Tichys Einblick
Wahltrend

Berlin, Frankfurt, Mainz: Zerbröseln die Grünen in den Metropolen?

Es ist ein seltener Triumph für die CDU: Ihr Kandidat Uwe Becker geht mit großem Vorsprung in die Stichwahl um den Posten des Oberbürgermeisters in Frankfurt, die grüne Favoritin geht unter. In Mainz wirft ein Außenseiter den grünen Kandidaten aus dem Rennen. Alles wie in Berlin, wo rotgrün so verschimmelt wirkt?

Überraschungsvierter bei Oberbürgermeisterwahl in Frankfurt: Straßenbahnkapitän Peter Wirth, genannt „Bahnbabo“

Foto: A. Jungmann

Einer ragt hervor: Der „Bahnbabo“ genannte und so bekannt gewordene Peter Wirth, ein Straßenbahnfahrer mit Muckis und Pilotenbrille, hat mit 5,1 Prozent der Stimmen das beste Wahlergebnis nach den großen drei Parteien bei der Wahl zum Frankfurter Oberbürgermeister erreicht. Er ist ein Außenseiterkandidat, berühmt für seine lockeren Sprüche mit jugendlichen Fahrgästen. Bei ihm trauen die sich nicht aufzumucken. Der starke Mann aus dem Milieu derer, die noch arbeiten – ist das die Botschaft?

Vorentscheidung für die Stichwahl

Aber wen wählen Bahnbabos 10.174 Wähler in der letztentscheidenden Stichwahl in drei Wochen? Und wem werden jene 21,2 Prozent ihre Stimme geben, die die grüne Kandidatin gewählt haben? Für die Stichwahl hat es nicht gereicht in Frankfurt für die Grünen; diese Chance geht an den SPD-Kandidaten Mike Josef.

Nun darf man Kommunalwahlen nicht überbewerten. Aber nach Berlin, wo am Ende der großen Kommunalwahl die SPD-Kandidatin Franziska Giffey jetzt unter den Rock der CDU kriecht, und zeitgleich der Kommunalwahl Mainz scheint sich doch ein Trend zu bilden: In den Großstädten verlieren die Grünen ihre wie selbstverständlich wirkende Dominanz. Das rotgrüne Tandem fällt um, weil sich SPD und Grüne unter dem Druck der Realität verzanken. Die SPD setzt wieder auf Eigenständigkeit; in Berlin im Bündnis mit der CDU und gibt dafür sogar den Posten des Regierenden Bürgermeisters ab. Alles besser als Grün, so lautet die Devise.

In Frankfurt kämpfen die Großparteien mit massivem Einsatz von Menschen und Geld; da ist es schon ein Signal, dass einer wie „Bahnbabo“ immerhin die parlamentarische Hürde schafft – ein Kandidat ohne Hilfstruppen, der seine Wahlprospekte aus dem Jutebeutel selbst verteilt.

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SPD-Kandidat Mike Josef lässt sich zwar von seinen bestellten Anhängern mit frenetischem Beifall wie ein Sieger feiern, dabei liegt er nur auf Platz zwei mit bescheidenen 24,0 Prozent. Die Show des Siegers ohne Sieg soll Siegeszuversicht für die Stichwahl signalisieren, als ob er die dann entscheidenden Stimmen der Grünen für sich ganz allein schon so gut wie vorab kassiert hat. Dabei ist Josef eher eine Art Scheinriese: Je näher man ihm kommt, umso unglaubwürdiger wirkt er.

Deutlich wird der Bruch zwischen Rot und Grün: Aus den Partnern in der Stadtratskoalition wurden  in den Tagen vor der Wahl Gegner, die sich nicht mal mehr auf einen gemeinsamen Kandidaten für eine unwichtige Jury einigen konnten. Wie in Berlin ist den Sozialdemokraten plötzlich klar geworden, dass die Projekte der Grünen wie die totale Verkehrsblockade und immer noch teurere Klimaprojekte bei den von Arbeitslosigkeit, von immer höheren Steuern und Auflagen bedrohten Wählern nicht gut ankommen. Der grüne Kurs führt die SPD in den Heizungskeller.

Rückenwind aus Berlin für die CDU

Mit diesem Rückenwind aus Berlin hat CDU-Kandidat Uwe Becker im Wahlkampf Fahrt aufgenommen. Am Tag nach der Berlinwahl warf er sich sogar für die Berücksichtigung von Autofahrern als legitime Verkehrsteilnehmer in die Bresche, kritisierte die Abriegelung der ganzen Stadt nach dem Muster der Berliner Friedrichstraße und die Besetzung von Parkplätzen durch teure Parkverhinderungsgestelle. So hat er 34,4 Prozent gewonnen – weil er rechts geblinkt hat.

Nach der erfolgreichen ersten Runde seiner Wahl blinkt er jetzt aber sofort links und erklärt, dass er wie die Grünen Frankfurt klimaneutral bis 2035 machen will – eines jener utopischen Versprechen, die Bürger viel Geld und Wohlstand kosten und dem Klima nichts bringen. Aber für ein paar Stimmen von den Grünen wischt er solche Bedenken beiseite. Becker verspricht halbwegs Vernunft; das ist viel in wirren Zeiten.

Und nun also der Zweikampf von Josef (SPD) gegen Becker (CDU). Becker gibt den seriösen Kandidaten; verstrahlt buchhalterischen Charme. Er war Stadtkämmerer und ist jetzt Staatssekretär in der Landesregierung. Aber die gepflegte Langeweile in einer Art Olaf-Scholz-Imitation scheint gut anzukommen bei den Wählern, die genervt sind von immer neuen Elementen einer „großen Transformation“, die vorerst nur Wohlstand und Rechtsstaat bedrohen und tief in das Privatleben eingreifen will bis hin zu rotgrünen Speisevorschriften und Insekten-Diät. „Keine Experimente“, Konrad Adenauers legendäres Wahlkampfversprechen klingt nicht mehr so ganz falsch in einer Zeit hausgemachter Umbrüche mit klimapolitischen Kollateralschäden.

