Tichys Einblick
"We're gonna get Brexit done!"

Boris Johnson oder schon wieder ein Land, das nicht wählt, wie Berlin will

Natürlich wird Johnson hart kritisiert werden - und es wird ihm egal sein. Ergebnisse zählen. Für Großbritannien wird es holprig, aber lieber holprig bergauf als glattgebügelt auf dem Weg nach unten.

Jeff J Mitchell/Getty Images

Boris Johnson wird aller Voraussicht nach der nächste britische Premierminister. Johnson selbst hat drei Ziele formuliert: 1. den Brexit durchführen – und zwar pünktlich zum 31. Oktober. 2. Außerdem die eigene Partei wieder einigen und 3. einen Wahlsieg von Labour unter deren Chef Jeremy Corbyn verhindern. Die Punkte zwei und drei sind Innenpolitik, wenn auch mit Außenwirkung. So schräg und schrill Johnsons Auftritt auch sein mag – Corbyn wird ihn kaum stoppen können. Im Zweifel wählen die Briten schwarzen Humor, aber nicht zur Schau gestellte Verbitterung.

Entscheidend ist das Vorgehen von Johnson beim Brexit. An der Mehrheit im Unterhaus hat sich nichts geändert und damit auch nichts an der notorischen Uneinigkeit, die die bisherigen Brexit-Verhandlungen hat scheitern lassen; aber klar ist: Der Blick auf die EU hat sich geändert.

Aus dem gequälten, selbstgewählten Abgang aus der prosperierenden EU wird mit jedem Tag mehr in der Wahrnehmung eine Flucht vor einem Monster an Bürokratie, Ineffizienz und Schieberei. Nach dem Theater um einen Spitzenkandidaten, der pünktlich mit dem Ende der Wahl keiner mehr war, mit der wirklich peinlichen Bestellung einer Politikerin wie Ursula von der Leyen zum Kommissionspräsidenten, einer Politikerin, die nicht kompetent für das Amt ist, sondern auf der Flucht vor den Folgen ihres Missmanagements als Verteidigungsministerin – spätestens seither ist die EU kein Versprechen für eine gute Zukunft mehr, sondern verwandelt sich eher in eine Bedrohung. Das ist das bittere Fazit vieler bislang überzeugter Europäer – auf der Insel, aber auch auf dem Kontinent. Der Brexit führt nicht in die Sackgasse, sondern ist eine Flucht nach vorne.

Denn rundum nehmen die Konflikte zu: Frankreichs Premier Emmanuel Macron wirft den Italienern vor, keine Mittelmeer-Passagiere auf dem Weg nach Deutschland aufzunehmen – und sperrt seinerseits die französischen Häfen und lässt „Fluchthelfer“ als Kriminelle bestrafen. Die Osteuropäer haben begriffen, dass für sie Brüssel nur zählt, wenn es auszahlt. Das ist verständlich, aber nicht gerade vertrauensbildend. Sie haben sichtbar den Respekt vor diesen Werten der EU und den wertlosen Worten verloren; der Scheck zahlt nicht Sprüche.

Frankreich fährt unter Macron einen Kurs, der mit Glorienschein den Weg einer prekären Nation von Grande zu Bankrott überblenden soll. Deutschland in der Mitte ist orientierungslos und mit seiner auf Infantilität ausgerichteten Politik in der Migrations-, Wirtschafts- und Klimapolitik zu einer Bedrohung des inneren Friedens auch der anderen Mitgliedstaaten geworden. Wer will schon die Suppe auslöffeln, die sich die Deutschen selbst einbrocken und dann ihren Nachbarn in die Teller kippen? Man beginnt Angst zu kriegen um dieses EU-Europa, aus vielerlei Gründen, nicht nur mit Blick auf das Spitzenpersonal.

