Selten war ein Ergebnis so schwer prognostizierbar wie dieser Landtagswahl. Klar ist – auf Landesebene hat die CSU dazu beigetragen, dass das Land sicher ist, seine Schulen funktionieren, die Wirtschaft läuft und der Umgang mit Merkels Flüchtlingen besser funktioniert als in vielen anderen Regionen.
Erfolg wird nicht gewählt
Aber ihr Bemühen, Merkels „Flüchtlingspolitik” einzufangen, zunächst Obergrenzen für Migration einzuführen und später mit Transitzentren eine schnelle Bearbeitung und Entscheidung sowie Rückführung von Einwanderern zu organisieren, sind allesamt an Merkel gescheitert. Der CSU-Vorsitzende und Bundesinnenminister Horst Seehofer ist gegen gemeinsamen Entschiedenheit von Merkel und SPD nicht angekommen, die keine Reformen wollen und jede Veränderung am Status Quo entschieden und trickreich unterlaufen haben. Schlimmer noch: Seither gilt Seehofer als Störenfried. Merkel ist es gelungen, ihm die Schuld zuzuschieben – und bekanntlich schätzen Wähler Harmonie.
Somit hat Merkel auch in Bayern gesiegt: Die letzte Bastion des Widerstands gegen ihre Politik ist geschwächt. Es ist ein Sieg, der ins Gegenteil umschlägt: Die Union von CDU und CSU hat massiv an Stimmen verloren, sie schrumpft und ihre Mehrheit. Doch Merkel hat eine einzigartige Meisterschaft darin entwickelt, gegen die Bevölkerung zu regieren und sich an der Macht zu halten. Ihr geht es um Merkel, und dafür jongliert sie mit vielerlei Bällen. Das bewegt nichts, täuscht nur Bewegung vor – die in der Sache belanglos bleibt. Das Münchner Ergebnis stärkt die Frontfrau und schwächt die Union, deren Lebenskraft verrinnt. Aber für ein paar Merkelmonate mehr reicht es noch. Noch nie wurde eine Partei so runtergeschrieben wie die CSU bei der Landtagswahl in Bayern – trotz gewaltiger Verluste hält die CSU ein stolzes Ergebnis. Und mit den Freien Wählern hat sie einen geborenen Koalitionspartner, der es ihr nicht zu schwer machen wird – Bayern bleibt weiß-blau. Ob es klappt? Noch schwanken die Ergebnisse. Aber mit 37,3 Prozent ist es spät am Abend für die CSU doch noch weit besser geworden, als man ihr prognostiziert hat. Ist das fair?
Sieg der Traumtänzer
Verdoppelung der Stimmen für die Grünen – Politik in Deutschland ist ja immer mehr eine Politik des guten Anscheins. Moral zählt, ein gutes Gefühl, nicht harte Ergebnisse. Anything goes, alles ist möglich, das ist das inflationäre Versprechen einer neuen Bourgoisie, die Wohlstand ererbt hat und nach 10 Jahren guter Konjunktur sich befreit fühlt von materiellen Zwängen. Diesel? Verbieten wir. Autoindustrie? Braucht man nicht. Einwanderer? Platz und Sozialstaat ist für alle da. Energiewende? Wir haben doch Windräder, und den Strom speichern wir in den Leitungen! Landwirtschaft? Bitte wieder Kleinbauern, es war doch so romantisch, damals im Heu, das noch keine Pollenallergie auslöste.
Die Meister der Inszenierung des guten Gefühls sind die Grünen. Ihre Wähler sind gut versorgt; traditionell wird in den Villenviertel am Starnberger See und in den Münchner Grünvierteln wie Solln, Bogenhausen und im durchgentrifizierten Glockenbachviertel überdurchschnittlich viel Luxusgrün gewählt – im Öko-Supermarkt ist alles möglich, dort sind der Milchpreis, die Kosten für´s Lammkotelett (Schwein gibt´s nicht) nicht so entscheidend wie der Genuss, der von der Gewissheit ausgeht: Jeder Biss in den Bio-Apfel rettet die Welt, bedingungslos. Das schafft gute Laune, und die ist sympathischer als der verbissene Blick der CSU-Politiker, die sich in Berlin ständig untergebuttert und mit Wählern konfrontiert sehen, die über steigende Mieten, niedrige Renten und steigende Strompreise jammern.
