Eine Mietpreisbremse würde unsere Städte ruinieren
Nach der Sommerpause geht es wieder los mit der Politik, die Probleme bearbeitet, die sie selbst erfindet – oder noch besser: die sie selbst geschaffen hat, um sie zu bearbeiten. Jetzt hat sich die Große Koalition auf eine Mietpreisbremse verständigt. (24. 9. 2014 mit Ergänzungen vom 25. 9. 2014)
Dabei pendelt die Politik ungefähr so schnell wie eine Abrissbirne: Noch laufen die Programme, mit deren Hilfe seit der Wende circa 800 000 Plattenbauwohnungen abgerissen wurden. Gleichzeitig jammert das halbe politische Berlin über Wohnraumverknappung. Es will den Mietenanstieg bremsen und mehr finanzielle Mittel für den Neubau von Wohnungen zur Verfügung stellen.
Denkt man allerdings ein bisschen nach, so erkennt man schnell: Steigende Mieten helfen eher bei der Lösung bestehender Probleme am Wohnungsmarkt. Die Mietpreisbremse ist deshalb blanker Unsinn. Und ohne ständige Eingriffe der Wohnungspolitik könnten Neubauten deutlich billiger sein.
Wohnungen sind nicht knapp – sie stehen nur am falschen Ort
„Nicht überall ist München“, sagt Gerd Landsberg vom Deutschen Städte- und Gemeindebund. Nicht überall ist der Wohnraum knapp – knapp ist er nur in einigen Metropolen und innerhalb der Metropolen wiederum in einigen der angesagten Viertel. Insgesamt stehen 1,7 Millionen Wohnungen leer. Nun gut, diese Wohnungen stehen nicht da, wo die Mieter sie brauchen: meist in ländlichen, strukturschwachen oder ostdeutschen Regionen. Aber ehe flächendeckend gegen „Mietpreissteigerungen“ vorgegangen wird: Es gibt sie noch, die billigen Wohnungen.
Aufgabe der Politik kann nicht sein, um jeden Preis die Mieten in München-Schwabing, am Berliner Prenzlauer Berg oder sonst wo in einem der Szeneviertel niedrig zu halten. Aufgabe der Politik ist nicht, den schicken Lebensstil zu befördern. Gut wohnen kann man auch anderswo, und wer keine billige Wohnung in Hamburg-Eppendorf findet, ist deswegen noch kein Sozialfall.
Der Preis löst das Problem: Was knapp ist, wird teurer
Was gefragt ist, steigt im Preis, und was langweilt, wird billiger. Daher tragen steigende Preise in den Hotspots des Wohnungsmarkts zur Problemlösung bei: Sie stabilisieren die Preise in jenen Regionen, die sonst nur noch mit der Abrissbirne zu retten sind. In Jena stehen noch 1,9 Prozent der Wohnungen leer, in Chemnitz 14 Prozent. Der Leerstand in Pirmasens beträgt 10 Prozent, in Oldenburg nur 1,5 Prozent.
Man kann es auch so sehen: Billige Wohnungen sind ein Standortvorteil, den Studenten nutzen können ebenso wie Unternehmen. München mit seinen Höchstmieten schreckt ab, und das ist gut so. Und klar ist ohnehin: Wenn die Mietpreisbremse kommt, wird gerade in den Hotspots weniger gebaut. Mit der Mietpreisbremse wird Knappheit verwaltet: zukünftig in München, so wie einst in der DDR. Es wird nicht mehr gebaut, sondern weniger.
„Viel sinnvoller wäre es, wenn die Politiker dafür sorgen würden, dass die
Baukosten für neuen Wohnraum sinken. Dazu müssten aber im großen Stil
Gesetze und Vorschriften geändert werden, damit Bauen bezahlbar bleibt
und für Investoren wirtschaftlich wieder interessant wird“, sagt etwa
Kreisbau-Geschäftsführer Wilfried Haut. Der Chef des bedeutendsten
Wohnungsunternehmens im Landkreis Heidenheim fordert bereits seit
längerem vehement ein Ende bei der Preisspirale.
Mittlerweile sind die großen Investoren im deutschen Wohnungsbau angelsächsische Pensionsfonds. Die deutschen Versicherungen dagegen haben sich weitgehend zurückgezogen. Der Grund ist auch so eine Regulierung, die nach hinten losgeht: Deutsche Versicherungen dürfen kaum Aktien besitzen, weil die angeblich so schrecklich gefährlich sind. Also dürfen sie auch keine Aktien der großen Wohnungsgesellschaften kaufen, obwohl in Zeiten der Niedrigzinsphase und eines stagnierenden Wohnungsbaus gerade das unbedingt notwendige wäre. Regulierung springt zu kurz, übersieht ihre Auswirkungen nicht. Den Schaden hat die Bevölkerung.
