„Ein jeder soll nach seiner Façon selig werden“. Das sagte der alte Fritz 1740 und holte Hugenotten, Katholiken und Juden in sein preußisches Königreich. Ein jeder nach seiner Art und Weise, wie es ihm gefällt – nichts ist so schwer. Jetzt tobt ein neuer Krieg – zwischen Müttern, die ihre Kinder in der Kita abgeben, und denen, die sie zu Hause großziehen. Gerade hat das Bundesverfassungsgericht 150 € Betreuungsgeld für zu-Hause-Mütter gestrichen – aber 1.500 Staatszuschuss für jeden Krippenplatz ist ok. Das versteht zwar keiner, aber das Gericht hat entschieden und die Weichen gestellt. Die Frage ist nur noch: Soll das Betreuungsgeld in noch mehr Kitas investiert werden? Möglichst in 24-Stunden-Kitas, wie sie etwa Familienministerin Manuela Schwesig bejubelt?
Familie ist von „vorgestern“
Ja, sagt SPD-Vize Ralf Stegner. Kinder selbst erziehen sei als Leitbild von „vorgestern“. Eine bemerkenswerte Aussage. Andere SPD-Poltiiker fordern: „Keine Mutter kann ihrem Kind das bieten, was eine Krippe bietet“, so Vera Reiß. Sie ist nicht Produktionsministerin der DDR, sondern in Rheinland.Pfalz, wie die FAZ notierte.
Familienministerin Manuela Schwesig behauptet, Krippenkinder hätten „verdoppelte Chancen, später ein Gymnasium zu besuchen“. Das stimmt zwar nicht, aber Mathe war noch nie ihre Stärke und gilt nicht diesem Kampf der Mütter. Kommt jetzt sogar die Kita-Pflicht? Müssen Frauen immer in die Betriebe? NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft fordert schon seit Jahren: Wir müssen „sicherstellen, dass alle Kinder da sind“. Grünen-Chef Cem Özdemir will über eine „Kita-Pflicht sachlich reden“. Auch die Wirtschaft fordert die totale 24-Stunden-Kita. Klar, Großkonzerne wollen die Arbeitnehmerin und den Arbeitnehmer ohne Baby-Pause. Kinder stören den Betriebsablauf; Qualifikation verfällt, Ersatz ist teuer und schwer planbar. Aus Sicht der Unternehmen ist Familie „Reproduktion“, und die wird automatisiert. „Der Staat muss die ganztägige Kinderbetreuung viel stärker ausbauen“, fordert Rainer Dulger, Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall in der „Welt“.
Gemeinsam: Gewerkschaften und Unternehmen
Auch Gewerkschaften sind längst auf der Seite der Kindheits-Verplaner. Schließlich haben Erzieherinnen das Zeug zur Mitgliedschaft; eine Sektion „Mütter/Väter“ gibt es bei Verdi noch nicht. Gegen wen sollen die auch streiken? Gegen die eigenen Kinder streikt man nicht, das machen nur Erzieherinnen und Erzieher. Ein seltsamer Automatismus hat Platz gegriffen: Erziehungspausen verfallen, werden wieder auf das gesetzliche Minimum des Mütterschutzes reduziert, vermeintlich freiwillig wird abgekindert, um nicht als Wachstumshemmnis (für das Firmenwachstum) zu gelten. „Die Krippe ist ein Menetekel der Frauenrechte und der Gleichberechtigung oder aber des zu hundertfünfzig Prozent jederzeit und überall verfügbaren, sich selbst und seine Familie optimierenden Mitarbeiters“, wundert sich selbst die FAZ.
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Die neue Einheitsfront sollte einen misstrauisch machen. Nun hat ja niemand ernsthaft etwas gegen die Unterstützung von Eltern und ihrer Berufstätigkeit durch Kitas. Doch längst sind sie die neue Norm, der sich Jeder und Jede unterzuordnen hat. Es fehlt das, was lange mit „Wahlfreiheit“ beschrieben wurde: Zunächst gab es sie nicht, weil keine Kinderbetreuung verfügbar war. Jetzt schlägt das deutsche Norm-Pendel in die andere Richtung – die Kita wird zu Norm, die Erziehung als eigene Leistung zur absonderlichen Form eines neuen Assitums- oder aber eines extrem elitären Bewusstseins: Wer besonders gut verdient, leistet sich wieder Familie.
Niemand hat was gegen Kitas – aber die neue Norm der ständigen Verfügbarkeit und der Unterordnung führt dazu, dass sich jetzt sogar viele Kita-Mütter dagegen zu wehren beginnen, dass sie nur noch Wirtschaftsfaktoren sein sollen. „Wenn Kinder nur dazu da sein sollen, morgens in die Kita gebracht und abends abgeholt zu werden, DAS kann es nicht sein! Ist auch ungerecht den Kindern gegenüber. Sie haben sich ja nicht von allein in die Welt gesetzt,“ wittert „Jeany“.