Im Wettstreit mit einer Wirklichkeit der unangenehmer Realität und einer erhofften, utopischen, gewinnt immer die Wunschwelt, solange die Rechnung dafür durch höhere Subventionen ausgeglichen werden können, die ein expansiver Fiskalstaat finanziert. Es ist Populismus, grün angestrichen. Die Grünen haben sich ihre Wähler buchstäblich selbst herangezogen: Es sind die Kinder des Wohlstands in überbordender Selbstgerechtigkeit, die unter anderem auch Europa und die Demokratie erfunden haben.
AfD für Ängstliche
Dumm für die CSU, dass es so eine Art domestizierte Variation von ihr gibt, die Freien Wähler. Das ist keine richtige Partei, sondern ein ziemlich populistischer Vorsitzender, kein wirkliches Programm, sondern mehr ein Lavieren nach Tageslaune, und alles zusammen mit dem Namen, der Freiheit beinhaltet, der passende Gegenentwurf für eine Politik der postmateriellen Gesellschaft: Alles ist möglich. Und letztlich haben die Freien Wähler nicht gegen die CSU gesiegt, sondern gegen die AfD. Die Freien Wähler sind eine Art unbestimmte AfD für Ängstliche und jene Ängstlichen, die ein bisserl CSU wollen, aber nicht ganz. Die Freien könnten der Traum- Koalitionspartner der CSU sein.
Damit zieht die AfD in den Landtag ein; deutlich schwächer als dies in anderen Ländern und im Bund gelungen ist. Es ist die Landes-Nummer 15 von 16; und auch Hessen wird folgen. So schnell ist noch keine neue Partei gewachsen, auch nicht die Grünen, die deutlich länger brauchten und schon gar nicht die stagnierende Linke. Jetzt geht es um Koalitionsfindung, und da dürfen ihre Abgeordneten nicht mitspielen. Viel Aufregung wird da in den nächsten Wochen inszeniert und vorgeführt werden – ohne die AfD. Sie die klassische Oppositionspartei – gegen die sich alle einig sind auch wenn ansonsten uneinig. Und: Sie liegt vor der SPD. Das ist eine Art Neben-Sensation.
Tiefer Fall aus dem 40. Stockwerk
Natürlich sind die Verluste der SPD noch dramatischer als die der CSU, die immer noch mehr Stimmenprozente einfährt als das sonst SPD- oder Unionlandesverbände schaffen. Die SPD ist in Bayern nicht natürlich klein; sie hat zwei mal den Ministerpräsidenten gestellt und eigentlich wäre sie der geborene Gegenspieler. Aber ihre Funktionäre leben in einer Traumwelt, die mit dem Leben der Wähler nicht mehr viel gemein hat. So erinnert die SPD an jenen Witz, in dem ein Mensch vom 40. Stockwerk in die Tiefe stürzt; beim 20. Stockwerk findet er, es ist noch nichts passiert. In Bayern ist er noch mal 10 Stockwerke tiefer, und immer ist noch nichts passiert. So viel Ignoranz ist ansonsten nicht mehr zu verstehen. Halbierung der Wahlergebnisse – das ist ein Crash. 9,5 Prozent ist eine Katastrophe. Platz 5 in Bayern….jämmerlich. Eine Splitterpartei. Und ein Menetekel für Hessen. Diese Partei kann weg.
Bleibt noch die FDP: Innerlich zerstritten zwischen einem SPD-nahen Verliererflügel und dem Erfolgsflügel um Albert Duin führt sie eine schwer verständliche, sektenartige Existenz. Sie hat spannende, vielleicht die spannendsten Persönlichkeiten. Aber ihr ist es nie gelungen, eine eigene Rolle zu finden. Aus Berlin kamen keine Impulse für sie; die seltsame Leere, die seit dem Wiedereinzug in den Bundestag festzustellen ist, übertrug sich auf Bayern. Die Frage „wofür?“ konnte nicht beantwortet werden. Sie ist noch einmal reingekommen. Immerhin dafür hat es gereicht.