Und zwar schon jetzt. Denn vielerorts haben mit der Debatte um die Mietpreisbremse Vermieter begonnen, auf Teufel komm raus die Mieten z erhöhen; nach dem Motto: Was Du jetzt nicht kriegst, kriegst Du nimmermehr.
Preisunterschiede verhindern das Ausbluten schwacher Regionen
Die regionalen Unterschiede zwischen den starken und den schwachen Wirtschaftsregionen Deutschlands verschärfen sich. Die jetzt betriebene Politik trägt dazu bei, dass die schwachen Gebiete noch schneller und noch gründlicher ausbluten. In den Metropolregionen wird der Zuzug – und damit die Wohnungsknappheit – staatlich gefördert, und dann wird versucht, das Problem noch aufwendiger zu lösen. Die Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen bleibt ein vernünftiges Ziel, Raumordnung und Regionalpolitik sind wichtige Aufgaben. Und niedrige Preise sind ein Standortfaktor. Niedrige Mietpreise in den Kummer-Städten des Ruhrgebiets und Ostdeutschlands können aber nur dann als Standortfaktor zugunsten dieser Städte wirken, wenn die Preise in den begehrten Städten nicht künstlich gekappt werden.
Bleiben wir in Berlin: Die Stadt ist nicht nur sexy, sondern nach wie vor im Mietpreisniveau billig. Neue Wohnungen kosten die Hälfte, verglichen mit Düsseldorf, Hamburg, München oder Frankfurt. Mietwohnungen gibt es ab 4 Euro pro Quadratmeter: in den Plattenbauten ebenso wie in den Westberliner Großsiedlungen. Dafür gibt es in den anderen Metropolen vielleicht eine Garage zu mieten. Der Zuzug nach Berlin wird also auch durch die noch niedrigen Mietpreise gefördert. Eine Angleichung an das Mietpreisniveau von Hamburg, München oder Frankfurt kann den unerwünschten Effekt verlangsamen, der Berlin in Fragen der Infrastruktur, der Schulen und Gesundheitsversorgung zu quälen beginnt – und Menschen anzieht, die in anderen Städten fehlen und das Ungleichgewicht verschärfen.
Es gibt kein Grundrecht Berlins auf niedrige Mieten. – Oder will sich die politmediale Clique nur selbst billiges Wohnen sichern? – Also soll die Politik nicht so tun, als sei es ihre Aufgabe zu verhindern, dass Berliner Mieten auf Bundesniveau steigen. Erstens wird es nicht klappen; zweitens ist es nicht gerecht, zwischen „guten“ und „bösen“ Mietern zu unterscheiden. Diese künstliche Unterscheidung ist einer der größten Denkfehler der gegenwärtigen Politik.
Guter oder böser Mieter?
Politik kümmert sich gern um Menschen, die das Glück einer billigen Wohnung haben. Das sind die guten Mieter, die vor Zuzüglern geschützt werden müssen. Gleichzeitig werden aber die Menschen zu mehr Flexibilität aufgefordert: Sie sollen der Arbeit und den Lebenschancen hinterher ziehen, statt vor der Arbeitsagentur Schlange zu stehen. Sobald sie aber als Nachfrager für neuen Wohnraum in der Stadt ihrer Zukunft auftreten, werden sie zu bösen Mietern, die die Preise treiben und vor denen die Alteingesessenen geschützt werden müssen.
So schützt ein großer Teil der neuen Mieterschutzpolitik in Berlin Menschen, die die Chancen der sensationell billigen Mieten unmittelbar nach der Wiedervereinigung genutzt haben und in jene Häuser am Prenzlauer Berg eingezogen sind, aus denen die ursprünglichen Ost-Mieter hinaus saniert wurden. Um im Jargon zu bleiben: Berliner Alt-Schwaben werden vor Neu-Schwaben geschützt. Die Wohnraumpolitik muss den Strukturwandel begleiten – aber nicht blockieren. Ansonsten schafft sie nur neue Opfer.
Bauen, bauen, bauen – oder doch nicht?
In diesem Jahr wird Deutschland 200 000 Flüchtlinge aufnehmen und bis zu 300 000 Zuwanderer aus Ost- und Südeuropa. Sie werden angeworben, um die Probleme des Arbeitsmarkts und der Rentenversicherung angesichts einer zunehmenden Überalterung der Gesellschaft zu lindern. Diese Menschen brauchen Wohnungen. Wer nur umverteilt, löst aber kein Problem. Wir werden also bauen müssen.