Boris Johnson ist bereit, einen harten Brexit zu riskieren. Darin liegen Gefahren für die britische, aber auch für die deutsche Wirtschaft. Klar, wer handelt, scheut jedes Hindernis und jedes Schlagloch auf der Export-Straße. Aber mal ehrlich: Das alles sind überwindbare Probleme. Notfalls erhebt Großbritannien eben keine Einfuhrzölle für eine gewisse Phase; möglicherweise sinkt die Wirtschaftsleistung der Insel, weil die Exporte Richtung Kontinent von verstockten französischen Zöllnern zum Stocken gebracht werden.

Die Schäden werden allerdings auch in Frankreich und Deutschland zu Buche schlagen und in der EU besonders: Mit Großbritannien verliert die EU ein Mitglied, dessen Wirtschaftskraft jener der 18 kleinsten Volkswirtschaften der Gemeinschaft zusammen entspricht. Tausche Großbritanniens Mitgliedschaft gegen den Beitritt Albaniens – das ist auf ein kurzes Bild gebracht die Lage. Der arrogante Stolz der Brüsseler Bürokraten gegenüber Großbritannien ist materiell nicht unterfüttert.

Großbritannien kann dann jene Ziele verfolgen, die Johnsons Vorgänger Cameron immer wieder wiederholt hat bis zum Erbrechen und auf die die EU nicht eingehen wollte: Weniger statt mehr Bürokratie, weniger Brüssel statt noch mehr Brüssel in jedem einzelnen Yoghurtbecher, mehr wirtschaftliche Leistung statt immer noch mehr Umverteilung von Leistungserbringern zu Leistungsverbrauchern, vernünftige Lösung der Bankenkrise statt Zerstörung der wirtschaftlichen Grundlagen durch eine falsch geführte EZB. Die wird mit Christine Lagarde zu einer Geldbeschaffungs-Außenstelle des französischen Finanzministers herabgestuft: Die Fehlentwicklung der EU ist  keine kuzrfristige, sondern strukturell veranlagt und personell bestens gerüstet.

Ob Boris Johnson es beim harten Brexit krachen lassen wird? Vielleicht. Wie sein Vorbild Donald Trump tritt er laut auf, um dann leise das Maximum herauszuholen. Er ist ein Spieler, ein Dealmaker, wie Trump persönlich reich und trotzdem der Star für einfache Wähler. Die zählen die Pennys in der Tasche und nicht die Anzahl der möglichen Geschlechter, die im Einwohnermeldeamt anzugeben sind. Die verwirrte „Identitätspolitik“ der EU-Nomenklatur ist diesen Wählern fremd, ihr Leben und ihr persönliches Auskommen zählen und nicht der aufgezwungene Wille der letzten erfundenen Minderheit, die ihren Triumph über die Mehrheit auskosten will. Johnson ist der, denn man üblicherweise als Populist beschimpft. Die Riege der regierenden Populisten wird nur immer länger – Ungarn, Polen, Tschechien, Italien. Ist es eine Folge der globalen Abgehobenheit, die jetzt wieder auf die Füsse gestellt wird? Zählt auch wieder der Nahbereich, nicht nur die globale Wolke? In Sachen Migration ist Großbritannien Deutschland voraus, in allen negativen Aspekten; Political Correctness ist eine Seuche hüben wie drüben; die Infrastruktur verfallen, die industrielle Substanz ausgebrannt. Er wird viel zu tun haben. Die Risiken sind enorm.

Natürlich wird Johnson hart kritisiert werden – und es wird ihm egal sein. Deutschland ärgert sich mal wieder, dass ein Land es wagt, sich anders zu entscheiden als es Berlin gefällt. Die ihm anerzogene Arroganz der britischen Elite wirkt wie ein Teflon-Bezug. Ergebnisse zählen. Insofern kommen auf die EU harte Zeiten zu, die ihr heutiges Aussehen und ihr Personal in Frage stellen. Für Großbritannien wird es holprig, aber lieber holprig bergauf als glattgebügelt auf dem Weg nach unten.

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