Schon 1994 war die Kampagne umstritten: Um der lahmenden CDU-Wahlkampagne zum Bundestag Schwung zu geben ließ der damalige Generalsekretär der CDU, Peter Hintze, Wahlplakate mit roten Socken kleben. „Auf in die Zukunft … aber nicht auf roten Socken“ stand darauf.
Kurz davor war die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt für die CDU verheerend ausgegangen; Kohls Versprechen von den „blühenden Landschaften“ glaubten immer weniger Menschen in den neuen Bundesländern, deren Jobs über Nacht verloren waren. In Sachen-Anhalt ließ sich die rot-grüne Landesregierung von Ministerpräsident Reinhard Höppner von der PDS, der Nachfolgepartei der SED und Vorgängerin der Linken, tolerieren. Bei der Bundestagswahl scheiterte die PDS an der Fünf-Prozent-Hürde. Obwohl einzelne PDS-Abgeordnete trotzdem in den Bundestag einzogen, reichte es nicht für eine rot-rot-grüne Mehrheit. Kohl regierte weiter.
War es 1994 die Farbe der Socken?
Vor allem aber geht es um konkrete Politik. Und da bietet die CDU: Nichts.
Die erste Rote-Socken-Kampagne hatte ja das Ziel, auch nur eine Tolerierung der Landesregierung in Magdeburg durch die SED/PDS/Linke zu verhindern.
In der Gegenwart war es die CDU-Kanzlerin Angela Merkel, die den rechtmäßig gewählten FDP-Ministerpräsidenten in Thüringen zum Rücktritt zwang, und es war die Landtagsfraktion der CDU, die Neuwahlen verhinderte – beide Maßnahmen hatten das erklärte Ziel, einen linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow wieder ins Amt zu hieven und dann dort zu halten.
Und plötzlich stören rote Socken? Glaubwürdig ist das nicht. Wer so prinzipiell argumentiert, kann auch nicht damit argumentieren, dass im Bund das rote Mitregieren anders zu bewerten sei als in einem kleinen Bundesland. Wer in Thüringen bis an den Rand des Verfassungsbruchs geht, um einen FDP-Mann abzulösen zu Gunsten eines SED-/Linke-Vertreters, kann jetzt keine Glaubwürdigkeit in Anspruch nehmen. Wer A sagt, muss auch in der Politik B akzeptieren.
Die Zerstörung der bürgerlichen Basis
Aber es geht ja noch weiter. Armin Laschet und Markus Söder sind in der konkreten Politik deckungsgleich mit SPD und Grünen. Die Zerstörung des Rentenversicherungssystems ist unter Merkel leise vollzogen worden, indem die Vorhaben der SPD mit Stimmen der CDU umgesetzt wurden – zu Lasten der jungen Generation. Es gibt keine Kritik von den beiden an der Europäischen Zentralbank, die mit ihrer Nullzins-Politik ein wesentliches Element der Bürgerlichkeit zerstörten: die Fähigkeit, für sich selbst nicht nur zu sorgen, sondern auch vorzusorgen. Unter CDU-Ägide ist die Staatsabhängigkeit von Millionen Menschen des Mittelstands gewachsen, wurden große Teile des wirtschaftlichen Mittelstands zu Kostgängern immer neuer Subventionsmaschinen. CDU und CSU sind längst die Zerstörer ihrer eigenen sozialen Wählerschicht. Und nicht nur bei diesem Thema.
Es ist ein CSU-Minister mit Namen Horst Seehofer, der Merkels Migrationsmaximierungspolitik fortsetzt; zuletzt durch Bundeswehrflüge aus Afghanistan, bei denen die Rettung von einigen Ortskräften zum Vorwand genommen wurde, bereits abgeschobene Schwerstkriminelle wieder ins Land zu holen – zumindest wurde dies sehenden Auges gebilligt.