Die neue soziale Frage
Besonders daheim-Erzieherinnen fühlen sich benachteiligt, ausgegrenzt, abgewertet. Früher wurden Frauen im Beruf als Rabenmütter beschimpft – heute fühlen sich Frauen, die „nur“ Kinder erziehen, verhöhnt. Ihre Arbeit wird übersehen, werden sie als unfähig, dumm oder sogar versoffen dargestellt werden, weil sie angeblich keine „Sozialkompetenzen“ vermitteln. „Jetzt wird mir auch noch meine Würde geraubt“, sagt Christine Veicht, sieht sich von den Stegners und Schwesigs als total bekloppt hingestellt. „Gilt nur bezahlte Arbeit etwas – ich bezahle doch mit meinem Leben“. Und warum werden ständig fragwürdige Studien propagiert, „wonach Kinder sich besser entwickeln, wenn sie NICHT von Müttern betreut werden?“; stellt Veicht in einem neu erschienen und hier besprochenen Buch die herrschende Lehre in Frage. Die soziale Frage stellt sich neu – aber anders.
Da regt sich ein neuer Sozialneid: „Ich beneide all jene Mütter, die den Luxus und das Glück haben, sich um ihre Kinder kümmern zu können“, so noch einmal Jeany. Familie wird zum anachronistischen Luxusartikel für diejenigen, die sich gegen die neue Norm der Verfügbarkeit und Nützlichkeit zur Wehr setzen können. Es ist eine brutale Auseinandersetzung. Die Veränderung ging schnell: Waren noch vor 2 Jahren Kita-Plätze in Westdeutschland rar, sind sie jetzt die neue Norm. Und die Ideologie der Verfügbarmachung herrscht und bestimmt Denken und Medien.
Es hat etwas Seltsames, wenn Mütter von der neuen Allparteienfront der Kita-Fans und ihrer publizistischen Büchsenspanner plötzlich als Kinderschädlinge dargestellt werden. Offensichtlich taugen Frauen in der neuen Freiheit gerade nur als „Gebärmaschinen“ – ihre Brut muß von wahren Profis großgezogen werden. Und flugs rechnen die volkswirtschaftlichen Milchmädchen vor, dass nur so das Bruttosozialprodukt zu steigern sei. Das ist zwar unlogisch – so kostet ein Kind in der Staats-Kita deutlich mehr, als ihre Mutter an der Aldi-Kasse verdient. Und eine Wohlstandssteigerung, die nur „Marktpreise“ als Wohlstandsindikatoren aufnimmt, übersieht, dass jede Eigenleistung, auch wenn sie nicht mit Geld bezahlt wird, auch Wohlstand stiftet. Jeder zusätzliche Autounfall ist danach wohlstandssteigernd – schließlich geht die bezahlte Reparatur ins Bruttoinlandsprodukt ein, die unfallfreie Fahrt dagegen nicht.
Und nun also Kita-Kinder als Unfall
Aber sind bezahlte Erzieherinnen immer besser als Mütter? Ist das, was früher das Wertvollste war im Leben, heute ein Betriebsunfall, der das Bruttosozialprodukt schädigt? Viele Mütter fühlen sich als neue Armuts-Gruppe. Manche überlegen schon, ob der Krieg gegen die Familien einem ideologischen Muster folgt – wird Familie aufgebrochen, vereinzelt, steigt die Abhängigkeit vom staatlichen Schutz. endlich gewinnen dann die Parteien die langersehnte Hoheit über die Kinderbetten. Die Zeichen deuten darauf hin. Müttern mit Kindern wird nach der Scheidung der Unterhalt zusammengestrichen; ein klarer Sieg der Zweit- und Dritt-Ehe. Das Ehegattensplitting als Vorteil für diejenigen Paare, bei denen einer oder eine mal nicht verdient: immer wieder angegriffen, derzeit allerdings politisch weitgehend sicher, weil es ja auch für die Homo-Ehe gilt, und deren Rechte sind unantastbar. Damit bilden sich neue Fronten: Ehe wird wieder modern, seit sie auch für Homosexuelle gilt. Wer optimistisch denkt ahnt: Familie ist unkaputtbar, die Stegners dieser Welt mögen reden, was sie wollen. Aber leicht ist es nicht.
Für den Rest gilt: Wahlfreiheit? Das gibt es nicht mehr, längst hat der Staat die Weichen zur Arbeitspflicht gestellt, längst zwingen Recht und Geld Frauen zu einer klaren Entscheidung: Beruf statt Kinder. Oder allenfalls Beruf und Kinder, mit der Doppelbelastung im Bewusstsein, das Unterhaltsrecht im Blick und drohende Rentenkürzungen in Erwartung fällt dann die Entscheidung klar aus. Nur Kinder zu erziehen – diese Alternative jedenfalls wurde längst zum echten Armutsrisiko umgebaut. Die Crux liegt nicht im möglichen „Sowohl als auch“, sondern in der Exekution der neuen Norm. Da bleibt keine Wahl, da war der alte Fritz schon weiter: „Ein jeder nach seiner Façon“.
„Ich erziehe meine Kinder seit 14 Jahren selbst. Sie sind weder dumm noch sozial inkompetent, sondern selbstbewusst und laut, engagiert und anerkannt. Naja, das war dann wohl Glück, denn jetzt weiß ich, ich bin unnütz, schmarotze mich durchs Leben, faul, dumm und was da noch so alles zu lesen steht….aber das ist die Meinung der Anderen….meine Familie ist jedenfalls glücklich“ … schreibt dazu Antje Geiger.
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