Tichys Einblick
Johnsons Lehrstücke

Brexit? Sechs Alarmsignale aus Großbritannien für die GroKo

Der große Erfolg von Boris Johnson ist nicht nur auf seine Haltung zum Brexit zurückzuführen. Über seine Innen- und Wirtschaftspolitik wurde in Deutschland kaum berichtet. Dabei könnte sie ein Signal sein für die GroKo.

DANIEL LEAL-OLIVAS/AFP via Getty Images

Es ging in Großbritannien nicht nur um den Brexit; das Thema ist durch. Es geht auch um Innen- und Wirtschaftspolitik. Unser Kollege Nikolaidis hat die entsprechenden Punkte vor der Wahl analysiert – und nach der Wahl sind sie wie ein Warnsignal für die deutsche Politik.

1. Einwanderung

Wenn es nach Johnson und den Tories geht, soll es künftig drei Arten von Visa für Einwanderer ins Vereinigte Königreich geben: eines ohne weitere Anforderungen für Personen mit »außergewöhnlicher Begabung« – Nuklearphysiker und Primaballerinas sind die Beispiele des Premiers. Eine zweite Variante soll für gelernte Fachkräfte ausgestellt werden, die ein Jobangebot zum Beispiel im Gesundheitswesen nachweisen können. Daneben sollen befristete Visa auch für ungelernte Arbeiter ausgestellt werden, um Engpässe zu bewältigen. »Wir wollen die Besten und Klügsten für unser Land und unsere Wirtschaft«, heißt es dazu in einer Handreichung für konservative Wahlkämpfer, »egal ob als Unternehmensgründer, zum Studium oder in unseren öffentlichen Diensten, namentlich dem Gesundheitssystem.« Johnson will sein Land nicht abschotten, aber eine demokratische Kontrolle der Einwanderung herstellen; eben das ermögliche der Brexit. Das neue Einwanderungssystem soll punktebasiert sein wie in Australien und so den Zustrom gering Qualifizierter einschränken.

2. Sicherung des Sozialstaats

Daneben sind die Tories besorgt um die Fairness im staatlichen Wohlfahrtssystem. Zuwanderer aus der EU sollen in den ersten fünf Jahren kein Recht auf staatliche Leistungen haben. Außerdem soll Kindergeld nicht mehr in andere Länder überwiesen werden (was in der EU immer noch die Regel ist).  Kommen uns die Themen irgendwie bekannt vor? Kindergeld für Kinder, die nicht in Deutschland wohnen, sind seit Jahren ein Problem. Es ist nicht lösbar. Aber die Sicherung des Sozialstaates ist kein Thema in Deutschland. Zwar sinken Renten und Leistung der Krankenversorgung kontinuierlich und sichtbar ab. Immer mehr Renten liegen auch nach jahrzehntelanger Schufterei und Beitragszahlung an der Grenze zur Sozialhilfe und damit auf einem Mindestversorgungsniveau, während Hunderttausende von Einwanderern allein durch den Grenzübertritt lebenslangen Anspruch in eben dieser Höhe kriegen. Und die Umverteilung geht erst so richtig los. Deutschland wird, wenn es nach der von der GroKo vereinbarten Grundrente geht, zukünftig entsprechende Rentenerhöhungen auch an Bürger anderer europäischer Staaten zahlen. Auch wenn sie nur einen Teil ihrer Arbeitsjahre in Deutschland verbracht haben – ihre Rente in Warschau, Malaga oder Budapest wird erhöht, mit freundlichen Grüßen aus Berlin und stiller Wut der Beitragszahler.

3. Klima-Notstand? Wo genau?

Eifrig wurde am Tag der Briten-Wahl in Brüssel über ehrgeizige „Klimaziele” verhandelt. Europa, jedenfalls das der EU-Staaten, die sich großsprecherisch als das einzige, das wahre Europa fühlen, dieses Europa also soll bis 2050 „klimaneutral” sein. Die osteuropäischen Staaten opponieren. Aus gutem Grund. Sie erhalten daher massive Milliardensubventionen, um ihre Energieversorgung umzubauen. Für Deutschland ist das eine bedrohlche Nachricht. Deutschland leidet wegen Merkels Energiewende unter den höchsten Stromkosten. Allein der Ausstieg aus der Braunkohleindustrie kostet zehntausende Arbeitsplätze und den Steuerzahler weitere schätzungsweise 80 Milliarden Euro. Jetzt wird also der Abbau der Kohleindustrie auch in Polen mit deutschem Geld finanziert.

