Europa verändert sein Gesicht: Der marktwirtschaftliche, wettbewerbsorientierte Ansatz deutscher und englischer Prägung ist zerstört.
Das Bundesverfassungsgericht ist gesprungen wie ein Löwe – aber gelandet sind die Richter als Bettvorleger. Kleinlaut mussten sie durchwinken, was Kanzlerin, Parlament und das politische Establishment fordern. Dafür darf man sie nicht schelten – den Druck hält keiner aus.
Ähnlich die Deutsche Bundesbank: Ihr Präsident Jens Weidmann wird noch große Auftritte hinlegen – aber über Geld- und Fiskalpolitik bestimmt zukünftig die Europäische Zentralbank (EZB) als oberstes Organ einer Art “Lateinische Währungsunion zulasten der deutschen Nation”. Weidmann, zum EZB-Filialleiter degradiert, wird zum tragischen Helden. Die EZB jedenfalls hat ihre Bundesbank-Seele verloren: Die Deutschen beaufsichtigen künftig nur noch den Baufortschritt des neuen EZB-Prachtgebäudes in Frankfurt.
Der Deutsche Bundestag wiederum garantiert für so monströse Beträge, dass den Deutschen selbst, wenn die Garantien fällig werden, nur noch die Portokasse bleibt. Mit Bundestag, Bundesbank und Bundesverfassungsgericht wurden drei zentrale politische Institutionen der Bundesrepublik Deutschland inhaltlich entleert und das Land politisch entkernt. Anstelle bewährter rechtlicher und wirtschaftlicher Institutionen treten fehlerhaft konstruierte europäische Einrichtungen, deren Wirken sich schon heute katastrophal auf das soziale und wirtschaftliche Leben auswirken. Alle wollen mehr Europa. Aber welches Europa dabei herauskommt, das ist bedrohlich und folgt einer ganz anderen Schablone: Die deutsche Dominanz in Wirtschaftsfragen, die auf Wettbewerbsprinzipien, Leistungsfähigkeit und globale Konkurrenzfähigkeit setzte, wurde in Europa marginalisiert, die Institutionen von den wirtschaftslaxen Südländern faktisch besetzt und nach ihren Vorstellungen umgestaltet. Großbritannien, lange Partner im liberalen Geist mit Blick auf das globale Geschehen, hat sich aus Kontinentaleuropa verabschiedet; Frankreichs sozialistischer Präsident hat nach dem Festfressen der Achse Berlin–Paris die Niederlage für das deutsch geprägte Wirtschaftsmodell in Europa organisiert.
Die neue europäische Normalität wird durch wachsende Staatsverschuldung geprägt, die von der Notenpresse auf Abruf befriedigt wird. Schon jetzt spart der Bundesfinanzminister in weiser Voraussicht nicht mehr – es gewinnt, wer dem Nachbarn am schnellsten in die Tasche greift. Das verschafft Europa einen kurzen, fiebrigen Aufschwung. Die deutsche Industrie kann sich freuen, dass ihre Exporte nach Europa vom Steuerzahler gesichert werden. Banken und Versicherungen müssen nicht länger bangen, ob ihre südeuropäischen Staatsanleihen platzen. Aber das italienische Geldmodell führt langfristig zu Stagnation, weil unabweisbare Reformen mit billigem Notenbankgeld vertuscht und verzögert werden. Die schon jetzt anspringende Inflation zeigt, wohin die monetäre Reise geht. Die Flucht führt in unproduktive Sachanlagen wie Gold, Oldtimer oder Immobilien. Die Aktie als Quasi-Sachwert erlebt eine Renaissance. Mittelständlern ist dieser Finanzierungsweg versperrt. Ihre Kreditnachfrage wird verdrängt durch die staatlich abgesicherten und mit hohen Renditen belohnten südeuropäischen Staatsanleihen. Der Mittelstand wird in Europa ohne das bisherige Geflecht der Institutionen schutz- und heimatlos: Entschieden wird in Brüssel und dort gewiss nicht zugunsten eines Unternehmens auf der Schwäbischen Alb. Deutschland verliert im globalen Standortwettbewerb. Lohnzurückhaltung und Sozialabbau nur bei deutschen Arbeitnehmern, damit diese den hohen Lebensstandard anderswo finanzieren – das wird in steigende Löhne umschlagen.
Die unmittelbaren Verlierer sind Sparer, deren Lebensversicherungen und Riester-Verträge durch die manipulierten Niedrigzinsen entwertet und inflationär massakriert werden. Die politische Enteignung, so jüngst Hans Magnus Enzensberger, “führt zu ihrem Pendant; der ökonomischen Enteignung”.
(Erschienen auf Wiwo.de am 15.09.2012)