Die Reaktorkatastrophe von Fukushima hat die Welt erschüttert – und Deutschland verändert: Folgen der radikalen Energiewende.
Die Deutschen sind schon immer ein Volk der Bastler und neuerdings der Wetter-Beobachter: Das Wetter hat mit der Energiewende jene schicksalhafte Bedeutung zurückgewonnen, die es in landwirtschaftlichen Gesellschaften und zuletzt in der maroden DDR hatte: Packen die Kraftwerke den Winter gerade noch? Bei klarem Wetter und reicher Solarernte lautet die Antwort Ja; bedeckter Himmel, Schneedecke oder Windflaute drohten im Januar das Land und seine Nachbarn in eine existenzielle Energiekrise zu stürzen.
Landauf, landab bauen neugegründete Bürger-Genossenschaften volkseigene Windräder, Solarpaneele funkeln futuristisch blaugrau auf Ackerflächen, Dächern und Bauernhäusern. Hausfassaden verschwinden hinter Styropor. Im Keller wummert das Blockkraftwerk, nicht selten kommt die Wärme aus dem Grundwasser. Die Energiewende wird so zum “Gemeinschaftswerk”, die Deutschen tüfteln und werkeln am Energiesparmodus.
Aber trotz des enormen Aufwands und der technischen Raffinesse, zu der die Deutschen nun mal fähig sind, wird der elektrische Betrieb gerade so aufrechterhalten. Denn die versprochenen gigantomanischen Windparks in der rauen Nordsee verzögern sich; kein Wunder angesichts der Herausforderung. Wenn sich die Flügel überhaupt jemals drehen, fehlt der Anschluss ans Netz oder in die Verbrauchszentren. Gaskraftwerke werden dringend gebraucht, aber nicht gebaut, weil Investitionen in der neuen Energieplanwirtschaft unkalkulierbar sind.
Widersprüche und Zielkonflikte flammen auf, ohne dass eine ordnende Hand den gröbsten Irrsinn stoppen würde: Schmutzige Braunkohle und Atomstrom, so er denn aus Frankreich oder Tschechien stammt, erfahren eine unerwartete Renaissance. Die Vorreiterrolle Deutschlands beim Klimaschutz ist nur noch eine Lachnummer, seitdem längst ausgemusterte alte Kohle- und Ölstinker wieder angefahren werden. Nachdem die heulenden Windräder den Tourismus an den Küsten geschädigt haben, erobern die Betonriesen jetzt auch die Mittelgebirge, den Schwarzwald und das Voralpenland, bedrohen die letzten Idyllen etwa am Starnberger See: Im Namen der Ökologie kommt es zu einer himmelsstürmenden Betonierung Deutschlands mit einem Zementbedarf wie seit dem Bau des Westwalls nicht mehr. Die Bauern, von der EGAgrarpolitik über Jahrzehnte dazu abgerichtet, nach der Subvention zu schnappen wie der Hund nach der Leberwurst, nehmen wilde Wiesen und renaturierte Flur wieder unter den Pflug, um Mais für den Tank anzupflanzen.
Raubbau statt Ökolandbau
Das ergrünte Deutschland schwärmt vom Ökolandbau und fördert den Raubbau einer mit Herbiziden und Pestiziden intensivierten Landwirtschaft, die auf lebensfeindlichen Monokulturen Energiepflanzen produziert. So werden für die Energiewende alle hehren Prinzipien geopfert, auch die des Sozialstaats. Explodierende Strompreise sind das neue Armutsrisiko. Immer neue Industrieunternehmen müssen künstlich von den diversen Stromverteuerungsmechanismen befreit werden, um den Abbau der Arbeitsplätze und der hochsensitiven High-Tech-Industrie zu bremsen, aber klar ist: Ein gespaltener Strompreis, bei dem Arme und Großverbraucher geschont, aber Otto Normalverbraucher immer weiter gerupft wird, ist nicht durchzuhalten. Dafür bedienen sich Lobbygruppen der erneuerbaren Energien ungeniert an knappen Mitteln, die für Investitionen fehlen.
Die reale Katastrophe Fukushima entfaltet virtuelle Fernwirkung. Denn die Bundesregierung hat die Energiewende verstolpert – das ehrgeizige Ziel verlangt stringente Planung, Prioritäten und klare Fokussierung beim Mitteleinsatz. Aber da herrscht Chaos. So forschen und betonieren und tüfteln die Deutschen eifrig an Energiegewinnung und -effizienz, an Speichermedien und immer neuen technischen Tricks im Wettlauf mit einer handwerklich miserablen Politik. Wer wird gewinnen?
(Erschienen auf Wiwo.de am 03.03.2012)