Tichys Einblick
Eine Erinnerung

Braucht die Regierung auch ein Volk?

Die Regierenden sind ziemlich unzufrieden mit dem Volk: Es will nicht so stehen und gehen, wie die Ampel will. Und jetzt? Noch mehr Medienbeschallung zu Polizeiknüppel und grünem Reizgas? Regieren gegen die Bevölkerung geht nicht gut aus.

imago Images

Regierungen in Deutschland haben reichlich schlechte Erfahrungen mit dem Volk. „Das Volk hat das Vertrauen der Regierung verscherzt. Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?“ Diese Frage stellte Bert Brecht nach dem Aufstand in der DDR gegen den Sozialismus. 

Nicht um das Impfen geht es – sondern um das Recht

Nun wäre es falsch, das heutige Deutschland mit der DDR zu vergleichen; 90 Prozent der Bevölkerung haben damals nicht gegen die Regierung protestiert. Heute geht es nicht um eine Systemfrage, sondern nur um einen vergleichbar simplen Vorgang: Impfung gegen Corona oder nicht? Aus der vergleichsweise bescheidenen Fragestellung hat die Staatsmacht eine Grundsatzfrage gemacht: Werden wir doch mal sehen, ob wir eine Impfung durchdrücken, deren zeitliche Dauer gerade noch drei Monate beträgt und die Gezwungenen nicht einmal in diesem kurzen Zeitraum zuverlässig schützt.

Die gefährlichsten Gegner der Impfung sind nicht Ungeimpfte – sondern die viel größere Zahl der Geimpften, geschützt vor Masern und Pocken und meist bereits doppelt gegen Corona. Aber Piks drei verweigern sie, weil sie Piks vier, fünf oder sechs fürchten; ein Abo auf einen fragwürdigen Impfstoff, das man nicht mehr loskriegt wie das Abo einer Zeitung, die einem das immer wieder einhämmern will, was man nicht lesen mag. Und während die Lauterbachs noch neue Antworten suchen, kommt eine weitere Gruppe dazu: die wirklich besorgten Bürger. Denen geht es um Einigkeit und Recht und Freiheit.

Diese Zeile des Liedes der Deutschen sollte man sich vorsummen, wenn den Bürgern wie in München oder Sachsen das Demonstrationsrecht einfach weggenommen wird. Demonstrationen, und mögen sie noch so bescheuerte Ziele einfordern, sind das letzte Bürgerrecht vor dem offenen Widerstand. „Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln“, so Artikel 8 Satz 1 Grundgesetz; diese kleine Nachhilfestunde in Verfassungsrecht ist kostenfrei für die Kretschmanns und Kretschmers, die Söders und Scholzens dieses Landes. 

Demonstration braucht weder Anmeldung noch Erlaubnis

Und die allermeisten Medien faseln dann wieder von unerlaubten Demonstrationen oder berichten von untersagten Demonstrationen. Für die Kolleg*innen zum Nachlesen: Versammlungen müssen in Deutschland nicht erlaubt oder genehmigt werden. Allerdings sind öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel – also auch Demonstrationen – bei der Polizei oder beim Ordnungsamt anzumelden: schriftlich, per Fax oder telefonisch und spätestens bis 48 Stunden vor ihrer Bekanntgabe (§ 14 Versammlungsgesetz (VersG)), mit Ausnahme von Spontan- und Eilversammlungen.

Und damit auch das klar ist, wenn Oma mit dem Handy wieder niedergeprügelt wird: Teilnehmer dürfen Film- und Bildmaterial von Polizeikräften anfertigen, ohne sich automatisch ausweisen zu müssen (Vgl. AZ 1 BvR 250/13). Umgekehrt dürfen Demonstranten von der Polizei nur dann gefilmt werden, wenn ein bestimmter Anlass – beispielsweise die Ausübung von Gewalt – gegeben ist.