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Die SPD setzt dagegen unverdrossen auf vermeintlich strukturelle Faktoren einer migrationsgeprägten Stadt mit linkem Wählermilieu – und einen Kandidaten, der dazu passt und gleichzeitig wie aus der Zeit gefallen wirkt. Die Stadt Frankfurt hat den höchsten Migranten-Anteil einer deutschen Großstadt, und wenn es nach der SPD geht, müssen die Zugezogenen jeder Generation geradezu SPD wählen, denn schließlich ist ihr Kandidat mit perfektem Migrationshintergrund ausgestattet und wurde in Syrien geboren. Das schicke Mike statt Michael signalisiert Weltoffenheit; Michael Josef geht ja gar nicht. Allerdings weiß auch Josef keine wirkliche Antwort darauf, warum Zuwanderer wirklich SPD wählen sollen, außer wegen ihrer Identität. Aber vielleicht entscheidet die konkrete Lebenslage und nicht die Herkunft?

Wer in den eher ärmeren Stadtvierteln wohnt wie die Mehrzahl der Zuwanderer, die es noch nicht zur Villa gebracht haben, ist bedroht von wachsender Kriminalität; 500 Messerangriffe werden in Frankfurt pro Jahr gezählt. Öffentliche Sicherheit gilt als unteilbar, aber ist es eben doch: Unsicherheit kostet jeden Abend jener Angst, die auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sind, während Wohlhabende sich mit dem Taxi aus der verfallenden Sicherheitsstruktur retten können, deren Stadtvillen nicht in der Nähe von Flüchtlingsunterkünften liegen oder die gleich in eines der ruhigen Taunusnester ziehen. Auch, dass in Frankfurt rund 25 Schulen fehlen – es trifft sozial Schwächere, die ihre Kinder nicht auf eine der vielen Privatschulen schicken können, die in Frankfurt florieren wie sonst nur die Bordelle im Bahnhofsviertel, das mit seinem rauen Charme von Crack und Elend in die benachbarten, eher einfachen Wohnviertel wuchert. 

Traum und Lebenswirklichkeit

So hofft die SPD auf ein diffuses Globalisierungs-Gefühl, das angesichts der Realität verraucht. Ihr Kandidat wirkt smart und künstlich, wie ein Marketing-Produkt nach Kriterien gewählt, die einer einfachen soziologischen Produktanalyse folgen, aber weniger dem biederen und gar nicht schicken Leben der Zielgruppe. Und das ist geprägt von wachsender Kriminalität, einer verfallenden Leistungsfähigkeit der Stadtverwaltung und zunehmenden sozialen Spannungen. Die rufen eher nach einem starken Bahnbabo als nach einem fernen Sprüchemacher. An Geld fehlt’s dieser Stadt nicht, aber an der Intelligenz, dieses auszugeben: Dass ernsthaft über den Neubau von Schauspiel und Oper nachgedacht wird für schlappe 1,2 Milliarden, während die Schulen und Straßen verrotten: Das ist Frankfurt. Und das, weil in den bisherigen Bühnen angeblich der Brandschutz nicht mehr wirklich allen Anforderungen entspreche und eine Erneuerung unmöglich sei – Schilda am Main sucht keine pragmatischen, sondern teure Lösungen für Opern-Abonnenten in den grünen Stadtvierteln.

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Becker will wenigstens Waffenverbotszonen, auch etwas hilflos, aber wenigstens ein Anerkenntnis zunehmender Gewalt- und Drogenkriminalität, die mit Stuhlkreistherapie nicht verschwindet. Den PKW-Verkehr will er nicht ganz abdrehen: Lastenfahrräder sind für den Nahverkehr im luxuriösen Frankfurter Nordend, aber nicht für den Alltagsverkehr der Menschen tauglich, die Wohnung, Schule und Arbeitsplatz irgendwie zeitnah und gleichzeitig erreichen und am Wochenende im billigen Discounter am Stadtrand einkaufen müssen, statt in der überteuerten Kleinmarkthalle mit ihren Apothekenpreisen, dem Schlemmerparadies für wohlhabende grüne Wähler.

Also wen wählen die rund 40.000 Grünenwähler? Oder gehen sie überhaupt zur Wahl? Ohnehin ist die grüne Partei gespalten. Einige Klimafanatiker geben den Ton an, die früheren Pragmatiker noch aus der Ära der Koalition mit der CDU-Bürgermeisterin Petra Roth sind in eine Art innerparteiliche Minderheitsposition geraten. Der SPD werden die Stimmen aber nicht automatisch zufallen; sie gilt längst als Klimaverräterin. Hier wirkt der Bundestrend, und der läuft gegen die rot-grüne Verbindung wie der Wahlkampf ihrer Kandidatin Manuela Rottmann. Ihre Antwort auf alle Fragen ist Klimapolitik; denn bekanntlich kann die 750.000-Einwohnerstadt das Weltklima retten, wenn auch mit etwas Angestrengtheit, aber immerhin. 

Die Wahlbeteiligung liegt bei 40,4 Prozent, ein klägliches Niveau. Es ist eben alles offen. Aber die kleine Metropole Mainz, die größere Frankfurt und die ganz große Berlin sind vielleicht doch ein Signal, dass das rot-grüne Modell nur einen kurzen Sommer hielt.

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