Wer hätte das gedacht? Friedrich Merz weckt mit einem Überraschungsknaller die verschlafene ZDF-Sendung „Berlin direkt“: Er bedauert, sagt er, dass die SPD nicht auf Thilo Sarrazin gehört, sondern vielmehr aus der Partei ausgeschlossen habe. Und auch die CDU hätte ihn besser lesen sollen. Thilo Sarrazin? Das Schreckgespenst aller Gutmenschen? Immerhin hat er in seinem Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ schon 2010 davor gewarnt, „wie wir unser Land aufs Spiel setzen“ – mit der Kombination von Geburtenrückgang, wachsender Unterschicht und Zuwanderung aus überwiegend muslimischen Ländern. Seither ist Sarrazin der beständige Warner, legt alle zwei Jahre pünktlich wie ein Uhrwerk eine neue Bedrohungsanalyse vor; zuletzt ähnlich hellseherisch „Der Staat an seinen Grenzen“.
Der Staat an seinen Grenzen
Nun ist angesichts der islamistischen Massendemonstrationen in deutschen Großstädten kaum zu übersehen, dass Deutschland munter dabei ist, sich abzuschaffen, und gleichzeitig die Staatsmacht ihre Demonstrationsverbote oder gar ihre selbst erklärte Staatsräson von der Unterstützung Israels nicht durchzusetzen vermag, die Polizei durch immer neue Politisierung entkernt wird, der muslimische Mob weiter erstarkt, die Parallelkultur nicht-integrierbarer Zuwanderer zu stark gewachsen und sich ihrer Macht sehr bewusst ist: Ungehindert dürfen islamistische Agitatoren dazu aufrufen, „alles zu zerschlagen, abzubrennen und zu zerstören“.
Man kann den Merz-Knaller als 180-Grad-Wende bezeichnen, also eine Umkehr in genau die Gegenrichtung, nicht nur bei der CDU, auch bei der SPD. Nur die Grünen folgen ihrer legendären „360-Grad-Wendung“, wie deren Außenministerin Annalena Baerbock in ihrem unfreiwillig kabarettreifen Holperdeutsch vor sich hin gestammelt hat. Die anderen politischen Tanker drehen. Langsam. Aber die Kapitäne auf der Brücke haben das Kommando gegeben.
Massenhaft Abschiebungen?
Olaf Scholz fordert neuerdings die massenhafte Abschiebung. Nun ja, die wird es nicht geben, weil er gleichzeitig die Dreh-Tür in Gang belässt, bei der immer neue Migranten hereinkommen und nur einzelne hinausbefördert werden. Aber seine Rhetorik setzt möglicherweise doch ein Umdenken in Gang.
Andere machen mit. Vor dem Brandenburger Tor versammelte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Granden von Politik und Gesellschaft um sich, um gegen den Krieg der Hamas und für Solidarität mit Israel demonstrieren zu lassen. Immerhin; bislang war er eher als Festival-Veranstalter für die linksradikale Band „Feine Sahne Fischfilet“ aufgefallen, die in einem ihrer Lieder grölt: „„Die Bullenhelme, die sollen fliegen. Eure Knüppel kriegt ihr in die Fresse rein!“ Möglicherweise hat Steinmeier gemerkt, dass die Polizisten in Berlin Neukölln gerade mächtig in die Fresse rein kriegen von den dort wohnenden oder zugezogenen Hätschelkindern der Migrationspolitik. Neuerdings also Musik gegen die linken, sozialistischen Hamas-Anhänger.
Jetzt fehlt nur noch, dass Hans-Georg Maaßen seinen Job als Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz zurückerhält. Den hat er verloren, weil er keine „Hetzjagden“ auf Ausländer in Chemnitz gesehen haben will, wie es die damalige Kanzlerin Merkel und ihr Präsident Steinmeier aus Staatsräson gern gehabt hätten. Noch will ihn die CDU ausstoßen. Dann wäre die Wende perfekt. Die richtige, nicht die Baerbock-Wende. Könnte das ihn daran hindern, seine bisher eher vagen Pläne einer Parteigründung zu realisieren? Es rumpelt ordentlich in der politischen Landschaft, die Ausgestoßenen werden zu Schrittmachern.