Gegen das Grundgesetz

Die diversen Regierungen lassen also gegen den Geist des Grundgesetzes in diesem Land verbieten, was sie laut Verfassung nicht verbieten dürfen? Schlimmer noch: Sie machen sich lächerlich, und sie zerstören gleich noch andere Institutionen dieses Landes mit.

Lächerlich ist es, wenn in Frankfurt an der frischen Luft Polizisten mit „Abstandsmessern“ durch die Reihen gehen; zu durchsichtig ist der Versuch, hier einen Verstoß gegen das Infektionsschutzgesetz zu suchen, um einen Verbotsvorwand zu finden.

Lächerlich ist es, wenn wie in München die Polizei auch noch das Spazierengehen versucht zu unterbinden, eine Art Ausgangssperre für Fußgänger durchsetzen soll: Dann kommen sie halt, wie geschehen, per Fahrrad.

Merke: Die Polizei ist darauf angewiesen, dass vermutlich 98 Prozent der Bevölkerung staats- und gesetzestreu sind. Die Polizei gegen die Regierung – das ist dann nicht mehr dieses Land, das ist dann nicht mehr Demokratie, und das ist dann nicht mehr Rechtsstaat. Und übrigens: Ohne Volk lässt sich nicht regieren, denn das Volk unterhält die Regierungen, nicht umgekehrt. Politiker sind nur leitende Angestellte auf Zeit, in der Regel vier Jahre.

Wollen wir das, was so geschieht? In Chemnitz berichtet der Einsatzleiter im Sprachduktus genau eines solchen Zustands mit stolzgeschwellter Ordensbrust:

„Bis zu 180 Personen in der Spitze kamen in Oelsnitz/Erzgeb. zusammen und führten gegen 19:30 Uhr verbotenerweise einen Aufzug durch das Stadtgebiet durch. Die zur Verfügung stehenden Einsatzkräfte dokumentierten dies, um im Nachgang Identitäten der Teilnehmer feststellen zu können und entsprechende Anzeigen zu fertigen …

In bewährter Manier verhinderten Polizisten in Zwönitz, dass sich Teilnehmer eines Corona-Protestzuges auf dem Markt sammeln konnten. Wie in den Vorwochen wurden dort die relevanten Zugangspunkte durch Sperren blockiert. Gegen 19:20 Uhr konnten die Einsatzkräfte in der Neue Straße rund 100 Personen feststellen, die offenkundig einen unzulässigen Aufzug durchführen wollten.“

Mein Gott, wie unanständig, wie lächerlich, wie peinlich, Herr zuständiger Polizeidirektor in Chemnitz! Klar, da beruft man sich auf die Spitzenpolitik. Es sind ja keine Menschen, sondern „Aasgeier“, wie Wilfried Kretschmann von den Grünen sie beschimpft, sie sind „gewissenlos“ (Olaf Scholz) und gehören aus dem „gesellschaftlichen Leben ausgegrenzt“ (Tobias Hans, Ministerpräsident im Saarland).

Woher kommt diese maßlose Beschimpfung von Menschen, die anderer Meinung sind? Was geht da vor in den Köpfen, die geifern, toben, beschimpfen wegen einer so kleinen Sache? Ohne Piks zum Volksfeind – so schnell geht das, und wer nachfragt, gleich mit? Und eine grüne Abgeordnete, ihren Sessel im Deutschen Bundestag hat sie noch gar nicht angewärmt, Berufserfahrung natürlich unter Null, fordert schon Schlagstock und Reizgas gegen Demonstranten, ganz als ob Berlin über Nacht nach Minsk verlegt worden wäre.

Sind wir noch ein Land?

Wenn Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ein wirklicher Präsident der Deutschen wäre, würde er seine eigene Weihnachtsansprache nochmal vom Teleprompter ablesen – und dann danach handeln: „Wir sind ein Land. Wir müssen uns auch nach der Pandemie noch in die Augen schauen können. Und wir wollen auch nach der Pandemie noch miteinander leben.“ Gut gesprochen, jetzt verhalten Sie sich danach.

