und Kompromisse an der einen Stelle ebenso erfordern wie Härte an einer anderen. Sondern weil die Europäische Union wild gewuchert ist und vor lauter Wuchern ihre Kernaufgaben aus den Augen verloren hat. Und weil die EU ein Konstrukt ohne Bürger ist, ein Bürokraten-Tango ohne Bodenhaftung, frei schwebend ohne Vermittlung. Irgendwo dazwischen hängt dann die Bundesregierung. Da wird jetzt hilflos mehr Europa eingefordert – wo doch das Vorhandene schon viel zu viel ist.