Parteigründungen mit alter Programmatik
Denn Parteigründungen liegen in der Luft. Sahra Wagenknecht, in der LINKEN auch eine Ausgestoßene, will ihr neues Bündnis vorstellen, lange genug hat die Embryonalphase ja gedauert. Zumindest reicht ihr damit wohl verbundener Austritt aus der Fraktion der Linken dazu, dass diese ihren Fraktionsstatus im Deutschen Bundestag verliert; was im Wesentlichen den Verlust von vielen mit Steuergeld finanzierten Mitarbeitern und einigen Antragsrechten mit sich bringt. Vor allen Dingen sortiert Wagenknecht damit die politische Lage neu: Es gibt mit ihr wieder eine linke Partei, die Verstaatlichung der Wirtschaft predigt und die Lage der kleinen Leute zu verbessern vorgibt.
Sahra Wagenknecht ist eine Sozialistin vom alten Schlag: Konzerne verstaatlichen, Genossenschaften statt GmbHs, nur Kleinbetriebe in privater Hand, das ist ihr Wirtschaftsprogramm. Sie verbindet es allerdings mit rigoroser Einwanderungsbeschränkung und thematisiert, was die Linke wie auch die SPD schon lange nicht mehr hören wollen: Zu niedrige Renten und Sozialleistungen für die, die lange gearbeitet und Beiträge bezahlt haben – und zurücktreten müssen hinter juvenile „Neuhinzukommende“ mit sofortigem Bürgergeldanspruch. Sie thematisiert auch Jobverluste und stille Enteignung durch Inflation. Es ist das komplette und bekannte linke Programm, das seine Berechtigung hat als wichtige Stimme in der politischen Auseinandersetzung und zur Herstellung einer gesellschaftlichen Balance.
Die SPD hat sich davon abgewandt und singt dafür das grüne Lied von Verzicht, von weniger Wohlstand für Alle und immer höheren Preisen im Supermarkt. Die grüne Planwirtschaft predigt ja „De-Growth“, den Verzicht auf Wohlstand. In den Umfragen liegt mittlerweile die SPD bei 15 Prozent und verkommt nicht nur in Bayern und den neuen Bundesländern Richtung Splitterpartei, die vor der 5-Prozent-Hürde Angst haben muss wie die CSU angesichts der jüngsten Wahlrechtsänderung.
Überraschung bei Medien und der AfD
So flott scheint die Wende, dass der AfD so richtig die Worte fehlen dafür, dass sie vom Ausgestoßenen zum Dirigenten in der Politik wurde. Sie sei das „Original“, rief Parteichef Tino Chrupalla schon im Sommer Friedrich Merz entgegen. Spätestens bei den Landtagswahlen im kommenden Jahr wird sich zeigen, ob die Bürger dann das Orginal wählen oder die gewendete Kopie.
So schnell geht eine Wende, dass selbst die flinkesten Zeitgeist-Schreiber aus dem Ruder laufen. „Ein großartiges Spektakel bietet sich derzeit im engen Hafenbecken der erlaubten Meinungen“, spottet beispielsweise Matthias Matussek. „Die riesigen Medien-Tanker versuchen angesichts der Hamas-Mörder in Israel und der Straßenschlachten ihrer Unterstützer bei uns, die Wende, und wir neuen Medien kommen aus dem Staunen nicht heraus. Oder, je nach Temperament, aus dem Lachen.“ Er schildert, wie er 2015 von der Tageszeitung „Die Welt“ gefeuert wurde, weil er nach dem mörderischen Attentat auf die Diskothek Bataclan in Paris formulierte: „Ich schätze mal, der Terror von Paris wird auch unsere Debatten über offene Grenzen und eine Viertelmillion unregistrierter junger islamischer Männer im Lande in eine ganz neue frische Richtung bewegen.“
Die Richtung blieb allerdings bis vergangene Woche gleich. Recht bekommen klappt in Deutschland nur mit deutlicher Verzögerung.