Aber weil es noch nicht reicht, werden gleich noch andere Institutionen abgeräumt. Die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts ist es, die Bürger vor einem übermächtigen Staat zu schützen. Wenn man natürlich Figuren wie Merkels Schleppenträger Harbarth da hinsetzt, dann wird der Auftrag umgewandelt: in Schutz des Staates vor seinem Bürger. Und wenn wie in Schweinfurt „Schnellgerichte” aburteilen, was bei linken Demonstranten zur Folklore am 1. Mai zählt, nämlich Rempeleien, während nach der G20-Verwüstung in Hamburg 2017 drei Jahre lang weitgehend ergebnislos nach Tätern, nach Brandstiftern, Plünderern gesucht wird, die mit Betonplatten und Stahlkugeln tatsächlich Mordanschläge auf Polizisten versucht haben: in Schweinfurt jetzt Schnellurteile und einst in Hamburg sanfte Justiz.

Dann machen sich Staatsanwälte und Richter mitschuldig. Oder sind es doch nur „Richterlein“, als die sie „Weltärztepräsident“ Montgomery verspottet? Kriegen die Schweinfurter Richter alle eine Einladung in den Herkulessaal der Bayerischen Residenz zu Ministerpräsident Markus Söder, wenn sie „Scharfrichter” markieren?

Die Regierung braucht uns, nicht wir die Regierung

Gott sei Dank wird immer mehr Bürgern bewusst, was hier vor sich geht. Die Regierung braucht uns als Steuerzahler, als Angestellte, Lehrer, Beamte, Journalisten, Unternehmer, Selbständige und einfach als Bürger ohne Amt, Würden und Einkommen. Wir müssen Regierungen nicht ertragen, aber sie uns. Wir können sie abwählen – aber sie nicht uns.

„Angesichts der sich wöchentlich wiederholenden Versammlungen und dadurch notwendigen Polizeieinsätze entstehe das Gefühl, dass die Polizei als Ersatz des politischen Meinungsstreits missbraucht wird“, erklärte Landeschef der sächsischen Polizeigewerkschaft Hagen Husgen. „Gesellschaftliche Probleme lassen sich aber grundsätzlich nicht mit polizeilichen Mitteln lösen.“

Das gesellschaftliche Problem ist allerdings viel tiefergehender als Corona. Es ist ein Unverständnis der Regierenden über das Wesen ihrer Aufgabe. Der Treueeid, wie er vom Bundeskanzler und Bundesministern und in ähnlicher Form auch auf Landes- und sogar Beamtenebene abgelegt wird, sagt alles, und es ist traurig, dass man für einen heutigen Text die Sätze aufschreiben muss: 

„Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.“

Das mit dem Gott sagen sie nicht mehr so gerne. Das ist okay. Aber nicht darin enthalten ist der Satz: „Wir transformieren dieses Land gegen den Willen des deutschen Volkes (Letzteres wollen wir schon gleich gar nicht kennen) in eine rotgrüne Zukunftswelt, in der wir tun und lassen können, was wir wollen, wie wir wollen, in der wir wegprügeln, wen wir wollen, so weit uns die große Klimagöttin helfen mag.“

Und zum Schluss eine Anmerkung: Es wäre dies die Stunde der Opposition. Aber die Vertreter der nun größten Oppositionspartei, der CDU, haben nichts Besseres zu tun, als sich als Hilfsregierung ohne Auftrag anzubiedern. Sie wollen Hilfssheriff spielen im „Kampf gegen Rechts”, statt der Regierung entgegenzutreten, wenn diese die Grundsätze von Recht und Demokratie missachtet. Aber das würde ja Mut verlangen, Mut vor dem Kanzlerthron. Und den haben die von der CDU nicht.

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