Auch einen »Klimanotstand« können die britischen Konservativen nicht erkennen. Notstand ist ein anderes Wort für undemokratische Maßnahmen, und genau dagegen wehrt sich Großbritannien. Trotzdem will Johnson pragmatische Maßnahmen ergreifen, um den CO2-Ausstoß zu senken. Das dürfte auch ein Versuch sein, den Klima-Fundamentalisten den Wind aus den Segeln zu nehmen; und die felsige Küste vor der Insel hat schon bisher den Aufbau von Windparks im Meer erleichtert; zudem weht über den Atlantik eine schärfere Brise als über der Badewanne, die Nord- oder Ostsee heißt. Umweltschutz ist ja bekanntlich ein konservatives Thema. Durch Aufforstung und die Renaturierung von Mooren soll Großbritannien bis 2050 „CO2-neutral” werden. Großbritannien setzt auch weiterhin auf Kernkraft. Deutschland ist entsetzt.

4. EZB-Politik

Woher kommt das Geld für den europäischen „Klima-Notstand”? Vermutlich wird es einfach gedruckt. EU-Europa hat ja die Europäische Zentralbank. Diese will sich zukünftig der Finanzierung eines „Green Deals“ widmen. Nicht mehr um Währungspolitik und Sicherung des Geldwertes geht es, sondern um Investitionslenkung in Bereiche, die der gleichlautende „Green Deal“ der neuen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erzwingen will. Das ist ein Anschlag auf Wohlstand und Vermögen. Aber Europa hat mit Großbritannien jetzt allerdings auch einen sicheren Hafen für Anleger, die der selbstzerstörerischen EU-Politik nicht folgen wollen.

5. Wie werden ARD und ZDF finanziert?

Und dann ist da noch ein weiteres Thema, das in Deutschland tabuisiert wird und vielleicht die Verzweiflung bei ARD und ZDF an Johnsons Wahlsieg erklärt. Der Mitarbeiter eines Speditionsunternehmens fragte Johnson in einer öffentlichen Fragestunde, was er eigentlich mit der britischen Rundfunkgebühr vorhabe, die vor allem der traditionsreichen BBC zugutekommt. Johnson reagierte erst zögerlich, hielt Rücksprache mit einem Berater, stellte aber schließlich fest:

»Ich soll hier zwar keine Ad-hoc-Maßnahmen aus dem Stand versprechen. Aber langfristig muss man sich fragen, ob diese Art der Finanzierung für ein Massenmedium noch Sinn ergibt, zumal wenn man sieht, wie sich andere Medien finanzieren.«

6. Das Chaos-Programm von Jeremy Corbyn als Vorbild

Das Programm von Labour liest sich im Vergleich dazu alles in allem ziemlich phantastisch; es ist definitiv das geeignete Vorbild für die SPD, um den Untergang zu vollenden: Innerhalb von zehn Jahren wollte man flächendeckend zu einer 32-Stunden-Woche kommen, angeblich ohne Einkommensverluste für die Arbeitnehmer, da zugleich die Produktivität steigen würde. Große Firmen sollten dazu verpflichtet werden, zu mindestens 10% in den Besitz der Belegschaft überzugehen. Dividenden sollten ebenfalls bis zu einer Grenze von 500 Pfund im Jahr unter den Arbeitnehmern verteilt, alles was darüber liegt, in einen Klima-Fonds eingezahlt werden. Betriebsvorstände sollten zu einem Drittel von »Arbeiter-Direktoren« besetzt werden. Daneben sind natürlich Steuererhöhungen auf dem Plan von Labour und eine Option auf die Legalisierung harter Drogen.

In Großbritannien gibt es keine wirkliche grüne Partei. Corbyn wird als Berater von Annalena Baerbock und Robert Habeck dringend gebraucht, Zeit dazu hat er ja jetzt.

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