Es gibt keinen Satz von Armin Laschet, der sich gegen die absehbare Erhöhung des Benzinpreises um 70 Cent zur Wehr setzt. Es gibt aber sehr wohl Markus Söder, der in der TV-Debatte mit Robert Habeck die Ausdehnung eines wirksamen, bundesweiten Mietendeckels in Betracht zieht und damit einen enteignungsgleichen Vorgang bewirbt.
Wann immer die Grünen etwas vorlegen, Söder geht begeistert darauf ein. Er ist wie ein Fußballspieler, der konsequent hinter der gegnerischen Mannschaft herläuft, nie selbst einen eigenen Gedanken entwickelt. Warum sollte man auf seinen Sieg wetten, wenn er auf das falsche Tor spielt?
Wenn aber zwei das Gleiche tun, die Union also linke Politik macht, die kaum von der von SPD, Grünen und LINKEN zu unterscheiden ist – warum soll man dann den einen wählen und den anderen aber gleich gar nicht? Wird in den Wahlkabinen eine Lupe mitgeliefert? Erfolgt die Briefwahl unter einem Mikroskop, das marginale Unterschiede zwecks Unterscheidbarkeit vergrößern soll?
Das Rumpelstilzchen bricht entzwei
Das Problem der CDU und der CSU ist, dass sie sich von ihrer eigenen Wählergruppe verabschiedet haben. Jetzt stampft Söder mit dem Fuß kräftig auf wie weiland Rumpelstilzchen, das zornig darüber ist, dass es erkannt wurde. Die Wähler haben erkannt, dass sie hier linke Politik unter falschem Namen erhalten.
Bricht er auch entzwei, wie sein literarisches Vorbild?
CDU und CSU haben ja nicht nur ihre Wähler verraten. Sie haben viele davon auch beschimpft, verhöhnt, ins Abseits gedrängt. Auch Armin Laschet will den „Kampf gegen Rechts“ forcieren. Das ist eine hübsche Idee. Er kämpft gegen sich selbst und weite Teile der eigenen Partei. Jedenfalls gegen jene Wähler und Parteimitglieder, die den Linkskurs abscheulich finden, seine Genderei lächerlich und Mitglieder seines Kompetenzteams als erwiesenermaßen inkompetent erleben mussten; wo blieb denn in den vergangen 16 Jahren die Digitalsierung, die zuletzt von Dorothee Bär versprochen wurde? Viele davon sind zur AfD abgewandert; als Parteigründer, Mitglieder, Wähler. Die CDU hat einen großen Teil ihrer Wähler nicht verloren. Sie hat sie bewusst aufgegeben. Und sie will sie auch auf gar keinen Fall zurückgewinnen. Sie schielt nach links – und wird dort verspottet.
Erkennbar treibt Söder und Laschet nur die Sorge um, dass die Regierung flöten geht: die schönen Ämter, Dienstwagen, Gehälter. Denn ohne Regierungsamt ist die CDU verloren – und die CSU sowieso. Wer keine Inhalte anbietet, nicht mehr faszinieren kann aus eigener Kraft und Vision, ist darauf angewiesen, Gefolgschaft mit Geld, Macht und Jobs zu erzeugen. Das geht wohl nicht mehr lange. Söder hat das erkannt und spricht von „schwersten Zeiten“, die im Falle einer Niederlage auf die CDU zukämen. Da wenigstens hat er recht. Die Partei wird zerbrechen; ein Teil wird zur AfD abwandern, ein Teil zur FDP, der Rest verkümmern.
Das ist der Zustand der CDU und CSU heute: Eine ausgebrannte Hülle.
Und jetzt soll es die Rote-Socken-Kampagne richten? Es wird nicht klappen. Jedermann spürt die Hilflosigkeit, die schon 1994 Vater des Gedankens war. Aber ein gutes Vierteljahrhundert lang ist eine schlechte Idee nicht gereift, sonder verfault. Weil die Union die roten Socken längst selbst angezogen hat.