Oder etwa doch nicht? Auch diese Trends kippen erstaunlich schnell: Noch vor drei, vier Jahren sind mehr Menschen aus Deutschland weggezogen als zugezogen. Solche Trends brechen schnell, jedenfalls schneller als sich bauen lässt. Und für wen soll gebaut werden? Notquartiere oder Wohnungen und Häuser? Und in welcher Preisklasse? Und was ist mit barrierefreiem Wohnen, das Menschen länger selbständiges Leben ermöglicht?
Übrigens: Die Berliner haben dagegen abgestimmt, das riesige, leer stehende Tempelhofer Feld wenigstens am Rand mit Wohnungen zu bebauen. So groß kann also die Wohnungsnot gar nicht sein. Und dass sich bundesweit die Baugenehmigungen von 600 000 auf 160 000 reduziert haben, zeigt: Es wird zu wenig genehmigt. In fast allen großen Städten beschweren sich die Stadträte am Vormittag über steigende Mieten, und am Nachmittag wollen sie die Mietpreisbremse einführen. Das passt alles nicht zusammen und ist unlogisch. Aber Logik hat keinen Bestand in der Wohnungsbaupolitik.
Die Moden wechseln, aber wärmen nicht
Wer heute von bezahlbarem Wohnen spricht, sollte nicht unterschlagen, dass sich die Baukosten durch allerlei Energiespargesetze um mindestens acht Prozent verteuert haben; wobei sich die eingesparten Heizkosten auf Jahrzehnte verteilen, wenn überhaupt. Bauen lohnt also nicht. Zum Teil entstanden Energiesparhäuser, in denen niemand wohnen will: das berüchtigte Wohnen in der Thermoskanne. Trotzdem wird energetisch saniert, was das Styropor so hergibt, und werden gewohnte Fassaden verschlimmbessert wie alte Gesichter durch falsches Lifting. Die angebliche Energieeffizienz ist der heilige Gral, das oberste Ziel, dem sich alles andere unterordnen muss, auch wenn hinter dem Styropor der letzte Gründerzeitstuck verschwindet und die Häuserfenster wegen der vorgepappten Dammwände zu Schießscharten werden.
Einerseits wird vom bezahlbaren Wohnen gesprochen, andererseits wird Bauen und Wohnen vom Staat künstlich verteuert. Wohnungen werden zudem völlig entgegen der Lebensqualität saniert. Dabei ist wohnen ein elementares Grundbedürfnis des Menschen, und Nachhaltigkeit hat viele Facetten. Wer eindimensional nur einen der Faktoren – neuerdings die Heizbilanz – heranzieht, schafft keinen guten, lebenswerten Wohnraum. Das ist genauso sinnlos, wie das Ziel der „autogerechten Stadt“, für die beispielsweise Köln mit gigantischen Autobahnschneisen gevierteilt wurde. Hier werden Fehler gemacht, über die unsere Enkel noch verzweifelt die Köpfe schütteln werden. Wohnen ist zu wichtig, als dass man es nur kurzfristig, hektisch behandeln darf.
Bewahrt das steinerne Gesicht der Städte!
Wohnhäuser sind eine langfristige und stabile Angelegenheit, mit einer Lebenszeit zwischen 40 und 60 Jahren, ach was: Gründerzeit-Bauten sind gerade sehr beliebt und zeigen, dass dieses Gut hoch geschätzt wird, auch wenn es schon 100 Jahre alt ist. Wir empfinden eine sentimentale Bindung an jene Orte, die unsere Kindheit und Jugend beherbergt haben. Wir lieben die steinernen Gesichter unserer Städte und Heimatorte; mit einigem sentimentalem Abstand auch die Falten und Runzeln, die finsteren und zugigen Ecken, an denen wir uns als gelangweilte Teenager herumgedrückt, die erste Zigarette geraucht und den ersten Kuss getauscht haben. Wir entdecken gerade die Quartiere der 1950er und frühen 1960er Jahre neu, obwohl die damals als luxuriös geltenden Drei-Zimmer-Wohnungen nicht mehr für fünf- oder sechsköpfige Familien als geeignet betrachtet werden, sondern gerade noch groß genug sind für junge, kinderlose Paare oder zweiköpfige Studenten-WGs.
Eigentlich ist Wohnen etwas, das sich nur langsam ändert; allenfalls soll es unserer eigenen Entwicklung hinterherwachsen. Hektische Sprünge lieben die Bauträger, aber nicht die Menschen, die die Entwicklung ertragen und die Folgen durchleben müssen. Es wird Zeit, dass endlich eine andere Sicht in die Wohnungsbaupolitik einzieht. Sonst werden unsere Städte weiter ruiniert.