Man soll ja an das gute im Menschen glauben. Und das Auftreten der neuen griechischen, im eigentlichen Sinne national-sozialistischen Regierung aus Rechts- und Linksradikalen wirkte in den ersten Stunden vielleicht frech und unverschämt – aber wenn man andere erpressen will, darf man nicht schüchtern daher kommen. In der neuen Regierung sitzen Mathematiker und Ökonomen, die sich mit der komplexen Spieltheorie befasst haben. Also lag der Verdacht nahe, dass hier eine besonders raffinierte Verhandlungsführung auf Europa zukommen könnte.
Aber diese Einschätzung verfliegt. Nun will die NS-Regierung die Zusammenarbeit mit Europa stoppen; boykottieren.
Das ist für Europa gar nicht mal das Schlechteste.
Denn was wird passieren? Schon jetzt leidet Griechenland unter massiver Kapitalflucht. Klar, die Menschen bringen ihre letzten Euros in Sicherheit – in Albanien, in Italien, oder unter der Matratze. Die Banken sind praktisch illiquide; sie werden nur mit äußerster Mühe und mit Unterstützung der Zentralbank aufrecht erhalten. Denn was gerne unterschätzt wird: Nicht die bestehenden Schulden erdrücken Griechenland – Griechenland leistet bis 2020 keinen Schuldendienst. Nach den bestehenden Regelungen sind die zu phantastisch niedrigen 2,2 % verzinsten Schulden bis 2020 tilgungsfrei. Es ist an den Haaren herbeigezogen, wenn jetzt so getan wird, als würden die Schulden Griechenland erdrücken. Es gibt keine Schuldenlast.
Deshalb ändert an der desolaten Lage auch der immer wieder geforderte „Schuldenschnitt“, dieses Zauberwort, nichts. Schulden sind, falls sie nicht unmittelbar getilgt werden müssen, eine abstrakte Größe. Sehr konkret ist die Liqudität, also flüssige Mittel, um etwas kaufen zu können. Und ohne eine Fortsetzung des laufenden Programms geht Griechenland buchstäblich bankrott. Schon jetzt ist die Rentenkasse durch die erzwungene Frühverrentung faktisch pleite; ohne Liquidität kann der Staat seine ausufernden Gehälter nach der Wiedereinstellung von Beamten nicht bezahlen. Das Geld für die versprochenen Sozialleistungen (freie Krankenversorgung etc.) fehlt ebenso. Griechenland braucht also Kredit, frisches Geld, neue Kohle, jede Menge Schotter, jeder umgangssprachliche Begriff passt und verdeutlicht das Drama.
Nun wird es kaum jemand geben, der Griechenland auch nur eine alte Drachme leiht. Diese Bank gibt es nicht, und jeder Manager einer Lebensversicherung würde sofort gefeuert, der griechische Anleihen kauft. Gibt es Geld von den Russen?
Mag sein. Damit kommen wir dem eigentlichen Kern des griechischen Wahns schon näher. Die Syriza ist ja keine normale Partei, die mit europäischen Kriterien beurteilt werden könnte. Sie ist der Zusammenschluss verschiedener altkommunistischer Gruppen. In Europa hat man diese gefährlichen Wirrköpfe irgendwann in den 70ern ausgeschwitzt oder sozialdemokratisiert. In Griechenland haben sie sich wie in einem Museum der verworrenen Geister erhalten. Man übersieht gerne, dass der 2. Weltkrieg nahtlos in einen Bürgerkrieg überging, der im wesentlichen von den Kommunisten geführt und von Stalin mit Waffen unterstützt wurde. Im eigentlichen Sinne endete also in Griechenland der 2. Weltkrieg erst 1949. Es war ein Bürgerkrieg mit Massakern, Erschießungen, Verwüstungen. Jungs wurden entführt, um zu verhindern, dass sich die Gegenseite der Kindersoldaten bemächtigt; viele griechische junge Männer wurden in der Sowjetunion, aber auch in der DDR in Sicherheit gebracht. Über die unvorstellbaren Grausamkeiten des Bürgerkriegs sprechen griechische Offizielle nicht gerne und verweisen gerne auf die unstreitig brutalen Verbrechen der Wehrmacht – die von den Kommunisten und den brutalen Machthabern in dieser blutigen Auseinandersetzung verlängert wurden. Nach einer chaotischen Phase der Demokratisierung kam es zur Griechische Militärdiktatur 1967 bis 1974. Auch dieses „Regime der Obristen“ (siehe den Film „Z“ von Costa Gavras) war brutal, grausam und zerstörerisch. Den Widerstand leistete die moskauhörige, kommunistische Partei. Aus dieser Zeit rührt auch die große Sympathie für Griechenland in Deutschland; nicht nur Gastarbeiter kamen ja, sondern auch viele Regime-Gegner. Willy Brandt mit der Bouzuki sympathisierte mit ihnen und tanzte den Sirtaki beim netten Griechen im Studentenviertel, wo nachts die Teller zerschlagen wurden. Viele griechische Oppositionelle oder ihre Kinder studierten in Deutschland und fanden Zugang zu den K-Gruppen in den Universitätsstädten. Der Kampf gegen die Obristen ist Teil der späten 68er Folklore und der Sympathie für Griechenland, die nach wie vor vielen deutschen Medien den Blick auf die aktuellen Fakten verstellt. Griechenland ist das Hätschelkind der Linken in Europa; romantisch verklärt und mit unkritischer Befreiungsideologie abgeschmeckt – diese Melange hat die Regierung Gerhard Schröder veranlaßt, Griechenland in die Euro-Zone aufzunehmen obwohl allen Beteiligten klar war, dass die wirtschaftlichen Fakten dem brutalste möglich entgegenstehen: Der griechische Beitragsbetrug wurde mit bewusster Unterstützung der deutschen und anderer westlicher Regierungen begangen und ist daher auch keinesfalls den Griechen allein anzulasten: Da haben viele beide Augen zugedrückt.
Diese extrem verkürzte Geschichte sollte man sich vor Augen halten, wenn man jetzt die Politik der Syriza verfolgt. Griechenland ist nach wie vor zerrissen von den damaligen Auseinandersetzungen, die nie aufgearbeitet wurden. Die alte, kommunistische Partei hat einen archaischen Stalinismus konserviert und pflegt eine nach wie vor sklavische Treue zu Russland, die jetzt wieder demonstrativ an den Tag gelegt wird. Hier werden Konflikte und Feindbilder gepflegt, die aus der Zeit des Hitlerismus und Stalinismus stammen – und einer zeitgemäßen Konfliktlösung im Weg stehen. Gerade mit der Syriza brechen alte Konfliktlinien und und werden alte Rechnungen beglichen, die jeder vernünftigen gesellschaftlichen oder wirtschaftliche Reform im Weg stehen.
Daher ist Alexis Tsirpas nicht nach Kriterien der Moderne zu beurteilen, die seine gut geschnittenen Anzüge nahelegen. Er ist Getriebener und Gefangener von Auseinandersetzungen der Nachkriegs- und Obristenzeit, die jetzt in Fragen simpler Saldenmechanik von Staatsschulden ausgetragen werden. Es ist so, das die Vorgänger-Regierungen vielfach korrupt waren, eine archaische Form des Klientelismus pflegten, Reformen verschleppten. Aber die neue Regierung ist nicht modern, sondern ein Rückfall in die Politikmuster der unmittelbaren Kriegs- und Nachkriegszeit. Und daher ist Tsirpas nicht mir rationalen Kalkülen messbar.
Das ist die eigentliche, die wirklich schreckliche Nachricht: Er entzieht sich modernen Konfliktlösungs- und Verhandlungsmechanismen, die in der EU sicherlich nicht perfekt, aber wenigstens so halbwegs funktionieren – es ist der Rückschritt in die 40er Jahre und ihre zerstörerischen Konflikte. Es ist eine gefährliche Revolutionsromantik, die von vielen Deutschen nachvollzogen wird und so archaisch und schädlich ist. Nicht mehr um nüchterne Zahlen und Reformen geht es – sondern um das Gute im Kampf gegen das Böse Diese Haltung kann Europa wirklich in die Stücke sprengen – wenn man so dumm ist, sich auf das Spiel der kranken Altkommunisten und ihrer vergrauten Sehnsüchte nach Rache und Weltrevolution einzulassen.